VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 74

13. Miscellaneous
Das Leben.
be einen Turm, den wir alle besteigen müssen.
Stufen sind es zuhöchst, die hinanführen. Der
hohl, und ist man ganz emporgeklettert, so stürzt
en hinab und wird zerschmettert. Doch fast nie¬
er von so hoch oben in die Tiefe. Jeder ersteigt nur
sse Anzahl Stufen; hat er die ihm bestimmte letzte
— und niemand weiß im voraus, die wievielte für
etzte sein wird — so gibt sie unter seinen Füßen
d sie zur Luke einer Fallgrube, und er verschwindet.
nur nicht, ist es die 20. oder die 63., oder was sie
eine Nummer hat; doch daß eine davon unter
hen wird, dessen ist er sicher.
is steigt sich's leicht, wenn auch langsam. Der
selbst scheint nicht im geringsten beschwerlich, und
Schritt bereitet die Aussicht durch die Gucklöcher
nes Vergnügen die Fülle. Alles ist so neu. Der
t mit anhaltendem Interesse an Nahem und Fer¬
id noch so vieles ist zu erwarten. Allmählich aber
das Steigen größere Beschwerlichkeit, das Auge
schgültiger gegen die Aussicht, die stets die näm¬
bleiben scheint, und gleichzeitig hat man das Ge¬
verweile man fast nicht auf den einzelnen Stu¬
ern käme so rasch in die Höhe, als nähme man
Stufen auf einmal, was doch nie geschehen kann.
ft jemand, wenn ein Jahr um ist, eine weitere
stiegen hat, beglückwünschen ihn die Mitwa
noch nicht verschwunden ist. Hat er zehn Stufen
ich und steht vor einem neuen Treppenabsatz, so
die Glückwünsche wärmer, und mit jedem Mal stei¬
die Herzlichkeit, mit der ihm die stets paradoxen
Hoffnung auf eine noch lang währende Fortsetzung
derung ausgesprochen wird. Der Betreffende fühlt
hnlich tief gerührt und gedenkt weder der geringen
zung, die er bisher empfunden, noch all der Wider¬
ten, die ihm ferner bevorstehen mögen.
erfliegt den meisten, sogenannt normalen Menschen,
g auf demselben Fleck kleben, das Leben.
solchen und ähnlichen Betrachtungen würde ich mich
ch weiter ergehn — und ich täte es umso lieber, als
mit weiß, daß verständnisvolle Leser schon jetzt,
sen wenigen Proben, meinen scharfen Geist, meinen
Geschmack, meine poetische Empfindung und mei¬
isterhaften Stil anerkennen werden.
Aber,
Ein gewisses Etwas hält mich davon ab!
liches Gefühl der Unruhe, der Angst!..
Man
ch sofort verstehn, wenn man sich daran erinnert,
ürzlich dem Berliner Kritiker Jacobsohn ergan¬
Diesen Mann — welche Ungerechtigkeit! — stellte
Plagiator hin. Und warum? Weil er mehrere
nen geschrieben, die mit mehreren Kunstkritiken aus
älteren Zeitungs=Jahrgängen wörtlich überein¬
hatten. Ja noch mehr: man nahm gar keine Rück¬
seine Verteidigung, in der er doch so kräftig ver¬
box 44/10
certe, daß ihm jede Absicht eines Plagiats fernlag
und daß, wenn er dies und jenes genau so gesagt habe, wie
es Herr Gold schon vor Jahren gesagt hat, nur sein
krankhaft überstarkes Gedächtnis daran schuld sei —: ein
Riesengedächtnis, welches ihn oft daran verhindert hat, den
Namen dessen zu merken, dessen Gedanken und Sätze er ab¬
schreibt.
Nun denn auch ich, wie ich beizeiten gestehen will, besitze
solch psycho= und antipathisches Gedächtnis, wie Herr Ja¬
cobsohn; und ich erinnerte mich dessen vor einer Minute
gerade als ich meine Betrachtung über „das Leben abschloß.
Der Leser begreift jetzt wohl, daß ich nicht weiter fortfahren
mag. Bedente er doch: Wie leicht könnte man auch mich
des Plagia. beschuldigen! Wie heftig könnte man mir vor¬
werfen, daß meine Gedanken die Gedanken eines andern,
mein meisterhafter Stil der meisterhafte Stil eines andern
sei — und daß ich absichtlich meinen Kopf mit dem eines
andern verwechsle... Ja ich müßte mich darauf gefaßt
machen, daß vielleicht schon morgen mir irgend jemand
nachwiese, ich hätte meine „Betrachtungen“ in ungenierte¬
ster Weise den „Gedanken und Gestalten“ (Ver¬
lag von Albert Langen in München) entnommen: einem
glanzenden Buch, dessen Verfasser kein Geringerer ist, als
Georg Brandes... Was dann? ... Dann stände
ich als doppelter Plagiator da: als einer, der es genau so
gemacht hat, wie Brandes — und als einer, der es genau so
gemacht hat, wie Jacobsohn ... Nein, da halt ich lieber
inne mit „meinen Betrachtungen!
Allerdings, wenn man mich angriffe, könnte ich mich
besser verteidigen, als der Berliner Herr es getan.*) Viel
besser! Ich gäbe einfach mein Ehrenwort darauf, ja ist
würde es beschwören, daß die „Betrachtungen aus
meiner Feder geflossen sind — und nötigenfalls würde
ich als unverwerflichen Zeugen jenen Papierhändler vor¬
führen, bei dem ich die Feder gekauft habe, samt der dazu
gehörigen Tinte.... Auch könnte ich noch das Goethesche
Wort anführen: „Alles ist schon gedacht worden; man muß
nur versuchen, es noch einmal zu denken — und daraus
logischerweise einen anderen Satz ableiten: „Alles ist schon
geschrieben worden; man muß nur versuchen, es noch einmal
Doch ich verzichte lieber auf die ganze
zu schreiben
Sache. Die Welt ist so mißtrauisch, so boshaft! Selbst
solche Argumente ließe sie vielleicht nicht gelten! . . .
Also Schluß!
Den Lesern aber darf es leid tun, daß ich nicht weiter
*) Jetzt fühlt sich, wie bei diesem Anlaß erwähnt sei, auch
noch Arthur Schnitzler, — wirklich: Arthur Schnitz¬
ler! — gedrängt, dem kleinen Dieb zu Hilfe zu eilen und
aus ärztlicher Erfahrung mildernde Umstände für ihn mit
Tiefsinn hervorzusuchen In einem Artikel in der heutigen Zu¬
kunft“ behandelt er das Thema: Dies pathologische Kind,
kein Engel ist so rein! Es ist erstaunlich zu sehen, wie
heutzutage das Gefühl für das Einfach Selbstver¬
ständliche hinschwindet und wie die tolle Begriffsver¬
wirrung sogar auf das Gebiet der Kindermoral hinüber¬
greift. D. Red.
„betrachte". Denn ich hätte noch viel, viel Wahres und
Schönes zu sagen! Das Brandessche Buch hat über
ss.
500 Seiten!