VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 14

13. Miscellaneous
box 44/10
RATIS
I. Oesterr.
OBSERVER ben rc. von
der Zeitungsnachrichten
E WOLLE
Berliner Börsen=Zeitung Nr. 169, Sonntag, 9. April.
Versäuberscheinungen der Novelle.
Hand in Hand mit der Verflachung der literarischen
durch eine Sammlung genügsamer Gelegenheitsarbeiten
Ansprüche geht die Verlotterung der literarischen Begriffe
enttäuscht. Diese Enttäuschung beginnt schon bei der Titel¬
und Gesetze. Mit am deutlichsten zeigt das eine der
geschichte, die schnell entschlossen in die robustere Hand¬
schwierigsten und empfindlichsten Arten der Darstellung:
werklichkeit der Erzählung umschwenkt. Welche ironische
die Novelle. Irgendwelche lockeren Szenenfolgen,
Heiterkeit könnte etwa von „Klementine auf Besuch aus¬
plaudersame Unterhaltungen, flüchtigen Skizzen werden
gehen, wenn es nicht mit der dröhnenden Derbheit eines
kurzerhand als „Novellen“ ausgegeben -
wer fragt noch,
Bühnenstars auf Gastspielreisen vorgetragen wäre. Nach
von einer verschwindenden Minderheit abgesehen, nach dem
dem „Schuß im Walde aber, der nicht mehr Kino, sondern
Gebot der Einzigartigkeit, wer nach jenem Gesetz, das die
nur noch Kientopp ist, kostet es große Ueberwindung, das
Strenge der Form und die Leichtigkeit des Vortrages zum
Buch weiter zu lesen.
scheinbar widerspruchsvollen, aber darum um so reizvolleren
Der dritte Oesterreicher im Bunde ist Raoul
Grundelement der Novelle zusammenbindet! Aber was ist
Auernheimer mit einem Büchlein „Der gefähr¬
in allen menschlichen Dingen leichter als die Verkündung
liche Augenblick (L. Staackmann Verlag, Leipzig)
irgendeiner Anarchie
Es hat einen reizenden Einband. Das Titel „Abenteurer“
Stellen sich da beispielsweise gleich fünf „novellistische“
in dem ein gebluffter Liebhaberbaron seiner Operndiva am
Neuerscheinungen auf einmal ein. Namen darunter wie
ellichten Vormittag eine Ohrfeige ins Gesicht knallt, soll
Schnitzler und Salten, denen der Nimbus eines einst
„fast eine Tragödie sein. Geht die Anspruchslosigkeit schon
beträchtlichen Kurswertes an der täglichen Literaturbörse
so weit, daß eine sehr selbstzufrieden vorgetragene Tragi¬
anhaftet. Die Sammlung bisher unveröffentlichter
komödie bestenfalls!) über ein abgedroschenes Thema
„Novellen, Legenden und Skizzen", die der
ernst genommen wird? Oder gar die „Locke der Berenike",
Verlag S. Fischer unter dem Titel „Eine kleine
süßer Backfischklatsch im Stil der Zopf=Zeit, der ständig
Komödie“ herausbringt, soll Schnitzlers Frühreife
vorgibt, humor voll zu sein? Aber der Einband ist wirklich
als Erzähler bekunden. Eine Notwendigkeit, die spielerischen
sehr hübsch. Da verzeiht man sogar die fürchterlichen
Flüchtigkeiten auszubreiten, die der Verfasser selbst ver¬
Tuschzeichnungen in bescheidenster Neuruppiner Bilder¬
schwieg, ist kaum zu finden. Schnell ermüdet man an der
bogen=Manier.
Enge und Armut des gleichförmigen Stoffes: das problem¬
Etwas anders liegt der Fall schon bei Ernst Exi¬
lose Liebesverhältnis erscheint als das A und O dieser
Auch seine „Künstler, Kämpfer, Kosaken
Art von Lebensauffassung. Nicht eine Stärke des Gefühls
Adolph Sponholtz, Verlag, Hannover, haben mit der
entscheidet hier, lediglich der Grad der Häufigkeit des dem
Erfordernissen der Novelle nichts gemein. Auch schenk
Zufall überlassenen Zusammentreffens. Liebelei ist Lebens¬
er sich und seinen Lesern nichts, was an geschraubten
problem schlechthin; sie wird aus halb schauspielerischer, halb
Redensarten und Floskeln in schlechten Zeitungsromanen
genießerischer Sucht nach Selbstdarstellung zum vermein¬
der letzten dreißig Jahre zu finden ist. Aber wenn er
lichen Schicksal
„Sentimentalität ist unter Preis er¬
sehr streng gegen sein plötzlich einfallendes Schriftdeutsch¬
handeltes Gefühl“; Schnitzler, der diesen Satz einmal
Pathos würde und sich zu einer natürlichen Einfachheit
sprach, schlägt sich hier eigenen Waffe. Chaise¬
der Schilderung durchfände, könnte er ein guter Erzähler
longueszenen oder Duelle — es gibt gleichviel; die für den
werden.
Tagesgebrauch gerade noch ausreichenden Gefühlchen laufen
Der einzige, der unter den fünf novellistischen Neu¬
mit der niedlichen Monotonie einer Spieluhr ab.
erscheinungen die Novelle als literarische Form erfaßt
Schlimmer noch, wenn sich die schauerromantische
hat, ist der vor fünf Jahren tödlich verunglückte
Szenerie von Sterbezimmern und Friedhofen als Kulisse
italienische Freund James Joces, Italo Svevo („der
mit der Regelmäßigkeit eines Repertoires einstellt. Hier
italienische Schwabe"), richtig Ettore Schmitz, ein italienisch¬
scheut die Theatralik, die man wie die Zigarette braucht,
deutsches Mischblut. Er ist eine besondere Erscheinung
auch die Geschmacklosigkeit nicht. Heute wirken diese mit
insofern, als er nach vielen schweren Enttäuschungen erst
leichter Hand hingeworfenen Unwichtigkeiten nur noch als
als hoher Sechziger unter ausländischem Einfluß von
frühdekadente Eleganz und stilistische Galanterie. Unter
seinen südlichen Landsleuten anerkannt wurde. Das bei
den vielen Dutzendfeuilletons sind solche Nichtigkeiten wie
Müller und Kiepenheuer, Potsdam, erschienene Bändchen
etwa „Welch eine Melodie, die man im Anfang gern als
„Ein gelungener Scherz, außer einem Roman
Ausdruck eines überlegenen Sarkasmus nehmen möchte,
die bisher einzige deutsche Uebersetzung aus seinen Werken,
unentschuldbar; dann schon lieber noch solche falsche
zeigt eine breit hinströmende, altersgereifte Schilderung,
Dramatik wie in der Erzählung „Der Nächste“, Kitsch in
die freilich durch allzu weit ausholende Freude an ab¬
Reinkultur. Einsam steht inmitten dieses Tands das kleine
lenkenden Details oft ermüdend wirkt. Ihn mit Flaubert,
Bild „Reichtum,
Balzac oder gar Jean Paul in einem Atem zu nennen,
Ganz Aehnliches gilt von dem Buch Felix
wie seine Freunde wollen, geht entschieden zu weit.
Saltens, das unter dem Namen „Mizzi (Paul
Zsolnay Verlag) Novellen verspricht und den Leser dann
Karl Frank.