13. Miscellaneous
arzt, zumal vom eigenen Schwager, untersuchen, daß
ihm dieser nur noch eine ganz kurze Frist schenken kann.
Kein Mann aus dem Volke wartet so lang. Schlimmer
ist die zweite Unmöglichkeit: kein Arzt der Welt, selbst
wenn er „Fleischhauernerven“ hätte, wird dem Patienten
in einem solchen Falle brutal gefühllos die Wahrheit
ins Gesicht schleudern, daß er nur noch sechs Monate
zu leben hat. Und dieser Arzt ist obendrein der Schwager
des Phthisikers. Aber dieser verlangt ausdrücklich die
Wahrheit zu hören... Du lieber Himmel, als ob die
Aerzte die Wahrheit gepachtet hätten! Ich kenne eine
englische Aristokratin, der im gleichen Falle die ersten
„medizinischen Autoritäten den Termin ihres Todes in
nahe Aussicht gerückt haben — — und sie lebt heute
noch, ich hätte fast gesagt: seelenvergnügt, wenn das
Richtschwert nicht über ihrem Nacken schwebte. Aber,
wird der Dichter wieder dazwischenrufen, mein Arzt
haßt den Patienten bis aufs Blut, und er empfindet
ein Gefühl des Triumphes, als er den verhätschelten
Schwager so demütigen kann... Undenkbar, daß der
Henker just in solchem Moment seinen Rachedurst stillen
wird und sich zum Sklaven einer niedrigen, abscheulichen
Lust machen läßt.
Nein, die Situation ist an den Haaren herbeigezogen,
für die Konsequenzen zurechtgelegt. Und die Konsequenzen
werden mit vorgehaltenem Revolver expreßt. Gib mir
eine Lektion, schreit der Todeskandidat auf, wie man
mit Anstand stirbt. Wem so die Brust von sittlicher
Größe geschwellt ist, der wird sich wie ein Held ins Un¬
vermeidliche zu fügen wissen. Aber der Held entpuppt
sich als eine gemeine Natur, die im Angesicht des Todes
ihre wahre Physiognomie zeigt, als einen armseligen
Feigling, der trotz aller Prahlsucht zittert und um Gnade
b 44/10
winselt. „So hab' ich sie mir ungefähr vorgestellt —
die moralische Kraft“, darf der Examinator dem ohn¬
mächtigen Prüfling epigrammatisch zurufen. Was
will Salten eigentlich damit sagen? Daß wir alle
vor dem Tode Angst haben? Eine zu billige
Weisheit. Daß auch die, welche tönende Worte im
Munde führen und sich die Brust mit hohlen Phrasen
wappnen, kläglich zusammenbrechen, wenn's zum Ster¬
ben kommt? Keine neue Weisheit. Schon Kleists Prinz
von Homburg hat, da ihn der Tod umschauert, den Mut,
zu bekennen: „Seit ich mein Grab sah, will ich nichts
als leben", und Bernard Shaw hat Saltens Idee oft
schlagender und witziger ausgeführt. Denn bei dem
Wiener wird ihr durch die geladene Pistole Abbruch ge¬
tan. Sie ist als Dieterich des Herzens künstlerisch ein
schlechtes Werkzeug, ganz abgesehen davon, daß sie auf
die Dauer einer halben Stunde recht peinlich wirkt.
Auferstehung.
