VII, Verschiedenes 13, 1934–1935, Seite 47

13.
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Miscellaneous
30.71
Warum nicht eine Stalin-Gasse?
In Wien werden Straßen und Plätze um¬
benannt. Eine Gasse heißt jetzt nach dem
General Lustig=Prean, der 1932 gestorben
ist — warum heißt eigentlich nicht eine an¬
dere nach dem General Rudolf Slatin, der
ebenfalls 1932 gestorben ist? In der sernen
Stadt Khartum wird eben jetzt ein Haupt¬
platz nach dem Namen Slatin Paschas
benannt; für einen Denkmalbrunnen, der
auf diesem Platz sich erheben soll, wird in
London gesammelt — kein Österreicher und
keine österreichische Amtsstelle hat an dieser
Sammlung teilgenommen. Nun ist es ja so,
daß der Österreicher Rudolf Slatin den
großeren Teil seines Lebenswerkes dem
Sudan gewidmet hatte. (Für die Sudanesen
ist österreich jenes Land, aus dem „Saladin¬
Pascha gekommen war.) Aber hat nicht
Wien, die Stadt, wo dieser große Mann ge¬
boren wurde und wo er begraben liegt,
einigen Grund, sein Andenken zu ehren? Er
hat seinerseits viel dazu beigetragen, daß de
große Welt seine Stadt und sein Land
achtete; ganz abgesehen um die großen Ver¬
dienste, die er sich in Frieden und Krieg
direkt um sein geliebtes Vaterland erworben
hatte. Als Slatin Pascha vor dreieinhalb
Jahren seinen 75. Geburtstag feierte, er¬
innerte sich Wien seines großen Sohnes (den
es zu lange in seiner Alterszurückgezogenheit
vergessen hatte), und der damalige Bürger¬
meister bereitete dem greisen Helden und
Märtyrer, dem in der Welt berühmten ehe¬
maligen Gefangenen des Khalifa, eine letzte
große Freude durch die Überreichung des
Bürgerdiploms. Sollte man jetzt, da Wiener
Straßen neue Namen erhalten, nicht wieder
einmal an eine der großen romantischen
Gestalten der Geschichte denken, an den
Wiener Rudolf Slatin:
Und noch eins: Wie wäre es ferner mit
einem Artur Schnitzler=Platz
Eine Wiener Straße soll von nun an nach
dem Dichter Hermann Bahr heißen, ein
Platz nach dem Dichter Richard Kralik einer
nach dem Dichter Ottokar Kernstock. Das ist
gut und recht; eine Gemeinschaft soll natür¬
lich ihre Dichter ehren; an wen sollten die
Namen der öffentlichen Straßen und Plätze
eher erinnern? Aber hat vielleicht der
Dichter der „Liebelei“ und des „Jungen
Medardus nicht einigen Anspruch darauf
in Wien ebenso geehrt zu werden? Fragt
seinen Freund Hermann Bahr! In seinen
Schriften steht recht deutlich, was er von
Artur Schnitzler gehalten hat; wenn man
das Andenken des einen ehrt, hat man den
andern mitgeehrt, aber geht es nicht auch
direkt? So wie für halb Afrika Wien der
Ort ist. aus dem Slatin Pascha kam, so ist
zum Beispiel für einen nicht unerheblichen
Teil Amerikas Wien die Stadt, die Artur
Schnitzler verherrlicht hat. Schon heute
wundern sich durchreisende Fremde, nicht auf
einem Schnitzler=Platz (irgendwo beim Burg¬
theater) ein Schnitzler=Denkmal stehen zu
sehen. Viele ausländische Freunde Wiens
wurden sich bei uns besser auskennen, wenn
sie auf unserem Stadtplan diese Namen ver¬
zeichnet fänden, die Wiens Ruhm in die
Weite getragen haben: Slatin, Schnitzler.
Hendric.