VII, Verschiedenes 13, 1934–1935, Seite 50


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WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPIION R-23-0-13
ohne
Ausschnitt aus:
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Die Premiere ist am Theater immer auch von den Schatten
einer Geburtsstunde umwittert. Dafür verbindet sie aber den
Vater des Werkes oft zeitlebens mit der Bühne, die der Welt
sein Kind geschenkt hat. Der Autor bleibt der Stätte, die ihm
Glück gebracht hat, gerne treu, oder er kehrt nach wechsel¬
vollen Seitensprungen zumindest reuig wieder zu ihr zurück.
In den Stunden, in denen auf der Szene mit der wider¬
spenstigen Materie, als welche das Publikum zunächst fast
immer erscheint, gerungen wird, wachsen der Schöpfer des
Stückes und das Theater förmlich zusammen, wobei es dann
allerdings auch manchmal geschehen kann, dass sie nur aus
Gewohnheit noch beieinander bleiben. Der Wert einer solchen
dauerhaften Beziehung mag aus der schönen Verbindung
Gerhart Hauptmanns mit dem Deutschen Theater Otto
Brahms, uns näher aber auch aus dem schon geradezu ehe¬
lichen Verhältnis, das Schönherr und Schnitzler mit dem
Burgtheater unterhalten haben, erkannt werden. Wie frucht
bar eine solche Treue sein kann, hatte das Burgtheater auf
dem Gebiete des Lustspiels schon früher erwiesen, als es in
Bauernfeld sozusagen seinen Hausdichter unterhielt, und es
muß als einer der schwersten Vorwürfe gegen Schlenther
gelten, daß er einen österreichischen Lustspieldichter wie Bahr
in den besten Jahren seines Schaffens ausser acht liess, ein Un=
recht, das erst das Burgtheater der Nachkriegszeit mit einer
späten, aber immer noch erfolggesegneten Ehe gutmachte.
Die kurze Spanne Zeit, in der der Dichter zum Vater wird,
stellt an seine Nerven die größten Anforderungen, ob er es
nun äußerlich erkennen läßt oder nicht. Es gibt Autoren, die
hinter der Szene aufgeregt hin und her laufen, keinem ver-
nünftigen Wort zugänglich sind, und verstört nur fragen, ob
es wirklich ein solcher Durchfall sei, auch wenn der Beifall
eben erst über sie niedergegangen war. Von olympischer Ruhe
ist dagegen immer Gerhart Hauptmann gewesen, am liebsten
in seiner Loge draussen, und sich auch von ihr aus ver-
beugend, der vornehmste und gefaßteste Zuhörer seines
Werks. Ein bekanntes Gegenbeispiel war Otto Erich Hart¬
leben, der außerstande gewesen ist, sich bei seinen Premieren
auch nur ein Wort anzuhören, und nebenan im Löwenbräu
saß, während am Burgtheater sein Stück gespielt wurde. Nach
den Aktschlüssen wurde er von einem Theaterfunktionär mit
allen Uberredungskünsten herübergelost, um sich vor dem
Vorhang zu verbeugen. Heute, nachdem das Löwenbräu
längst nicht mehr besteht, bleibt einem ähnlich theaterscheuen
Autor allerdings nur übrig, sich in der äußersten Winkel der
Kantine zu verkriechen. Aber es gibt auch wieder Dichter, die
gerade umgekehrt reagieren und sich mit aller Kraft so an
ihr eigenes Wort halten, daß sie darüber die ganze Umwelt
des Theaters vergessen, wie etwa Heinrich Mann, von dem
es mir unvergeßlich bleibt, wie er bei seiner „Madame Legros
auf einem Sessel unmittelbar an der Kulicae saß und mit einer
inbrünstigen Andacht zuhörte. Richard Beer-Hofmann wieder
fühlt sich bis zuletzt mit seinen Schauspielern verbunden und
er ist bei ihnen, bis zum entscheidenden Moment, wo sie auf
die Szene hinaustreten, und folgt ihnen von der ersten Gasse
aus, suggestiv allein schon durch seine Anwesenheit. Es ist ein
imposanter Zug von Dichtern, die im Burgtheater vor dem
Vorhang des neuen Hauses erschienen sind, um hinter ihr
Werk zu treten und sich vor dem Wiener Publikum dankend
zu verneigen. Er reicht von Ibsen bis zu Galsworthy und
Lenormand, von Georg Hirschfeld, Ernst Hardt und Edward
Stucken bis zu Fritz von Unruh, Georg Kaiser und Carl
Zuckmayer, von Wilbrandt bis zu Billinger.
