VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 140

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Miscellaneous

er Aristokrat aus Instinkt, Mitglied der höchsten Gesellschaft
aus Wahlverwandtschaft sei. Er beweist das — mit Worten,
Feuilleton.
die er über sich selbst zu sagen weiß, mit Worten aus der
Liebhaberbibliothek „Jung=Wien“, mit sehr witzigen und sehr

pointierten Worten, und just so lange der schnelle Vorhang
sich in der Schwebe hält, so lange glaubt man ihm. Das ist
Berliner Theater.
die Komödie „Der Graf“. Ist sie nicht reizend?
(Lessing=Theater: „Vom andern Ufer". Drei Einakter von Felix
Der bereit gehaltene Polizeikommissar ist zum geladenen
Salten.)
Revolver geworden: Wir stehen inmitten des Schauspiels
Berlin, 17. Oktober.
„Der Ernst des Lebens“. Der frühere Hauslehrer,
nunmehrige Geh. Medizinalrat, hat die Tochter des freiherr¬
Jung=Wien hat vieles vor Berlin voraus. Schon daß man
lichen Hauses geheiratet und trifft eben bei seinem Schwager,
das eine Mal das Wörtlein „jung" als selbstverständlich hin¬
dem jungen Baron ein, den Erkrankten zu untersuchen. Der
schreibt, das andere Mal nicht die geringste Verwendung dafür
Medizinalrat ist sehr plebejisch, der Baron höchst aristokratisch.
fände, scheint etwas wert zu sein. In Berlin läuft alles
Eine Szene über spielt man mit Weltanschauungsfragen rouge
zwischen Maurermeisterfassaden die kreuz und quer; jeder
et noir. Dann wird die Untersuchung vorgenommen, und der
blickt zu seinen eigenen Sternen auf. In Wien gibt es etwas
Medizinalrat erklärt dem Baron: hoffnungslos. Der schreit
wie eine offizielle poetische Sternwarte; das große Fernrohr
in seinem Schmerze auf, der andere deklamiert kühl von
ist ein für allemal auf gewisse Gestirne gerichtet. Eine An¬
„Haltung“, „Todesbereitschaft“, „Pflichtbewußtsein“. Da er¬
zahl von Motiven scheint sich von selbst zu bieten und steht
greift der Baron den geladenen Revolver, damit der andere
jedermann ohne irgendwelche seelischen Kosten zur Ver¬
ihn Todesbereitschaft lehre. Natürlich ist der Medizinalrat
fügung: die Rokokoparks sind dauernd geöffnet; Herbststim¬
nicht todesbereit, natürlich offenbart er sein höchst plebejisches,
mung ist das ganze Jahr über angebracht; die Antike scheint
armseliges Empfinden. Ist das geschehen, so fliegt der Revol¬
handlich; die Renaissance lockt, zumal wo sie jenen Stich ins
ver unabgeschossen auf den Tisch. Ist das nicht span¬
Uebermenschen= und Abenteurertum zeigt; der Abenteurer
nend
bleibt interessant, auch in Gehrock; vor allen Dingen aber ge¬
Wir sind ein klein wenig eifersüchtig auf Schnitzler,
fällt, hat man nur ein wenig Sentimentalität zu eigen, das
und das Motiv vom kleinen, fußen illegitimen Verhältnis war
süße illegitime Verhältnis — ja, es ist kein Zweifel, daß
noch nicht daran. Die Komödie „Auferstehung steht
Jung=Wien die Grisette entdeckt und literaturfähig gemacht
noch aus. Und wirklich ist das alte Motiv diesmal neu und
hätte, wäre ihm Paris darin nicht höchst unberechtigter und
überraschend gewendet, und „nur die Aufführung blieb zu¬
frivoler Weise um fünfzig Jahre zuvorgekommen. Mit einem
rück. Meinte man bisher, einem sehr geschickten Advokaten zu
Worte: Berlin ist das Nichts oder das All (was immer auf
