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13. Miscellaneous
Wiener Brief.
(Von unserem Wiener Bureau.
(Nachdruck verboten.)
Kainz in Wien. — Ein Räthsel. — Zum Todestag der
Kaiserin Elisabeth,
Director Paul Schlenther kann erleichtert aufathmen: Josef Kain
hat sein Engagement am Hofburgtheater endlich angetreten und das
Publikum jubelt ihm zu. Das waren nach Mitterwurzers Tod einige
recht magere Jahre für das kaiserliche Schauspielhaus, dessen künst¬
lerischen Ansehen während dieser Zeit eine empfindliche Einbuße erlitt
Dabei fielen die Kassenrapporte von Tag zu Tag tristet und kläglichen
aus, so daß man in der hohen Intendenz immer unzufriedener wurde
Deutlich kam es zu Tage, daß die einstmals erste deutsche Bühne nicht
mehr auf ihrer vielgerühmten Höhe steht. Die Sonnenthal. Les
Hartmann, Krastel, Hohenfels, Schrattusw. sind eben alt geworden
mie auch ihr Sil veraltet ist. Der junge Nachwuchs brachte wohl
einige Talente, die jedoch infolge der kleinlichen Eifersüchtelei der an
tigsten Garde sich nur schwer durchwingen konnten und schließlich auf
keine besonders hervorragende Leistungen boten. So trug denn de
geniale, äußerst vielseitige Mitterwurzer beinahe das ganze Repertoi¬
seinen kraftvollen Schulter, und wenn er spielte, gab es voll
Häuser. Sein unerwartetes Hinscheiden war daher ein schwerer Ver¬
ust für das Burgtheater. Der alte Baumeister, ein in seinen Art z. B.
als Erbförster, Falstaff, Richter von Zalame, unvergleichlicher Künstler
kränkelte an einem Fußleiden und ist deshalb den größten Theil des
Jahres beurlaubt, ohne daß für sein Rollenfach vollwerthiger Ersatz ge¬
funden werden kann. Gegen die interessante und geistvolle Tragodin
Adele Sandrock, wurde so lange intriguirt, bis sie dem Burgtheater den
Rücken kehrte. Der Rest ist — Schweigen. Mit den Novitäten hatte
die Direction auch kein Glück, insbesondere in der Spielsaison 1898.99, den
in welcher von Neuheiten nur Fuhrmann Henschel einen größeren Er¬
folg erzielte. Alle anderen Premièren fielen ämmerlich durch oder
brachten höchstens zu einem succès d'estime. Nun haben
wir wieder einen Star, Josef Kainz, und vielleicht wird Herr Schlenther
jetzt auch bei der Auswahl der neuen Stücke eine glücklichere Hand
zeigen als bisher. Da muß er aber vorher auf eine andere Fahne
schwören als auf die der Wiener Modernen denen er die Pforten des
Burgtheaters leider sperrangelweit aufgeschlossen hat. Die Schnißler,
Dörmann, Hofmannsthal, Bahr. Ebermann verstehen es mehr oder
minder gut, nach freunden Vorbildern zu arbeiten und französische
Cochonerieen ins Wienerische zu übertragen, aber das k. k. Hofburg¬
theater zu einer Versuchsbühne für alle möglichen litterarischen Experi¬
mente machen zu wollen, scheint uns doch nicht mit den Traditionen
dieser ehrwürdigen deutschen Bühne im Einklang zu stehen. Director
Schlenther vernachlässigt unsere deutschen Klassiker ziemlich auffällig,
auch Shakespeare wird recht selten gegeben, von seinen Königsdramen
steht nur Richard III. auf dem Programm. Für Hebbel, H. v. Kleist,
Otto Ludwig zeigt Herr Schlenther gar kein Verständniß und unser
großen deutsch=österreichischer Dramatiker, Franz Grillparzer, dessen
marmornes Denkmal mit traumverlorenen Augen aus dem Grün des
Volksgartens auf das nahe Burgtheater hinblickt, ist in diesem Musen¬
tempel ein gar seltener Gast geworden. Das sind arge Sünden, wider
die heilige deutsche Kunst.
Ein räthselhafter Criminalfall beschäftigt zur Zeit die Wiener
Polizei. Der hiesige Advocat Dr. Schiest hat seine Schwester, die
verwittwete Frau Dr. Prossingg, in der gemeinsamen Wohnung er¬
schossen. Sodann fuhr er nach Preßbaum, wo er sich in einem Tunnel
auf die Schienen niederwarf, eine Kugel durch den Kopf jagte und gleich
darauf von einem Eisenbahnzüge überfahren wurde. Die Motive seines
Selbstmordes sind bereits aufgeklärt. Er hat ihm anvertraute Gelder
speculirt, darunter das Vermögen der von ihm ermordeten Schwester
der der Grund, warum er auch dieselbe getödtet hat, dürfte wohl ei=
Geheimniß bleiben. Die beiden Geschwister hingen mit größter Liebe
in einander, Frau Prossingg, eine schöne Dame von vierzig Jahren,
führte ihrem Bruder den Haushalt und besuchte stets nur in seiner Re¬
Telefon 12801.
