VII, Verschiedenes 13, 1936 undatiert, Seite 34

Prager Tagblatt Nr. 272
Requiem, „Judas Makkabäus. Den Höhepunkt in der
Vereinsgeschichte bildete die zum hundertjährigen Ge¬
ERNA TERELL
denken aufgeführte „Missa solemnis“ von Beethoven
die bekanntlich seinerzeit in Warnsdorf ihre Urauf
und
führung erlebte. Heute gelangt das Chorwerk „Der
Totentanz von Woyersch (gebürtig aus Troppau
zur Aufführung. Dirigent: Prof. Steffen
Der neue Céline. Dem sensationellen Roman „Reis¬
Der erste Erfolg
ans Ende der Nacht“ folgt in den nächsten Tagen
In einer Rede in der Wiener Frauenschaft hielt
deutsche Uebertragung von Cölines neuen Wer
zum Todestag Arthur Schnitzlers Felix Salten
„Tod auf Borg (wiederum im Verlag, Juliu
eine Rede. Wir entnehmen ihr einige Stellen:
Kittls Nachfolger). Zu Beginn der Erzählung wir
... Wir lernten einander in der engen Redaktions¬
man mit dem Erzähler bekannt gemacht: Es ist de
stube der Zeitschrift „An der schönen blauen Donau
Arzt aus der zweiten Hälfte der „Reise". Aus erotisch
kennen. Schnitzler war damals ein junger Arzt,
phantastischen Fieberträumen erwächst die Rückscha¬
27 Jahre alt. Später versammelten wir uns regel¬
auf Kindheit und Jugend. Ein Kind wächst ins Lebe
mäßig in Schnitzlers Junggesellenwohnung, ein
hinein, neben dem Vater, dessen Träume verkümmer
kleiner Kreis gleichgestimmter junger Menschen. Sie
sind, der Mutter, die mit zähem Lebenswillen gestra
können sich heute jene Zeit kaum vorstellen, in der
ist. Die dumpfe stinkende Passage mit ihrem Geruch
wir anfingen, in der wir unbekannt waren und von
von Kleinhändlern wird geschildert, eine plantastisch
denen, die uns hie und da zu bemerken geruhten
Ueberfahrt nach England, die ersten unheilschwan
für verrückt oder für verbrecherisch gehalten wurden.
geren Schritte des jungen Pechvogels; schließlich de
Ein üppiges Epigonentum herrschte unumschränkt.
dichterische Höhepunkt des ersten Teils: der im en
Ueberall, auf allen Kunstgebieten galt nur das Süße
lischen College handelnde Abschnitt. Der zweite Tei
das aus zweiter und dritter Hand Ueberlieferte als
ein Satyrspiel von gewaltigen Dimensionen, vo
das einzig Erlaubte. Gegen die Jungen, gegen die
einer erdichteten Figur beherrscht: dem geniale
Neuen, die auf dem festen Boden naturwissenschaft¬
Charlatan und Abenteuerer Courtial des Pereire
licher und sozialer Erkenntnisse bauten, ging man
einem Mann von grandioser Erfindungsgabe, wilde
zornig eifernd los. Worte von damals: Tempel¬
Phantasie und einem düsteren Humor, der nich
schänder! Mistharke! Kloake! Das Wirkliche, das
seines gleichen hat. „Mort à crédit, ist eben
Erlebte, das Problem der Not, die gestaltete Wahr¬
elementar, vielleicht noch schwerer, drückender, als die
heit verfolgte man als schnöden Verrat am „Ideal",
„Reise". Der französische Kritiker Elie Faure schrie¬
Was aber war das „Ideal? Ich kann es nicht sagen, wurde für eine Reihe von Gastspielen an das Deutsche
„Dieses Buch ist fürchterlich rein: rein und hart w
ich müßte Ihnen etwas aus dem „Trompeter von Theater verpflichtet. Frau Terell, die Gattin des Trop ein Diamant,
pauer Theaterdirektors Terramare, ist bisher an großen
Säkkingen“ zur Erklärung vorsingen
Prager Konzerte. Bruno Walter dirigiert an
Bühnen Deutschlands und Wiens aufgetreten.
Schnitzers Vater, berühmter Arzt, Professor, Re¬
9. Dezember ein Konzert, das zu Ehren seines se¬
gierungsrat, blickt kummervoll auf die literarischer
zigsten Geburtstages stattfindet. — Am 11. Dezembe
Arbeiten des Sohnes. Trifft er einen von uns, er¬
konzertiert Pablo Casals in der Lucerna.
und jene Reinheit in Ton, Blick, Wesen, die den
geht er sich in Vorwürfen. „Was wollt Ihr vor
Studenten Gedichte werden gesucht. In nächste
Himmel einlädt, sich in ihr zu spiegeln. Sie ist
Arthur? Ihr seid schuld, wenn er sich mit diesen
Zeit soll ein Band Gedichte unter dem Namen „S.
großartig als martialische Jungfrau, auch im Wort
Dummheiten seine ärztliche Karriere verpatzt.
