VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 185

sische
genwart.
heißen: Das bedeutsamste Ereignis des Literaturjahres 1903 Wiener Raimund=Theater am 1. Dezember 1904 zum ersten
auf 1904 war die Sammlung der ausgewählten Gedichte von Male aufgeführt und fand begeisterten Beifall. Trotzdem
zeigte keine einzige Bühne dafür Interesse, denn die Börsen¬
Hugo von Hofmannsthal.“ — Dabei bringt dieselbe Nummer,
deren Mitarbeiter zur guten Hälfte aus „Deutschen jüdischen blätter schwiegen es entweder tot, oder hatten ein abfälliges
Glaubens“ bestehen, eine boshafte Notiz über den „Schiller Urteil bei der Hand. Dagegen schreibt die „Deutsche Zeitung“
„Alle diese Vorgänge hat Spitzner in klarster Fassung und
Rummel“, in der auch versucht wird, das völkische und vater¬
ländische Pathos des „Wilhelm Tell" zu verhöhnen. Daneben strengster Knappheit um die Grundidee gegliedert, um den
werden dann noch Stephan Georges, Richard Schaukal, Hugo Kampf der zwei Elemente, Sitte und Verlangen, welche die
Salus und ein Hans Müller (trotz seines schönen deutschen Renaissance bewegen. Keine hineingedichtete Psychologie, keine
Maskierung durch kulturhistorisches Beiwerk, kein Ueber¬
Namens ebenfalls Semit) verherrlicht! Ist es da zu verwun¬
dern, wenn man in Deutschland nur jene österreichischen schwang an Sentiment: so sind die Kräfte, welche in der heute
Schriftsteller kennt, die von der Mode und der Reklame immer vielfach zitierten und fast ebenso oft mißverstandenen Re¬
wieder durch die Börsenpresse und die Industrietheater ge= naissance am Werke waren, und das wollte Spitzner in seiner
Dramatisierung der Geschichte der Frau Tessa sagen. Sein
schleppt werden, daß aber so gut wie nichts davon bekannt ist,
daß es daneben noch eine Reihe weit stärkerer und dabei echt Stück ist gesund, aufrichtig und getreu. Außerdem sind seine
Situation und Konflikte mit sicherem, bühnentechnischem
deutscher Talente gibt, die sich langsam, aber sicher nach oben
ringen? Wer kennt hier einen Kranewitter, Guido List, Geschick kombiniert und organisiert, so daß sich ein Eindruck
Madera, Oelwein, Hörmann, Christl. Kolloden, Franz Klein, schon aus dem wirkungsvollen Arrangement des Gegenständ¬
Spitzner usw.? Ja, kaum Stefan Milow, dieser formvoll= lichen ergibt. „Das Lächeln der Tessa" ist ein gut gebautes
Drama.
endete und tief empfindende Lyriker, hat einige Beachtung
Auch der an der Schwelle des Greisenalters stehende be¬
gefunden, und niemand in jubiläumsfreudigen Deutschland
gabte Dramatiker Franz Klein vermochte sich die Bühne nicht
gedachte seines kürzlich im kleinen Kreise gefeierten 70. Ge¬
burtstages. Aus der völkischen Bewegung, dem energischen zu erobern, ja selbst Ferdinand von Saar fand nicht die min¬
Aufbäumen gegen die nationale Knochenerweichung durch deste Förderung, sondern hat sich die verhältnismäßig sehr
Liberalismus und Ultramontanismus, gegen die schwarz=gelbe kühle Anerkennung seines Schaffens im Laufe der Jahre er¬
Schlaffheit und die drohende Slavisierung, ist auch das jungezwungen, etwa so, wie sich ein im Staatsdienste stehender
literarische Deutsch=Oesterreich hervorgegangen, dem nach¬
Subalternbeamter den Ratstitel zu ersitzen pflegt, mit dem
stehende Betrachtungen gewidmet sein sollen. Von der Er¬
man ihn dann pensioniert.
kenntnis geleitet, daß Einigkeit stark macht, schlossen sich alle
Ein herzerfrischendes, prächtiges Talent haben wir an¬
diese aufstrebenden Talente mit den Schriftleitern der völki¬
Arthur Oelwein, von dem soeben bei Gerlach und Wiedling in
schen und christlichen Presse zu der „Deutsch=österreichischer
Wien „Eisenhut und Pfauenfeder,“ Lieder und Aventuren
Schriftsteller=Vereinigung“ zusammen, um ein Gegengewicht
eines fahrenden Ritters, erschienen ist. Das sind Gedichte, so
zu schaffen gegen den Concordia=Klingel, diese gegenseitige
gemütstief und humorvoll, so gesund und kernig deutsch, daß
literarische Versicherungs=Gesellschaft auf Unsterblichkeit. Zwar
sie wie ein Stahlbad auf den Leser wirken nach all der schwülen
haben es die Dichter und Schriftsteller, welche der deutsch=öster¬
perversen Erotik, die jahraus, jahrein auf den deutschen
reichischen Schriftsteller=Genossenschaft angehören, nicht not¬
Büchermarkt geworfen wird.
wendig, ihren Weg mit Hilfe der Klique zu machen, wie die
Von Fehde, Krieg, Buhurt und Trost,
Talmitalente von der Konkordia, allein das gegnerische Lager
von schöner Frauen Lippentrost,
ist zu mächtig, als daß der einzelne dagegen ankämpfen
könnte. Wolfgang Madera schildert in seinem Schauspiel
von holder Minne Freuden —
„Helden der Feder“ zutreffend und packend die Wiener Presse¬
singt Oelwein in seinen Liedern. Welcher Deutsche kann ihm
Theater= und Literaturverhältnisse, die Voreingenommenheit
der Kritik und die lügenhafte Berichterstattung, wenn es gilt, nicht nachempfinden beim Schlusse des stimmungsvollen Ge¬
dichtes:
den unliebsamen Neuling tot zu machen. Es ist außerordent
Träumend erblickt ich überm Grund
lich bedauerlich unter diesen Verhältnissen, daß es nicht mög¬
Flut und Schlacht und Morden -
lich war, das Kaiser-Jubiläums=Stadttheater als nationales
Und in die Römer hineingebraust
Schauspielhaus zu erhalten. Die Schuld hieran trifft zunächst
die gute, deutsche bewehrte Faust,
dessen ersten Direktor, Herrn Adam Müller=Guttenbrun, der
schon vorher mit der Leitung des Raimund=Theaters einen
Wie ist das anders geworden!