Nach dieser Nervenspannung war eine Beruhigung
nötig. Der dritte Einakter brachte sie. In Form eines
Ulks mit etwas erzwungener Situationskomik. Auch
hier steht ein Mann im Mittelpunkt, der dem Tod ins
Auge geblickt hat. Auf dem vermeintlichen Sterbebett
hat er sich mit einer ehemaligen Geliebten, die ein Kind
von ihm besitzt, trauen lassen. Man macht auf dem
Sterbebett vermutlich allerlei Dummheiten; die Haupt¬
sache ist, daß Konstantin nicht die Dummheit macht zu
sterben. Nun er dem Leben wiedergeschenkt ist, merkt
er, was er angerichtet hat. Die Geliebte von Anno
dunnemals lebt seit sieben Jahren mit einem Klavier¬
lehrer, der über den Schritt der verspäteten Rehabili¬
tierung empört ist. Konstantins Geliebte aus jüngste¬
Vergangenheit findet sich ein und macht ihre Rechte ge¬
tend. Es entsteht eine heillose Verwirrung — alles
weil er nicht auf Kommando gestorben ist. Das einfachste
Mittel, aus diesem Tohuwabohn herauszukommen, wäre
die Scheidung von der eben Geheirateten; er zieht es
aber vor, auf Reisen zu gehen und so die Dinge zu
lassen, wie sie sind. Mit dem Brustton der Ueberzeugung
ruft ihm der Klavierlehrer epigrammatisch nach, er habe
sich außerordentlich korrekt benommen.
Das Epigramm — seit Dreyers „Probekandi¬
ein beliebter Abschluß — führt Felix Salten im Wappen.
Er wird es ablegen, wenn er von dem Einakter zu
höherer Dramatik emporsteigen wird oder eigentlich zu¬
rückkehren: denn wir verdanken ihm schon ein ausge¬
zeichnetes Volksstück „Der Gemeine. Diese Trias ist
stärker in der Erfindung als in der Ausgestaltung; aber
auch so wird sie zweifellos ihren Weg machen, schon aus
dem Grunde, weil sie dem Schauspieler höchst dankbare
Rollen abwirft, die Albert Bassermann am Lessingtheater
mit dem ganzen Reichtum seiner vielseitigen Individua¬
M. M.
lität meisterte.
Kleine Chronik.
— In Winterthur findet, Kunstmuseum,
vom 7. bis 25. November ein Kollektivans¬
stellung statt des bekannten Luzerner Militärmalers
I. C. Kaufmann und des Genfers Louis Gia¬
noli. Kaufmann bringt 51 Arbeiten, nicht nur mili¬
tärischen Charakters, sondern auch eine reiche Zahl von
Landschaften, Gianoli — mit über 50 Nummern —
Landschaften und Typen aus dem Appenzell, von Stein
arzt, zumal vom eigenen Schwager, untersuchen, daß
ihm dieser nur noch eine ganz kurze Frist schenken kann.
Kein Mann aus dem Volke wartet so lang. Schlimmer
ist die zweite Unmöglichkeit: kein Arzt der Welt, selbst
wenn er „Fleischhauernerven“ hätte, wird dem Patienten
in einem solchen Falle brutal gefühllos die Wahrheit
ins Gesicht schleudern, daß er nur noch sechs Monate
zu leben hat. Und dieser Arzt ist obendrein der Schwager
des Phthisikers. Aber dieser verlangt ausdrücklich die
Wahrheit zu hören... Du lieber Himmel, als ob die
Aerzte die Wahrheit gepachtet hätten! Ich kenne eine
englische Aristokratin, der im gleichen Falle die ersten
„medizinischen Autoritäten den Termin ihres Todes in
nahe Aussicht gerückt haben — — und sie lebt heute
noch, ich hätte fast gesagt: seelenvergnügt, wenn das
Richtschwert nicht über ihrem Nacken schwebte. Aber,
wird der Dichter wieder dazwischenrufen, mein Arzt
haßt den Patienten bis aufs Blut, und er empfindet
ein Gefühl des Triumphes, als er den verhätschelten
Schwager so demütigen kann... Undenkbar, daß der
Henker just in solchem Moment seinen Rachedurst stillen
wird und sich zum Sklaven einer niedrigen, abscheulichen
Lust machen läßt.