Sind die aufregenden Spannungen einer Premiere dann vor-
über, so greift der Dichter, der Ubung folgend, noch einmal
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VON ERHARD BUSCHBECK
zum überlegten Wort, um dem Theater oder seinem Direktor
für die Aufführung zu danken. Das Archiv des Burgtheaters
enthält, sofern ihm die betreffenden Briefe nicht als Privat-
korrespondenz der Direktoren verloren gegangen sind,
mannigfache Dokumente dieser Art, oft verbirgt sich hier der
Dichter wohl hinter den erstarrten Formeln üblicher Höflich¬
keit, aber es geschicht auch, daß sich unter diesem Schleier
offiziellen Dankes unerwartet sein Herz öffnet und Gefühle
laut werden, die über den unmittelbaren Anlaß hinausgehen.
Für diesmal sei nur ein schöner Brief Arthur Schnitzlers
veröffentlicht, den er nach der Premiere von „Der junge
Medardus an Alfred Berger gerichtet hat:
„Sehr verehrter Herr Baron! Es ist mir ein Herzensbedürf¬
nis, nun nachdem unsere Arbeit am Medardus mit so guten
Gelingen zu Ende ging, Ihnen vor allem, dem ausgezeichneten
Regisseur der Vorstellung, Herrn Thimig, und den übrigen
Beteiligten meinen innigsten Dank zu sagen. Die Aufführung
meines Stückes am Burgtheater hat mir eine seltene und tiefe
Befriedigung gewährt. Aber welche andere deutsche Bühne
wäre heute auch imstande, für die beiden in meiner Historie
vertretenen Gestaltengruppen, die des Volksstückes und die des
stilisierten Dramas, ein Künstlerpersonal von gleichem Range,
in gleicher Vollständigkeit beizustellen und dabei den Ein-
druck vollkommener Ausgeglichenheit und Einheitlichkeit
hervorzubringen. Als besonders erfreulich empfand ich es, daß
sich die im Laufe des letzten Jahres hinzugewachsenen Kräfte
so glücklich in die Gesamtheit gefügt haben, als gehörten sie
seit lange dazu: ein Beweis nicht nur für die Stärke dieser neu¬
gewonnenen Begabungen, sondern auch für die immer leben¬
dige sowohl in der Macht der Traditon als in den Gesetzen
der Entwicklung begründete Assimilierungskraft des Burg¬
theaters. Das Vorhandensein dieser Kraft zu fühlen, sie im
richtigen Moment zu nützen, dazu gehört freilich nicht nur
eine gewisse allgemeine direktoriale Begabung, sondern viel¬
leicht noch mehr ein persönliche Verhältnis zu unserer Bühne
und dem Fleck Erde, auf dem sie, t. Im übrigen möchte ich
hier auch aussprechen, daß nient nur die Aufführung als
solche, sondern auch die Probenzeit zu den angenehmsten
Erfahrungen meiner theatralischen Laufbahn gehört, und das
es mich mit wirklicher Genugtuung erfüllt hat zu schen, mit
welcher Unermüdlichkeit sich alle Darsteller und Darstel¬
lerinnen in den Dienst der Sache gestellt haben, die berühm¬
ten geradeso wie die nicht, oder noch nicht berühmten, die,
denen dankbare Rollen zugewiesen waren geradeso wie die,
die auf keinen Sondererfolg rechnen durften. Auch den
verständnis und phantasievollen Künstlern fühle ich mich
verpflichtet, die um das bemüht waren, was man übereinge¬
kommen ist, die Ausstattung eines Stückes zu nennen und
was, in unserem Fall von noch wesentlicherer Bedeutung als
sonst, durch historische Treue und Gegenwartsglanz das Stück
erst zu seiner ganzen sinnfälligen Wirkung gebracht hat. Auch
des technischen Personals und der sonstigen Hilfskräfte will
ich in diesem Zusammenhang nicht vergessen, denen es so
trefflich gelungen ist, die schweren, an ihre Tüchtigkeit und
Verläßlichkeit gestellten Anforderungen zu erfüllen. Was
aber die letzte szenische und schauspielerische Ausgestaltung
meiner dramatischen Historie vom jungen Medardus Ihren Rat¬
schlägen, Ihrer Mitarbeit und ganz besonders Ihrer inneren
Anteilnahme, verehrter Herr Baron, schuldig geworden ist,
möge dem Leiter des Burgtheaters ein möglichst anhaltender
Erfolg besser danken als meine Worte es vermögen.
In aufrichtiger Hochschätzung Ihr herzlichst ergebener
Arthur Schnitzler.