lauschen, so sitzt diesmal ein Professor, ein witziger Professor,
dasselbe hinauslauft), Jung=Wien ist ein Begriff.
der aber an seinen Theorien hängt, auf dem Katheder. Doch
verschlägt das nicht viel. Solange sich der schmale Vorhang in
Unter den Jung=Wienern hat sich Felix Salten, dessen
der Schwebe hält, amüsiert man sich. Der reiche Junggeselle
Einakterzyklus „Vom andern Ufer“ nun auf der Bühne
(ich denke mir, es muß ihrer sehr viele in Wien geben) hat
des Lessingtheaters gefiel, längst als ein Mann, der
dem Tod ins Angesicht gesehen, und in der Rührung seiner
schreiben kann (in Berlin hätte niemand Wert darauf gelegt
eigenen Sterbestunde hat er sich trauen lassen. Mit wem?
bekannt gegeben. Ein sehr gewandter Schriftsteller sogar.
Mit dem süßen kleinen Mädel, mit dem er vor Jahren ein
Er hat, um ihn von anderen zu unterscheiden, mehr Witz als
Verhältnis hatte, nach dem er seit Jahren nichts gefragt, das
Sentimentalität, mehr Geschick als Grazie, und beweist eine
aber ein Kind von ihm hat. Er starb aber nicht, sondern
beinahe robuste Hand in der Art, wie er seine Motive — man
wurde wider Erwarten gesund. Fünf Figuren stehen nun¬
mißverstehe nicht das „seine
anpackt, auspreßt und bei¬
mehr auf dem Schachbrett. Er selbst als König; das ange¬
seite wirft. Er hat Theaterblut. Mit diesem wenigen ist
traute Verhältnis von früher als Königin; deren jetziger
vieles, ist sogar alles über seine drei Einakter gesagt.
Schatz als Turm; sein eigenes letztes Verhältnis als Sprin¬
Wir lasen Casanova... Hofmannsthal gab den
ger; ein Freund, der seine Erkrankung ausnützte, besagtes
Abenteurer in Renaissancekostüm, Salten gibt ihn im
tes Verhältnis an sich zu ziehen, als Läufer. Das gibt
modernen Reitanzug. Der Abenteurer — böse Zungen wür¬
lustige Hin= und Wider=Züge, die damit enden, daß der Jung¬
den sagen: der Hochstapler — hat die reizende Komtesse Lau¬
geselle einsicht, daß er, zu sterben glaubend und über seine
rentin aus Liebe, natürlich aus Liebe, geheiratet. Der mi߬
Hinterlassenschaft testierend, das Recht zu leben verwirkte. Er
günstige, hochadlige Kousin bringt seine Vergangenheit an
packt die Koffer und begibt sich auf Reisen. So will's der
den Tag, hält den Polizeikommissär parat, und nun beweist
Professor. Ist das nicht geistreich:
der Pseudograf in aller Schnelle, daß ihn wirklich eben nur
„Reizend“ — „spannend“ — „geistreich“: ich weiß nicht,
die Liebe zu dem verwogenen Schritte trieb, vor allem aber,
ob ich diese Ueberzeugung gewonnen hätte, wäre es mein Los
daß er, der frühere Kellner, zum Grafen geboren sei, daß gewesen, die drei Einakter zu lesen. Aber sie erstanden auf
der Bühne des Lessingthe¬
sermann, in allen dreien de
scharf und lustig charakterisieren
drer. Da war Herr Reiche
den Medizinalrat darstellend, u
nicht weniger als das Plebejische
erstenmal, daß er intrigante Ch
als Naturburschen wiederzugeb
lieh der jungen, an den Aben
tung, Frau Lehmann dem
mit ihrem beweglichen Minens
Aufführung war wie ein Geschen
an Wien gegeben. Aber was
ist ein Begriff, und Begriffe set
Felix Salten kann und was er
eingetragener und berechtigter
zu sein.
Es ist gewiß ein herbes Sch
palästen ab und nieder zu war
Sternen auszuspähen. Es kom
om seltensten das „Reizende",
reiche". Und doch! Und doch!
seinem Glücke sehe, — ich weiß