VII, Verschiedenes 13, 1934–1935, Seite 48

„OBSERVER
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WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
erlag. Die
vom
30/7 1934
Begegnungen
mit Ibsen, Wedekind, Schnitzler, Wildgans

stimmt, daß ich mich den ganzen Abend über
Der sonderbare Ibsen
um nichts mehr kümmerte und meinen Groll
in Alkohol ersäufte.
Von Georg Reimers.
Tags darauf aber gab es für mich ein¬
Im Frühjahr 1891, Max Bruckhard war
ganz große freudige Überraschung: um ach
damals unser Direktor, bereitete das Burg¬
Uhr früh brachte mir ein Diener aus dem
Ibsens „Kronprätendenten vor. Hotel Sacher einen Brief von Ibsen. Mit
theater
Wegen der Länge des Stückes und wegen der
einem Bild, auf das er folgende Widmung
Figur des Bischofs Nicolas ergaben sich eine
geschrieben hatte: „Dem lieben Künstler
Reihe ernster Zensurbedenken und es wurde
Reimers in Ergebenheit Henrik
Georg
erwogen, einiges aus dieser Rolle zu strei¬
Ibsen, Wien, 13. IV. 91.
chen, einen Auftritt ganz wegzulassen. Das
ging natürlich nicht ohne Einwilligung des
Wedekind als Partner
Dichters und da ich gerade für ein Gastspiel
Von Maria Mayer.
nach Innsbruck (als Karl Moor) verpflichtet
war und dann einen kurzen Abstecher nach
Vor nahezu fünfundzwanzig Jahren stand
München zu meinem Freunde Franz Defreg¬
ich als Partnerin Frank Wedekind
ger machen sollte, erhielt ich von Direktor
auf der Bühne. Das war in Berlin. Im
Burckhard den ebenso ehrenvollen als schwie¬
Hebbel=Theater wurde im Rahmen einer
rigen Auftrag, mit Ibsen, der damals in
Matinee „Erdgeist“ aufgeführt. Für den
Abend waren die meisten Wedekind=Stücke zu
München lebte, zu sprechen und ihn zur Pre¬
„gewagt“. Steinrück wirkte mit, Johanna
miere einzuladen.
Defregger verschaffte mir eine Verbindung
Terwin war die Lulu, ich spielte die Grä¬
mit dem Dichter und ich ging also eines
fin Geschwitz,
Wedekind war ein wundervoller Interpre¬
Morgens hin, läutete an und er öffnete selbst
seiner Ideen, aber doch kein Vollblutschau¬
die Türe.
Liebenswürdig war der Empfang gerade
spieler. Als Kollege hatte er eine scheue, zar¬
empfindsame Art, die immer wieder für ihn
nicht und als ich ihm die Bedenken wegen
der Gestalt des Bischofs auseinandersetzte und
einnahm. Er war äußerst wortkarg und ich
glaube, daß diese Schweigsamkeit in einer
auf die nötigen Striche hinwies, erhielt ich
ihren
inneren Schamhaftigkeit
immer die gleiche Antwort: „Machen Sie
Grund hatte. Hinter der Szene war er immer
was Sie wollen, das ist mir ganz
von fast krankhafter Nervosität, lief wie ein
egal, das interessiert mich alle¬
Tier im Käfig hin und her und streckte fort¬
nicht." Auch die Einladung, eventuell an
während die Zunge heraus.
den Proben teilzunehmen, wurde abgelehnt.
Der Erfolg des „Erdgeist“ war groß. Wede¬
Man kann also nicht behaupten, daß dieses
Zusammentreffen mit dem Dichter sonderlich kind war sichtlich zufrieden und glücklich. Aber
seine angeborenen Hemmungen hinderten ihn.
ermutigend war. Aber immerhin verhielt er
seiner Freude Ausdruck zu geben. Er konnte
sich den dramaturgischen Ratschlägen gegen¬
ganz einfach nichts sagen. Schüchtern, mit ab¬
über nicht ablehnend und willigte in alle
gewandtem Gesicht, reichte er mir nach der
Vorstellung die Hand. Wortlos. Doch ich
Am Tage der Generalprobe erschie¬
Ibsen auf einmal im Theater, wußte: es hatte ihm gefallen.
schweigsam und wortkarg wie in

