sans
box 44/10
dernen literarischen jungen Mann¬
(in diesen Tagen erscheinenden) dritten Heft ber
chen Zeitschrift „Hyperion" (Verlag Hans von Weber
in München) veröffentlicht Franz Blei drei Briefe an einen
imaginären „jungen Mann“, der ihn zu Beginn seiner
schriftstellerischen Laufbahn um Rat fragt, wie er solche am
besten und aussichtsvollsten ins Werk setzen könnte. Wir
geben aus den uns vom Verlage zur Verfügung gestellten
Aushängebogen schon heute den folgenden köstlich satirischen
Abschnitt wieder:
Was ich Ihnen, verehrter Herr, im andern Briefe schrieb,
betraf einiges Ihres äußeren Lebens, Ihre Aufmachung so¬
zusagen (um Ihre Existenz in einem Worte zu nennen), war
die Lehre von der auffälligen Unauffälligkeit, von der an¬
maßenden Bescheidenheit, von der Zurückgezogenheit, die
überall ihre Fühler hat, von der Harmlosigkeit, die immer auf
dem Sprung ist. Ich gab Ihnen einige Vokabeln in Ihr
Kaleidoskop, nun drehen Sie es bitte und lassen die Leute
durchschauen, aber nicht sich durchschauen. Sie sind manchmal
etwas absonderlich, aber immer comme il faut, nehmen öfter
mit H. v. H. den Tee und grüßen im Theater etwa vage nach
der Richtung hin, wo Herr Arthur Schnitzler sitzt, den Sie
natürlich dazu gar nicht zu der Sie nicht,
und sagen zu Ihrer Nachbarin in der Loge: „Der gute
Schnitzler wird immer dicker. Aber sagen nicht etwa, Sie
wären gut befreundet mit ihm, denn die Dame könnte Lust
bekommen, durch Sie Herrn Schnitzler kennen zu lernen. Ich
sagte Ihnen schon: nie lügen! Immer nur so tun. Ihre
Rede muß immer so sein, daß der Zuhörer das für Sie An¬
genehmste mit Ihrer leichtnickenden Nachhilfe heraushören
kann, aber auf seine Kosten und Gefahr. Sie müssen leichten
Herzens in der schwierigsten Situation fragen können: „Habe¬
ich je gesagt, daß ...?
Von der Freiheit, die Sie sich damit
Ihrem späteren kritischen Tun vorbehalten, gar nicht zu
reden. Wie die Dinge jetzt liegen und auch späten liegen
werden, dürften weder Herr von Hofmannsthal noch Herr
Schnitzler je den Wunsch haben. Sie persönlich kennen zu
lernen. Es genügt, daß Sie die Herren auf Ihre Weise per¬
sönlich kennen. Außerdem kennen Sie Peter Altenberg auf
jede Weise persönlich, denn P. A. kennt jeder, da er in Ihrer
Stadt eine öffentliche Einrichtung ist. Lassen Sie es sich mit
ihm genügen. — Wenn ich kurz noch nachhole, daß Sie das
Bekanntwerden Ihrer wirklichen Liebesaffären durchaus ver¬
meiden müssen — Frauen und Kammerdienern ist nichts
heilig —, dafür aber Ihre fingierten Verhältnisse, so weit sie
ganz außer der Kontrollierbarkeit durch Ihre Gesellschafts¬
klasse, also in höheren Kreisen, stehen, unter der Hand ver¬
breiten — seien Sie sehr mäßig —, glaube ich nur so Ge¬
ringes im Bereich Ihres äußeren Lebens vergessen zu haben,
wie, daß Sie z. B. nicht rauchen, nie von Wilde oder was
gerade der Tagesenthusiasmus ist reden und im allgemeinen,
so schwer es auch einem jungen Mann wird, lieber zuhören
sollen. Mit einem gut dreinschauenden Kopf schweigen, wenn
über große Dinge gesprochen wird, bringt den guten Kopf oft
in den Ruf, größer als die großen Dinge zu sein. Schweigen
hat immer etwas Bedeutungsvolles und blamiert nie. Fran¬
zösisch sprechen Sie; im Englischen lernen Sie noch hundert
Vokabeln über das hinaus, was man beim deutschen Tennis
braucht; italienisch behaupten Sie lesen, aber nicht gleich gut
sprechen zu können; birmanisch treiben Sie als Liebhaberei.