detendeutsche Studentenlyrik erscheinen. Alle Sti
gefecht, rührend in den Augenblicken der Schwäche
Sicherlich wäre Schnitzler ein bedeutender Arzt ge¬
denten, die gewillt sind, an diesem Gedichtband mit
und von Schiller in jenen der aufflammenden hoher
worden, weil er eben ein bedeutender Mensch war
zuarbeiten, werden ersucht, ehest ihre Manuskripte
Auch an ihm hätte sich das Sprüchel unserer alter
Entschlossenheit, sowohl der zur Tat, wie der zum die mit einem Kennwort versehen sein müssen,
Leiden. Nicht ganz so überzeugend glückt der Frau
Köchin bewährt: „Gnä Frau, wenn einer Talent hat,
Erich Heger, Prag VII., Strojnická 18, einzu
Wessely das Visionäre. Zum frommen Augenauf¬
nachher hat er überall Talent.“ Aber Schnitzler hat
senden.
schlag gesellt sich da bei ihr stets jener Aufschlag der
die Medizin keineswegs freiwillig gewählt. Nur
Uraufführung. Zu unserem gestrigen Referat übe
Stimme in die selige Höhenlage (wo schon mehr
widerstrebend ging er jeden Morgen in die Poli¬
die dänische Sängerin Inger Raasloff ist nachzutragen
klinik, wo er Assistent seines Vaters war. Das ärzt. Singen ist als Sprechen), auf den als typisch daß die Künstlerin den Liederzyklus „Unterm Schnee
Wesselysches Kunstmittel es die Nachahmerinnen der von Falie Reißerova zur Uraufführung bracht
liche Studium war hauptsächlich die Ursache, daß
großen Schauspielerin scharf haben. Hermann Thi¬ Der heimischen Komponistin (sie ist Roussellschülerin
ihn der Gedanke an den Tod nie verläßt. Während
deren Orchesterstücke und Orchestergesänge in Pro¬
wir einmal den Kahlenberg hinausgehen, sagt er mig ist der Dauphin, dem eine Krone auf das wenig
bereits bekannt sind, ist es in den neuen Liedern
plötzlich: „Würden Sie so fröhlich einen Berg hin königliche Haupt zu setzen, die fixe Idee der Legiti
lungen, kontrastierende Stimmungen in prägnante
aufspazieren, wenn Sie wüßten, daß Sie oben in mistin Johanna ist. Mit dem sparsamsten Auswan¬
Weise zu zeichnen und die geistigen Werte voll aus
einen finsteren Abgrund stürzen? Nicht wahr, nein! an Drastik, mit feinstem Maß und Takt im Komischen
zuschöpfen.
Und doch tun das alle Menschen, alle." Ihm, der und Absonderlichen gestaltet Thimig das rundum
Die erste Esperanto-Kantate. Der Prager Komponi
in den Spitälern so viele Menschen sterben gesehen vollendete Exemplar eines unvollendeten Menschen
Emil V. Müller hat die erste Kantate im Esp.
hatte, erstand der Tod als schöpferischer Mitarbeiter
Sehr schön, wie er spürbar macht, daß der von der ranto: „Prego sub la verda standardo" („Das Geb¬
Natur und den Menschen Gedemütigte doch dumpf unter der grünen Fahne") für Soli, Chöre und große
bei jedem Spiel des Lebens.
Eines Tages ruft er uns zur Vorlesung seines den Anspruch aufs Erhöht werden in sich trägt. Nie¬ rchester nach dem Gedicht von Dr. L. L. Zamenho
mals, trotz allen Spuren geistiger und körperlicher beendet. Das Werk wird auf dem internationale
Stückes „Liebelei. Eine melancholische Walzer¬
melodie schien dieses Wort zu durchwehen. Die drei Vernachlässigung, wird die Figur in Thimigs Spiel Weltkongreß für Esperanto in Warschau uraufgeführ
Konzertkarten für guten Schulerfolg. Die Dire
Akte besaßen den Zauber einer Ballade, die etwas vulgär, nicht mit dem kleinsten Schritt verläßt sie
tion einer großen Schule in Birmingham hat ver¬
ewig Menschliches ins Zeitlose rückt. Da ist die den Bezirk der Natürlichkeit. Hermann Thimig ist
fügt, daß den besonders guten Schülern in Hinkun
Liebe, ist das jugendselige Leben verklärt wie das die seltene Erscheinung eines Künstlers, der im Burg
Belobungsprämien in Form von Konzertkarten ve¬
schmerzliche Sterben. Da leuchtet das musikdurch theater aufblüht. Sein Goldonischer „Lügner etwas teilt werden. Birmingham gilt als eine der musi
klungene Wien. Da geht das Wiener Mädchen ein Glanzstück entfesselter komödischer Laune. Oder begeistertsten englischen Städte.
unschuldsvoll tragischem Geschick entgegen, da schwebt vor kurzem sein „Schneider im Schloß, bezaubernd
Neue Bücher. Der Verlag E. P. Tal gibt soebe¬
es unschuldsvoll und leichtfertig von Vergnügen zu
u. a. durch die ganz besondere Art von Grazie, die zwei dem Flugwesen gewidmete Bücher heraus. Unte
Vergnügen. Und durch das gewittergleiche Absausen
es entwickelte: eine streng bürgerliche Grazie sozu dem Titel „Eroberung des Himmels" ei
des Dramas schimmert beständig das milde Licht
schien eine Geschichte des Fluggedankens, die selt
sagen.
samerweise bisher fehlte, obwohl die Aviatik
verstehender Güte. Mit diesem Werk war Arthur
.