Mißerfolg erlitten hatte, dann aber auch gewisse Wiener Ver¬
hältnisse, welche in der Eigenart der Wiener Bevölkerung be=Oder wenn uns der Dichter tröstet:
gründet sind. Für das ernste Drama ist nämlich in Wien
Geduld, es kommt der Tag, an dem das Licht
nach wie vor die große Ueberlieferung des alten Burgtheaters
der deutschen Volkskraft durch die Herzen bricht!
maßgebend, und wenn auch die künstlerischen Darbietungen in
dem neuen Prunkbau Semper-Hasenauers lange nicht mehr
Zudem ist Oelwein gleichzeitig ein hervorragender No¬
auf der einstigen klassischen Höhe stehen, so geht der Wiener
vellist, wovon besonders die unter dem Titel „Starke er¬
eben doch mit Vorliebe ins Burgtheater, wenn er für seine
schienenen vier Erzählungen zeugen. Wenn einer von der be¬
klassische Bildung etwas tun will oder das Bedürfnis nach
wußten Klingel z. B. eine Novelle fertig brächte, wie „Die
einem literarischen Theaterabend empfindet.
Märtyrerin", der ganze Literatenklingel würde vor Ent¬
Trotzdem sich leider auch in den Werken des jungen
husiasmus auf dem Kopfe stehen
Deutsch=Oesterreich unverkennbar ein Stillstand in der Fort¬
Im Gegensatz zu Oelwein mit seiner starken, frischen
entwicklung des deutschen Dramas zeigt, haben wir in letzten
Männlichkeit schweben über den meisten Gedichten von Franz
Zeit doch einige recht bedeutende Neuerscheinungen zu ver¬
Christel eine leise Wehmut, eine trübe Resignation, was den
zeichnen, die es wohl verdienten, daß sich die reichsdeutsche
Dichter als echten Oesterreicher kennzeichnet. Oft erzielt er
Bühne ihrer annähme. Vor allem Wolfgang Maderas fünf¬
eine geradezu ergreifende Wirkung durch plötzlichen Uebergang
aktige Tragödie „Ahasver“, in welcher das Problem des ewi¬
von sonniger Heiterkeit zu müder, schmerzlicher Entsagung.
gen Juden so tief und erschöpfend behandelt wird, wie dies
Dazu ist er ein Meister der Sprache, und Gedichte wie „Ein¬
vor ihm wohl noch keinem Dichter gelungen ist, der diesen
same Lust", „O scheide nicht!“ „Arme Liebe, atmen einen
beliebten, aber überaus spröden Stoff aufgegriffen hat. Ge¬
Stimmungszauber, der einem schönen Spätsommertag zu ver¬
danklich baut sich die Dichtung Maderas auf Schopenhauers
gleichen ist, an dem uns die erste Herbstahnung bange durch¬
Philosophie auf, und Ahasver erscheint als der Typus der
fröstelt.
Menschheit aufgefaßt, welche, „inbrünstig nach Erlösung lech¬
Wenn ich nun noch Leopold Hörmann erwähne, den be¬
zend“, die Lebensbejahung verflucht und doch in ihr das Heil
sucht! Als Jesus unter der schweren Last des Kreuzes den deutendsten zeitgenössischen Dialektdichter in süddeutscher
Mundart, dessen prächtiger Humor und echtes deutsch-völkisches
letzten Leidensweg nach Golgatha hinaufkeucht, da muß er
Empfinden aus jeder Zeile seiner Gedichte spricht, und dann
am Hause Ahasvers vorbei. Dieser sitzt eben vor seinen
den Lyriker Franz Karl Ginzkey, der kürzlich einen Gedichtband
Heim auf der Schwelle und traumt von den Wonnen der
Brautnacht mit dem ihm am Tage vorher angetrauten heiß „Das heimliche Lauten“ herausgegeben hat, den Romanschrift¬
steller Josef Puhm, so glaube ich in großen Umrissen jene neu
geliebten Weibe, als sich der Heiland blutüberströmt mit der
aufstrebende verheißungsvolle Wiener Literatur geschildert zu
flehenden Bitte an ihn wendet: „O rasten — dort — nur
haben, die sich sicher auch in Deutschland früher oder später die
einen Augenblick.“ Aber Ahasper, ein „mitleidloser Sklave
ihr gebührende Beachtung ertrotzen wird. Der Jung=Tiroler
des Genusses", weist den Kreuztrager mit harten Worten zu
ist in diesen Blättern ja bereits rühmend gedacht worden.
rück. Da zuckt ein Blitzstrahl hernieder, tötet das Weib Ahas¬
vers, und von den Lippen des Nazareners ertönt der schauer¬
liche Fluch, der den mitleidlosen Juden zum ewigen irdischen
Leben verdammt:
Nie sei der Seele Frieden Dir gegönnt,
die Ruhe nie, die Edle köstlich lohnt,