Erinnerungen an Schnitzler
München. Nach dem zweiten Akt ging er
weg — wir waren entsetzt, denn wir glaub¬
Von Leopold Kramer.
ten, daß ihm die Aufführung nicht gefallen
Als ich um die Jahrhundertwende nach
habe.
Wien kam, zählte ich sehr bald zum engeren
Nach der Premiere gab es ein großes Fest¬
Freundeskreis der literarischen Jung=Wiener
bankett. Felix Dörmann hatte einen wunder¬
Bewegung; geistiger Führer dieser interessan¬
schön gereimten Festgruß an den Dichter
verfaßt; die Rolle des Sprechers fiel mir zu ten Richtung war Hermann Bahr: Felix
Salten war Theaterkritiker der Monats¬
Ich hatte Ibsen gegenüber meinen Platz und
begann Dörmanns Dichtung schwungvoll zu schrift „Die Zeit“ und Artur Schnitzler
deklamieren, in begeisterter Stimmung, hatte begann damals seinen Siegeszug über die
Bühnen. Fast alle seine Stücke wurden im
ich doch unmittelbar vorher als König Haakon
großen Erfolg gehabt. Als ich geendet hatte. Volkstheater gespielt und ich selbst habe eine
ganze Reihe Schnitzlerscher Gestalten darge¬
sagte Ibsen: „Das war aber nicht
stellt. Aber außer den großen Erfolgen hatten
nett von Ihnen, was Sie eben
gesprochen haben." Jetzt war ich wir Schnitzler noch etwas zu danken — näm¬
lich einen ordentlich geregelten Probenbetrieb.
aber ärgerlich. Zuerst der unfreundliche
Damals gab es jeden Samstag eine Premiere,
Empfang in München, dann nicht ein Wort
die Proben begannen eine Woche vorher An¬
der Anerkennung für meine Leistung — und
genehm war es nicht, unmittelbar nach der
jetzt noch diese Außerung! Ich war so ver¬
de
sehen und so fuhren wir vergnügt und gänz¬
lich unbeschwert (das Gepäck wurde immer
vorausgeschickt) durch die wundervolle Land¬
schaft. Wir unterhielten uns herrlich — aber
beinahe wären wir nicht zu Beer=Hofmann
gekommen. Unversehens wurden wir von
Zigeunern, die sich in einem hohen Getreide¬
feld verborgen hatten, überfallen und nur
unsere Geistesgegenwart hat uns gerettet:
blitzartig führen wir gleichzeitig mit der
Rechten in die rückwärtige Tasche und hielten
drohend das erstbeste Herau gefischte in der
hocherhobenen Hand (ich glaube, es waren
unsere Federmesser). Wir markierten derart
naturgetreu „Schießen“, daß unsere Angrei¬
fer, ohne erst die ihnen entgegengehaltenen
Waffen genauer anzusehen, eiligst die Flucht
ergriffen.
Wildgans-Verse privat
Von Josefine Kramer=Glöckner.
Besonders gerne denke ich an die Begeg¬
nungen mit Anton Wildgans. Es sind
fast auf den Tag zwanzig Jahre her, daß ich
ihn anläßlich der Volkstheater=Aufführung
seiner „Armut kennen lernte. Ich spielte die
Rolle der Mutter. Bekanntlich wurde die Pre¬
miere nicht ganz widerspruchslos aufgenom¬
men, der große Erfolg dieses Stückes stellte
sich erst bei den späteren Aufführungen ein.
Manches mußte noch nach der Generalprobe
umgearbeitet werden und bei aller Liebens¬
würdigkeit verstand es Wildgans, letzten
Endes doch seinen Willen durchzusetzen.
Rührend war seine Dankbarkeit den Schau¬
spielern gegenüber und ich war natürlich sehr
erfreut, als der Dichter mir dann das Buch
mit einer eigens für mich gedichteten Wid¬
mung verehrte:
War ein Kind, als ich die Mutter verlor.
Ein Kind von vier ahnungslosen Jahren.
Kann schon sein, daß ich manches sonst
Hätte anders erfahren.
Als ich deiner Seele Klang
In meinen Worten vernommen,
Ist nach der Mutter, die kaum ich gekannt,
Leis' mir ein Sehnen gekommen.
Hab' mich darob sonst nicht viel gegrämt,
Und dieses mit andrem begraben.
Aber vielleicht wär' es dennoch gut,
Solch eine Mutter, wie du eine bist,
Ja, solch eine Mutter zu haben.