Mittelpunkt so vieler friedlicher und leider auch kri
Schnitzler ganz zu sich selbst gelangt. Als der Abend
gerischer Jnteressen steht. Der Autor Peter Thoen
Die Verleihung der Kulturverbandspreise. Der
kam, an welchem „Liebelei“ im Burgtheater erschien
Deutsche Kulturverband hat bekanntlich beschlossen, all verfolgt den alten Menschheitstraum des Fliegen
lebte Schnitzlers Vater nicht mehr. Sonnenthal je¬
von mythischer Sage bis zur modernen Maschine
jährlich fünf Preise zu je K 5000,— für Leistungen
doch, der nach dem Anatol an Schnitzler geschrieben
Zwanglos entsteht etwas, was man den spannende
hatte: „Lieber Arthur, Du hast absolut kein Ta= auf dem Gebiete des Schrifttums, der Musik, der dar¬
Entwicklungsroman einer großen Idee nennen könnte
stellenden Kunst, der Volkskunde und der Volkstum¬
t", spielte den alten Weyring. Wir alle sahen
— Gleichfalls romanhaft spannend schildert Anne D
der Premiere mit einem Bangen entgegen, das man arbeit zu verleihen. Die Verbandsleitung des Deutscher
Lindbergh („Ich fliege mit meinem Mann") de
heute nicht mehr begreift, das man damals schon Kulturverbandes gibt bekannt, daß die Zuerken¬
Weg des Flugzeug von New York nach China, wob
nung der Preise nicht im Wege eine
als kürzeste Route der Weg über das Polargebiete
wenige Tage nachher nicht mehr recht begriffen hat
Wettbewerbes erfolgen wird, sondern daß sie
scheint. Die Fachleute warnten, aber Lindbergh bestan
In der Nacht vorher sagte mir Direktor Dr. Burck¬
von einem Prüfungsausschuß, der sich aus dem fach¬
auf seinem Willen. Die humorvolle Frau begleit
hard: „Vielleicht brech ich mir morgen das Genick,
ihn als Bordfunker. — Im gleichen Verlag erschi¬
zuständigen Vertreter der Deutschen Hochschule in Prag
Aber das muß ich halt riskieren. Ueber so ein Wer¬
„Ludwig II. von Bayern", das „Leben eine
dem Referenten der Volksbildungsabteilung des Deut¬
zu stürzen ist keine Schand!“ Vom Erfolg brauch¬
tragischen Schwärmers“, von Ferdinand Mayr=Ofe
schen Kulturverbandes und einem schaffenden Menschen
ich nicht zu sprechen, der gehört der Geschichte an.
Wagner, Bismarck, Elisabeth von Oesterreich, Kai¬
des betreffenden Sachgebietes zusammensetzen wird, an
Doch die Wandlung, die sich im allgemeinen Urteil
sind die großen Begegnungen des romantischen Her
Grund einer unabhängigen und sachlichen Wertung der
schers. — Im Verlag Dr. Rolf Passer (Wien) erschie¬
vollzog, war interessant. Der Spott verstummte. Man
vorliegenden Gesamtleistungen verliehen werden. Es
Karel Capeks Sammlung meisterlicher Kur
sing zu verstehen an, wie durch „Liebelei“ dieses
bleibt jedem Künstler und Wissenschaftler freigestellt, geschichten „Aus einer Tasche in die ander¬
ferne
Wien, diese wienerische Menschheit und Menschlich¬
auf sein Schaffen aufmerksam zu machen, doch erfolgt der neue Roman der Colette „Die Katze
keit in der Dichtung Heimatsrecht erworben hatt
die Preiszuerkennung selbstverständlich nach Beur¬
Von 700 auf 600.000 Kr. London. In einer Au
Von heute gesehen darf man ruhig feststellen, daß
Arthur Schnitzler einer der Ersten gewesen ist, der teilung aller, auch der nicht vorgelegten Arbeiten, so
tion wurde für 5 Pfund (zirka 700 K) ein klein¬
daß der Preis auch ohne weiteres einem Künster oder Bild eines unbekannten Autors, das den Hl. Hier
den österreichischen Gedanken künstlerisch wirksam
Wissenschaftler verliehen werden kann, der weder sein
nymus im Gebet in der Wüste darstellt, angebote
ausgesprochen hat.
Arbeit eingereicht, noch auch sich eigens beworben hat
Es wurde festgestellt, daß das Bild ein Werk eine
Vor allem sollen junge aufstrebende Talente gefördert
Meisters der Schule von Padua, wahrscheinlich
werden. Für die Beteilung mit den Preisen kommen
Andreas Mantegni, ist. In 20 Minuten stie¬
Die Wessely als Johanna
alle Schaffenden sudetendeutscher Herkunft in Frage
Pfund ungefähr