Ihr Bücherl in zweihundert Exemplaren ziehen Sie, kaum
daß es erschienen ist, sofort aus dem Handel schreiben in jedes
Exemplar eine beziehungsvolle Widmung die genanntesten
Autoren Europas und schicken es ihnen eingeschrieben mit
der Adresse des Absenders und dem handschriftlichen Ver¬
merk nicht mehr im Handel“. Den Sendungen an die be¬
rühmten deutschen Autoren geben Sie auch noch einen Brief
bei, der den Empfänger zu irgend einer Antwort mit jedem
Satze reizt. Nach diesem ersten Schlag verlassen Sie sofort
die Stadt, wie in Scham darüber, daß Sie durch das Buch
Ihren bisherigen Ruf als europäischer Gentleman schädigten.
Deuten an, daß drängende Freunde die Schuld an der Ver¬
öffentlichung trügen, an die zu denken Ihnen bei dem heutigen
Tiefstande unserer Dichtung nie auch nur im Schlafe einge¬
fallen wäre. Und hätten ja auch sofort die ganze Auflage
einstampfen lassen. Dies und ähnliches schreiben Sie auf dem
wappengezierten Briefpapier eines Bekannten, zu dem Sie
sich für die vierzehn Tage zur Jagd einluden, an ein paar
Leute, von denen Sie genau wissen, daß sie überall hinkommen
und aus Mangel an eigenem fremde Bagatellen mit großer
Wichtigkeit erzählen. Vergessen Sie nicht: immer noch sind
Sie der keusche Amateur, wenn auch bereits mit einem wort¬
los zugegebenen Stich in den Berufenen; irgend was an
Ihnen, im Gang, in der Haltung, in der Kravatte, muß
dieses Geständnis unbefragt machen. Sie müssen diskret
merken lassen, wie heftig Sie sich noch gegen das Dichterische
das in Ihnen ist, sträuben. Wie es aber doch stärker ist als
all Ihr gegensätzlicher Wille, wie es eben eine Elementar¬
kraft ist, gegen die sich nichts wachen
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dernen literarischen jungen Mann¬
(in diesen Tagen erscheinenden) dritten Heft ber
chen Zeitschrift „Hyperion" (Verlag Hans von Weber
in München) veröffentlicht Franz Blei drei Briefe an einen
imaginären „jungen Mann“, der ihn zu Beginn seiner
schriftstellerischen Laufbahn um Rat fragt, wie er solche am
besten und aussichtsvollsten ins Werk setzen könnte. Wir
geben aus den uns vom Verlage zur Verfügung gestellten
Aushängebogen schon heute den folgenden köstlich satirischen
Abschnitt wieder:
Was ich Ihnen, verehrter Herr, im andern Briefe schrieb,
betraf einiges Ihres äußeren Lebens, Ihre Aufmachung so¬
zusagen (um Ihre Existenz in einem Worte zu nennen), war
die Lehre von der auffälligen Unauffälligkeit, von der an¬
maßenden Bescheidenheit, von der Zurückgezogenheit, die
überall ihre Fühler hat, von der Harmlosigkeit, die immer auf
dem Sprung ist. Ich gab Ihnen einige Vokabeln in Ihr
Kaleidoskop, nun drehen Sie es bitte und lassen die Leute
durchschauen, aber nicht sich durchschauen. Sie sind manchmal
etwas absonderlich, aber immer comme il faut, nehmen öfter
mit H. v. H. den Tee und grüßen im Theater etwa vage nach
der Richtung hin, wo Herr Arthur Schnitzler sitzt, den Sie
natürlich dazu gar nicht zu der Sie nicht,
und sagen zu Ihrer Nachbarin in der Loge: „Der gute
Schnitzler wird immer dicker. Aber sagen nicht etwa, Sie
wären gut befreundet mit ihm, denn die Dame könnte Lust
bekommen, durch Sie Herrn Schnitzler kennen zu lernen. Ich
sagte Ihnen schon: nie lügen! Immer nur so tun. Ihre
Rede muß immer so sein, daß der Zuhörer das für Sie An¬
genehmste mit Ihrer leichtnickenden Nachhilfe heraushören
kann, aber auf seine Kosten und Gefahr. Sie müssen leichten
Herzens in der schwierigsten Situation fragen können: „Habe¬
ich je gesagt, daß ...?