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte.
Ausschnitt
105 OBSERVER
Nr. 72
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
Filiale in Budapest: „Figel“
Vertretungen in Berlin, Chicago, London, Newyork, Paris, Stockholm.
Ausschnitt aus:
la
vom
Selbstbewußte Doppelabwehr.
Ich habe meinen Kontrakt als Direktor des Wiener Burg¬
theaters in der Tasche.
Theodor Herzl, Georg Hirschfeld und Arthur Schnitzter
sind meine heilige Dreifaltigkeit
Die Judenpresse breitet schützend ihre Fittiche über mein
Wirken! Ich stehe daher nicht an, die ehemalige erste deutsche
Bühne zu einem israelitischen Tempel umzugestalten, in welchem
das auserwählte Volk seinen geistigen Kram auslegt, um in
Okkasion zu machen. Das gebietet mir die Tugend der Dank¬
barkeit. Dabei befinde ich mich recht wohl!
Und das ist das Ausschlaggebende
Allen jenen Fexen aber, die über die Versumpfung der
deutschen Kunst jammern und mir deshalb zu Leibe gehen wollen,
sage ich: All Eure Mühe ist für die Katze. Das Manko in der
Einnahme wird durch hohe Munifizenz gedeckt. Hofrath Wetschl,
der hohe Jntendant, Geheimrath Freiherr August v. Plappart,
sowie Se. Durchlaucht, der erste Obersthofmeister Sr. Majestät,
k. k. geheimer Rath, Kämmerer, Feldmarschall=Lieutenant, Oberst
sämmtlicher k. u. k. Leibgarden, Mitglied des Herrenhauses Rudolf
Prinz von und zu Liechtenstein müssen mit der Kunstrichtung
Herzl, Hirschfeld, Schnitzler vollkommen einverstanden sein
sonst hätten sie mir schon etwas gesagt.
Na also! Was wollen denn diese nörgelnden Aase?
Schlenther.
Im Gegensatze anderen Be¬
Abonnement durch keine bestimmte Zeitdauer begrenzt; — auch steht es den
Abonnenten frei die aufgegebenen Themen zu ergänzen oder zu ändern.
13. Miscellaneous
Wiener Brief.
(Von unserem Wiener Bureau.
(Nachdruck verboten.)
Kainz in Wien. — Ein Räthsel. — Zum Todestag der
Kaiserin Elisabeth,
Director Paul Schlenther kann erleichtert aufathmen: Josef Kain
hat sein Engagement am Hofburgtheater endlich angetreten und das
Publikum jubelt ihm zu. Das waren nach Mitterwurzers Tod einige
recht magere Jahre für das kaiserliche Schauspielhaus, dessen künst¬
lerischen Ansehen während dieser Zeit eine empfindliche Einbuße erlitt
Dabei fielen die Kassenrapporte von Tag zu Tag tristet und kläglichen
aus, so daß man in der hohen Intendenz immer unzufriedener wurde
Deutlich kam es zu Tage, daß die einstmals erste deutsche Bühne nicht
mehr auf ihrer vielgerühmten Höhe steht. Die Sonnenthal. Les
Hartmann, Krastel, Hohenfels, Schrattusw. sind eben alt geworden
mie auch ihr Sil veraltet ist. Der junge Nachwuchs brachte wohl
einige Talente, die jedoch infolge der kleinlichen Eifersüchtelei der an
tigsten Garde sich nur schwer durchwingen konnten und schließlich auf
keine besonders hervorragende Leistungen boten. So trug denn de
geniale, äußerst vielseitige Mitterwurzer beinahe das ganze Repertoi¬
seinen kraftvollen Schulter, und wenn er spielte, gab es voll
Häuser. Sein unerwartetes Hinscheiden war daher ein schwerer Ver¬
ust für das Burgtheater. Der alte Baumeister, ein in seinen Art z. B.
