VII, Verschiedenes 13, 1934–1935, Seite 36

13. Miscellaneous
box 447
Die Stunde,
6. Okt. 1934
gelungen, die geistig sinnliche Dichte und man noch immer eine Reihe ausgezeichneten
Intensität der Aufführungen von Otto Brahn
46.10
Volksstück-Schauspieler, aber das soge¬
oder Stanislawski zu erreichen. Einzelne der nannte mondane Stück, das Gesellschafts¬
-
stück, wie es früher im Volkstheater die
Wunderwirkungen hochgezüchteter En- Komödien von Flers und Caillavet, von
semblekunst, aber es waren mehr Zufalls
Bernstein gewesen sind, kann das Ensemble
resultate, während Otto Brahm und Stanis¬
des Volkstheaters ohne Gästezuzug heute
lawski immer für die Idee des Ensembles
nicht mehr vollkommen bestreiten. Und das
gearbeitet haben, das Theater als End¬
Volkstheater darf sich aus Betriebsgründen
resultat des Ensembles betrachten
nicht auf ein Genre festlegen, es muß vieles
Jetzt ist der Ensemblegedanke in Berlin

bieten, wenn es den Wünschen seines Publi¬
längst zerschlagen, da dort ein immerwäh¬
kums gerecht werden will. Es hat zwei
render Austausch von Schauspielern statt¬
außerordentliche schauspielerische Indivi¬
fand und stattfindet. Nur die deutsche Pro¬
dualitäten wie Christl Mardayn, die sich im
vinz hatte noch ihre Ensembles, aber auch
Volkstheater ganz unglaublich entwickelt
dort wurden die Schauspieler von Jahr zu
Gäste und Ensemble
bat, und Hans Olden, der heute einer der be¬
Jahr getauscht. Die letzte Stadt des Glau¬
liebteste Schauspieler Wiens ist, es hat in
Die Mitglieder des Deutscher
bens an das Ensemble ist Wien. Im Theater Kurt von Lessen, in Otto Schmöle, in Hans
Volkstheaters haben gegen das in der Josefstadt gibt es ein Ensemble, das
Homma, in dem jüngst wieder entdecktem
Gastspielwesen im Deutschen Volks
eine Anzahl Schauspieler seit Jahren in der
Eduard Loibner eine ganze Reihe starker
theater Protest erhoben.
Geschlossenheit schauspielerischen Aus¬
Charakterspieler, es hat eine Reihe glänzen
drucke zeigt, das Burgtheater hat sein En
der Episodisten. Trotzdem fehlt die Einheit
Die Ensembleschauspieler sehen natürlich
eines stark wirkenden Ensembles, das heute
immer ein wenig scheel auf den großen Gast, semble, das die Geklärtheit, den Konserva
tivismus und die klassische Tradition dieses repräsentativ als Ensemble auftreten und
der den großen Erfolg und meist auch die
Theater repräsentiert. Und das Volkstheater alle die verschiedenen Richtungen des Thea¬
große Gage wegschleppt, während das En
hat ein Ensemble, das einmal für das Gesell¬ters als Ensemble beherrschen kann.
semble sich nur in seinem Schatten danken
schaftsstück ganz besonders geeignet war.
Das werden die Herrschaften über kurz
verbeugen darf. Der Gast räumt ab und das
Wenn man von einer Physiognomie des jetzi¬ oder lang wohl auch einsehen. Hoffentlich
Ensemble hat gewöhnlich das Nachsehen
man spricht vom Gast und die Mitglieder des gen Volkstheaterensembles spricht, erkennt noch, ehe es zu spät ist. Siegfried Geyer.
Hauses figurieren nur so nebenbei als seine
Trabanten. Zu allen Zeiten, auch in den
guten Jahren des Theaters, war das En¬
semble innerlich gegen den Gast eingestellt
wenn es auch in Garderoben und Korrido¬
ren, vor dem Auftreten und in den großen
Szenen mit ihm sehr freundschaftlich um
ging; die Liebe erwies sich stets als truge¬
risch. Der große Schauspieler sieht auf den
kleinen herab, aber der kleine lehnt es ab,
zum großen Bruder emporzuschauen. Schau¬
spieler sind gerecht, aber auch ungerecht.
sie teilen nicht immer die Meinung des Publi¬
kums, sie glauben tiefer in die Geheimnisse
des Metiers zu sehen und nicht jeder Gast
scheint ihnen wert, ein Gast zu sein. Sie ken¬
nen die Konjunkturen, die Zufälle, die per¬
sönliche Reklametüchtigkeit, die einen
Schauspieler oder eine Schauspielerin auf
die Höhen des Theaters wirbelt. Nicht immer
geht es da mit gerechten Dingen zu, meinen
sie, und mancher Ensembleschauspieler emp¬
findet schmerzlich das Unrecht, daß nicht
auch er das Glück hatte, ein berühmter Gast
zu werden.
Jetzt haben die Schauspieler wieder ein
mal Mut gefaßt und sind einfach vor ihren
Direktor bingetreten, um das Gastwesen als
Gastunwesen zu erklären, sie haben die
Wünsche des Ensembles geäußert, das als
Ensemble vor das Publikum gestellt und
gewertet werden will. Alles darum, weil
zwei Gäste im Volkstheater jetzt nicht wie¬