Von der Freiheit, die Sie sich damit
Ihrem späteren kritischen Tun vorbehalten, gar nicht zu
reden. Wie die Dinge jetzt liegen und auch späten liegen
werden, dürften weder Herr von Hofmannsthal noch Herr
Schnitzler je den Wunsch haben. Sie persönlich kennen zu
lernen. Es genügt, daß Sie die Herren auf Ihre Weise per¬
sönlich kennen. Außerdem kennen Sie Peter Altenberg auf
jede Weise persönlich, denn P. A. kennt jeder, da er in Ihrer
Stadt eine öffentliche Einrichtung ist. Lassen Sie es sich mit
ihm genügen. — Wenn ich kurz noch nachhole, daß Sie das
Bekanntwerden Ihrer wirklichen Liebesaffären durchaus ver¬
meiden müssen — Frauen und Kammerdienern ist nichts
heilig —, dafür aber Ihre fingierten Verhältnisse, so weit sie
ganz außer der Kontrollierbarkeit durch Ihre Gesellschafts¬
klasse, also in höheren Kreisen, stehen, unter der Hand ver¬
breiten — seien Sie sehr mäßig —, glaube ich nur so Ge¬
ringes im Bereich Ihres äußeren Lebens vergessen zu haben,
wie, daß Sie z. B. nicht rauchen, nie von Wilde oder was
gerade der Tagesenthusiasmus ist reden und im allgemeinen,
so schwer es auch einem jungen Mann wird, lieber zuhören
sollen. Mit einem gut dreinschauenden Kopf schweigen, wenn
über große Dinge gesprochen wird, bringt den guten Kopf oft
in den Ruf, größer als die großen Dinge zu sein. Schweigen
hat immer etwas Bedeutungsvolles und blamiert nie. Fran¬
zösisch sprechen Sie; im Englischen lernen Sie noch hundert
Vokabeln über das hinaus, was man beim deutschen Tennis
braucht; italienisch behaupten Sie lesen, aber nicht gleich gut
sprechen zu können; birmanisch treiben Sie als Liebhaberei.
Ihr Bücherl in zweihundert Exemplaren ziehen Sie, kaum
daß es erschienen ist, sofort aus dem Handel schreiben in jedes
Exemplar eine beziehungsvolle Widmung die genanntesten
Autoren Europas und schicken es ihnen eingeschrieben mit
der Adresse des Absenders und dem handschriftlichen Ver¬
merk nicht mehr im Handel“. Den Sendungen an die be¬
rühmten deutschen Autoren geben Sie auch noch einen Brief
bei, der den Empfänger zu irgend einer Antwort mit jedem
Satze reizt. Nach diesem ersten Schlag verlassen Sie sofort
die Stadt, wie in Scham darüber, daß Sie durch das Buch
Ihren bisherigen Ruf als europäischer Gentleman schädigten.
Deuten an, daß drängende Freunde die Schuld an der Ver¬
öffentlichung trügen, an die zu denken Ihnen bei dem heutigen
Tiefstande unserer Dichtung nie auch nur im Schlafe einge¬
fallen wäre. Und hätten ja auch sofort die ganze Auflage
einstampfen lassen. Dies und ähnliches schreiben Sie auf dem
wappengezierten Briefpapier eines Bekannten, zu dem Sie
sich für die vierzehn Tage zur Jagd einluden, an ein paar
Leute, von denen Sie genau wissen, daß sie überall hinkommen
und aus Mangel an eigenem fremde Bagatellen mit großer
Wichtigkeit erzählen. Vergessen Sie nicht: immer noch sind
Sie der keusche Amateur, wenn auch bereits mit einem wort¬
los zugegebenen Stich in den Berufenen; irgend was an
Ihnen, im Gang, in der Haltung, in der Kravatte, muß
dieses Geständnis unbefragt machen. Sie müssen diskret
merken lassen, wie heftig Sie sich noch gegen das Dichterische
das in Ihnen ist, sträuben. Wie es aber doch stärker ist als
all Ihr gegensätzlicher Wille, wie es eben eine Elementar¬
kraft ist, gegen die sich nichts wachen