als Erbförster, Falstaff, Richter von Zalame, unvergleichlicher Künstler
kränkelte an einem Fußleiden und ist deshalb den größten Theil des
Jahres beurlaubt, ohne daß für sein Rollenfach vollwerthiger Ersatz ge¬
funden werden kann. Gegen die interessante und geistvolle Tragodin
Adele Sandrock, wurde so lange intriguirt, bis sie dem Burgtheater den
Rücken kehrte. Der Rest ist — Schweigen. Mit den Novitäten hatte
die Direction auch kein Glück, insbesondere in der Spielsaison 1898.99, den
in welcher von Neuheiten nur Fuhrmann Henschel einen größeren Er¬
folg erzielte. Alle anderen Premièren fielen ämmerlich durch oder
brachten höchstens zu einem succès d'estime. Nun haben
wir wieder einen Star, Josef Kainz, und vielleicht wird Herr Schlenther
jetzt auch bei der Auswahl der neuen Stücke eine glücklichere Hand
zeigen als bisher. Da muß er aber vorher auf eine andere Fahne
schwören als auf die der Wiener Modernen denen er die Pforten des
Burgtheaters leider sperrangelweit aufgeschlossen hat. Die Schnißler,
Dörmann, Hofmannsthal, Bahr. Ebermann verstehen es mehr oder
minder gut, nach freunden Vorbildern zu arbeiten und französische
Cochonerieen ins Wienerische zu übertragen, aber das k. k. Hofburg¬
theater zu einer Versuchsbühne für alle möglichen litterarischen Experi¬
mente machen zu wollen, scheint uns doch nicht mit den Traditionen
dieser ehrwürdigen deutschen Bühne im Einklang zu stehen. Director
Schlenther vernachlässigt unsere deutschen Klassiker ziemlich auffällig,
auch Shakespeare wird recht selten gegeben, von seinen Königsdramen
steht nur Richard III. auf dem Programm. Für Hebbel, H. v. Kleist,
Otto Ludwig zeigt Herr Schlenther gar kein Verständniß und unser
großen deutsch=österreichischer Dramatiker, Franz Grillparzer, dessen
marmornes Denkmal mit traumverlorenen Augen aus dem Grün des
Volksgartens auf das nahe Burgtheater hinblickt, ist in diesem Musen¬
tempel ein gar seltener Gast geworden. Das sind arge Sünden, wider
die heilige deutsche Kunst.
Ein räthselhafter Criminalfall beschäftigt zur Zeit die Wiener
Polizei. Der hiesige Advocat Dr. Schiest hat seine Schwester, die
verwittwete Frau Dr. Prossingg, in der gemeinsamen Wohnung er¬
schossen. Sodann fuhr er nach Preßbaum, wo er sich in einem Tunnel
auf die Schienen niederwarf, eine Kugel durch den Kopf jagte und gleich
darauf von einem Eisenbahnzüge überfahren wurde. Die Motive seines
Selbstmordes sind bereits aufgeklärt. Er hat ihm anvertraute Gelder
speculirt, darunter das Vermögen der von ihm ermordeten Schwester
der der Grund, warum er auch dieselbe getödtet hat, dürfte wohl ei=
Geheimniß bleiben. Die beiden Geschwister hingen mit größter Liebe
in einander, Frau Prossingg, eine schöne Dame von vierzig Jahren,
führte ihrem Bruder den Haushalt und besuchte stets nur in seiner Re¬
Telefon 12801.
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte.
Ausschnitt
105 OBSERVER
Nr. 72
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
Filiale in Budapest: „Figel“
Vertretungen in Berlin, Chicago, London, Newyork, Paris, Stockholm.
Ausschnitt aus:
la
vom
Selbstbewußte Doppelabwehr.
Ich habe meinen Kontrakt als Direktor des Wiener Burg¬
theaters in der Tasche.
Theodor Herzl, Georg Hirschfeld und Arthur Schnitzter
sind meine heilige Dreifaltigkeit
Die Judenpresse breitet schützend ihre Fittiche über mein
Wirken! Ich stehe daher nicht an, die ehemalige erste deutsche
Bühne zu einem israelitischen Tempel umzugestalten, in welchem
das auserwählte Volk seinen geistigen Kram auslegt, um in
Okkasion zu machen. Das gebietet mir die Tugend der Dank¬
barkeit. Dabei befinde ich mich recht wohl!
Und das ist das Ausschlaggebende
Allen jenen Fexen aber, die über die Versumpfung der
deutschen Kunst jammern und mir deshalb zu Leibe gehen wollen,
sage ich: All Eure Mühe ist für die Katze. Das Manko in der
Einnahme wird durch hohe Munifizenz gedeckt. Hofrath Wetschl,
der hohe Jntendant, Geheimrath Freiherr August v. Plappart,
sowie Se. Durchlaucht, der erste Obersthofmeister Sr. Majestät,
k. k. geheimer Rath, Kämmerer, Feldmarschall=Lieutenant, Oberst
sämmtlicher k. u. k. Leibgarden, Mitglied des Herrenhauses Rudolf
Prinz von und zu Liechtenstein müssen mit der Kunstrichtung
Herzl, Hirschfeld, Schnitzler vollkommen einverstanden sein
sonst hätten sie mir schon etwas gesagt.
Na also! Was wollen denn diese nörgelnden Aase?
Schlenther.
Im Gegensatze anderen Be¬
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