VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 139

13.
Miscellaneous
box 44/10
de
der nach längerer Zeit wieder einmal Gelegenheit erhielt, ein Werk
Wagner's zu dirigiren und sich auch diesmal als bewährter Hüter
der Traditionen von Bayreuth erwies. Unter den Solistenleistungen
stand natürlich, wie stets, der glänzende Alberich des Herrn Takts
obenan. Annehmbar fand sich Herr Déri als Mime mit seiner heiklen
gabe ab.
Königstheater. Unter den seingestimmten Novellen, die
Hans Müller zu seinem „Buch der Abenteuer vereinte, gibt es
eine, die sich „Nux, der Prinzgemahl" betitelt. Sie erzählt, wie ein
junger, frischer Wiener Oberlieutenant von einer weniger jungen
und weniger frischen Duodezprinzessin zum Manne erkoren und
da es bei Prinzessinen keinen Widerspruch gibt — auch ge¬
heirathet wird und wie sich nun Nux in dem kleinen Herzogthum oben
für die Ueberrumpelung zu rächen weiß, indem er von seinen wesent¬
lichsten Rechten als Prinzgemahl nicht den geringsten Gebrauch macht.
Er und die Prinzessin, sie leben Beide trübselig und lieblos dahin, sie
enttäuscht und verbittert, er entwurzelt, vom Heimweh nach seinem
schönen Wien verzehrt. In die kleine Winkelresidenz aber hat sich
eine Wiener Damenkapelle verirrt und die blonde, fröhliche Prin¬
geigerin hilft erst Nur und dann sogar der Prinzessin aus alle¬
Noth. Denn wenn sie Abends auf dem Podium des kleinen Bier¬
gartens steht und von den Saiten ihrer Geige weiche wiegende
Walzertöne zu Nux hinüberschweben, so ist Nur glücklich, so glücklich
— daß es fast des weiteren verschwiegeneren Glückes, das sie ihm
schenkt, gar nicht bedürfte. Die Prinzessin aber ahnt, daß es die
Anmuth, die leichtbeschwingte Walzerfröhlichkeit Wiens ist, die
ihr Gemahl vermißt, und sie findet ein Mittel, ihm
etwas von dieser ins herzogliche Schloß zu zaubern: Sie nimmt,
ganz im Geheimen natürlich, Lektionen im Spielen von Wiener
Walzer, und diese Lektionen gibt ihr keine andere, als eben jene
blonde Geigerin, die freilich den Zusammenhang zwischen der Hoheit
und ihrem Nux nicht ahnt. Und so führt der Wiener Walzer dann die
beiden Eheleute doch noch zusammen und die kleine Geigerin steht
abseits, zerdrückt eine Thräne im Auge und findet, daß sie hier freilich
ausgespielt habe... Es ist eine ganz reizende Geschichte. Der
Uebermuth und die sanfte Grazie des Wiener Walzers steckt in ihr und
in der lächelnden Tragik der kleinen Musikantin auch seine leise Schwer¬
muth und Melancholie. Man versteht, daß diese Novelle Arthur
Schnitzler gewidmet ist und man versteht noch mehr, daß sie rasch zur
Operette verarbeitet wurde. Man sände wahrhaftig schwer eine zweite,
die sich so gut mit Walzermusik vertrüge, als diese, die förmlich aus
Walzerstimmungen emporwächst. Diese Novelle liefert nun das von
Benno Jacobson und Felix Dörmann zurechtgezimmerte
Libretto der Straußschen Operette „Ein Walzertraum“ („Varas¬
kering), die nach ganz ungewöhnlichen Erfolgen im Auslande heute
im Königstheater zum ersten Male aufgeführt wurde. Daß auf der
Bühne große Theile des ursprünglichen Textes gekürzt, weggelassen,
zusammengezogen, verstümmelt werden, daß Vieles verloren geht und daß
aus dem Idyll stellenweise eine ganz grobkönige Posse wird, das
nehmen am Ende nur die Wenigen krumm, die Hans Müller's
Novelle kennen. Und diese sind in der Minderzahl. Die Anderen
finden immer noch ein lustiges, bewegtes Libretto, in dem der gesunde
Menschenverstand nirgends vergewaltigt wird — also weit mehr, als
man auf der Operettenbühne unserer Tage zu finden gewohnt ist.
Und man nähme mit dieser Musik gern auch Schlechteres in Kauf.
Man kann ihr nichts Besseres nachsagen, als daß sie überall für die
bald sentimentale, bald groteske Stimmung des Ganzen den liebens¬
würdigsten Ausdruck findet, und daß sie, ohne stets durch melodiöse
Erfindung zu überraschen, Styl hat und eine Künstlerhand
verräth. Im Uebrigen hat es dort wenig Sinn, mit vielen Worten zu
loben, noch weniger kritische Einwände zu machen, wo der Komponist
auf etwa zweihundertfünfzig volle Häuser zurückblicken darf. Den Clou
der Partitur, jenen glatten, schmeichlerischen Walzer, den auch bei uns
lange vor der Première alle Zigeuner fiedelten, begrüßte man wie einen
lieben, alten Bekannten. Am liebsten hätte man ihn gleich mitgesungen.
Ueberhaupt lag heute von allem Anfang an der Erfolg in der Luft und
die allgemeine Applausfreude hielt ungeschwächt bis zum Schlusse vor¬
Die Operette wird somit auch bei uns ihren Weg machen, und das
umso mehr, als man auch an der Aufführung seine Freude haben
darf. Manches könnte ja anders sein und ob Herr Strauß, der
mit Herrn Jacobson aus einer Loge für viele Hervorrufe dankte,
über die gesangliche Wiedergabe seiner Lieder allzu entzückt
war, bleibt dahingestellt. Was aber etwa an Stimmen fehlte,
das wurde reichlich durch Temperament, Heiterkeit und nicht
zuletzt durch ungewöhnlich prunkvolle Ausstattung weitgemacht.
Den lautesten Beifall erntete Herr Räthonyi, ein Prinzgemahl
von gewinnender Eleganz und Flottheit. Doch auch die Damen
Petriss und Otvös boten vortreffliche, sehr sympathische
Leistungen und viel belacht wurden die grotesken Chargen der Herren
Papir und Nemet. Das Königstheater dürfte eine Weile lang
aller Premièresorgen enthoben sein.
E. G.