Nein, die Situation ist an den Haaren herbeigezogen,
für die Konsequenzen zurechtgelegt. Und die Konsequenzen
werden mit vorgehaltenem Revolver expreßt. Gib mir
eine Lektion, schreit der Todeskandidat auf, wie man
mit Anstand stirbt. Wem so die Brust von sittlicher
Größe geschwellt ist, der wird sich wie ein Held ins Un¬
vermeidliche zu fügen wissen. Aber der Held entpuppt
sich als eine gemeine Natur, die im Angesicht des Todes
ihre wahre Physiognomie zeigt, als einen armseligen
Feigling, der trotz aller Prahlsucht zittert und um Gnade
b 44/10
winselt. „So hab' ich sie mir ungefähr vorgestellt —
die moralische Kraft“, darf der Examinator dem ohn¬
mächtigen Prüfling epigrammatisch zurufen. Was
will Salten eigentlich damit sagen? Daß wir alle
vor dem Tode Angst haben? Eine zu billige
Weisheit. Daß auch die, welche tönende Worte im
Munde führen und sich die Brust mit hohlen Phrasen
wappnen, kläglich zusammenbrechen, wenn's zum Ster¬
ben kommt? Keine neue Weisheit. Schon Kleists Prinz
von Homburg hat, da ihn der Tod umschauert, den Mut,
zu bekennen: „Seit ich mein Grab sah, will ich nichts
als leben", und Bernard Shaw hat Saltens Idee oft
schlagender und witziger ausgeführt. Denn bei dem
Wiener wird ihr durch die geladene Pistole Abbruch ge¬
tan. Sie ist als Dieterich des Herzens künstlerisch ein
schlechtes Werkzeug, ganz abgesehen davon, daß sie auf
die Dauer einer halben Stunde recht peinlich wirkt.
Auferstehung.
Nach dieser Nervenspannung war eine Beruhigung
nötig. Der dritte Einakter brachte sie. In Form eines
Ulks mit etwas erzwungener Situationskomik. Auch
hier steht ein Mann im Mittelpunkt, der dem Tod ins
Auge geblickt hat. Auf dem vermeintlichen Sterbebett
hat er sich mit einer ehemaligen Geliebten, die ein Kind
von ihm besitzt, trauen lassen. Man macht auf dem
Sterbebett vermutlich allerlei Dummheiten; die Haupt¬
sache ist, daß Konstantin nicht die Dummheit macht zu
sterben. Nun er dem Leben wiedergeschenkt ist, merkt
er, was er angerichtet hat. Die Geliebte von Anno
dunnemals lebt seit sieben Jahren mit einem Klavier¬
lehrer, der über den Schritt der verspäteten Rehabili¬
tierung empört ist. Konstantins Geliebte aus jüngste¬
Vergangenheit findet sich ein und macht ihre Rechte ge¬
tend. Es entsteht eine heillose Verwirrung — alles
weil er nicht auf Kommando gestorben ist. Das einfachste
Mittel, aus diesem Tohuwabohn herauszukommen, wäre
die Scheidung von der eben Geheirateten; er zieht es
aber vor, auf Reisen zu gehen und so die Dinge zu
lassen, wie sie sind. Mit dem Brustton der Ueberzeugung
ruft ihm der Klavierlehrer epigrammatisch nach, er habe
sich außerordentlich korrekt benommen.
Das Epigramm — seit Dreyers „Probekandi¬
ein beliebter Abschluß — führt Felix Salten im Wappen.
Er wird es ablegen, wenn er von dem Einakter zu
höherer Dramatik emporsteigen wird oder eigentlich zu¬
rückkehren: denn wir verdanken ihm schon ein ausge¬
zeichnetes Volksstück „Der Gemeine. Diese Trias ist
stärker in der Erfindung als in der Ausgestaltung; aber
auch so wird sie zweifellos ihren Weg machen, schon aus
dem Grunde, weil sie dem Schauspieler höchst dankbare
Rollen abwirft, die Albert Bassermann am Lessingtheater
mit dem ganzen Reichtum seiner vielseitigen Individua¬
M. M.
lität meisterte.
Kleine Chronik.
— In Winterthur findet, Kunstmuseum,
vom 7. bis 25. November ein Kollektivans¬
stellung statt des bekannten Luzerner Militärmalers
I. C. Kaufmann und des Genfers Louis Gia¬
noli. Kaufmann bringt 51 Arbeiten, nicht nur mili¬
tärischen Charakters, sondern auch eine reiche Zahl von
Landschaften, Gianoli — mit über 50 Nummern —
Landschaften und Typen aus dem Appenzell, von Stein