VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 218

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Wien,
0.42
gen
Tagesbericht
Gustav Frieberger.
Unser Kollege Gust. Frieberger begeht am
heutigen Tage seinen 75. Geburtstag. Einer Familie alt¬
österreichischer Beamten und Offiziere entstammend, wurde er
sogleich nach Beendigung seiner juristischen Studien Tages¬
schriftsteller, und vom Beginn seiner journalistischen Tätigkeit
stand er in den vordersten Reihen. Aus der Jung=Wiener
Schule hervorgegangen, Freund und Berater Arthur Schnitzlers
in dessen Werdejahren, betätigte er sich auch auf belletristischem
Gebiete und gab eine Sammlung dieser Arbeiten in dem
Novellenband „Der letzte Flittertag“ heraus. Sein Haupt¬
arbeitsgebiet wurde das politische Schrifttum; ein Sammler
seiner politischen Leitaufsätze fände darin eine kritische
Geschichte Oesterreichs im jüngsten Halbjahrhundert. Das
Vertrauen von Staatsmännern wie Max Vladimir Beck,
Stürgkh, Kielmansegg und Seidler, seine bewährte Loyalität
und Erfahrung, Stilkunst und publizistischer Takt schufen ihm
eine besondere Stellung. In jüngeren Jahren bekleidete er
die Stelle eines Chefredakteurs der alten „Presse“, nachdem
er Mitarbeiter der „Vossischen Zeitung" gewesen, damals eines
der bedeutendsten Blätter Berlins. Vom September 1898 an
hat er in der Redaktion des „Neuen Wiener Tagblattes“ an
der Leitung des politischen Teiles, aber auch im literarisch¬
feuilletonistischen Bereiche hervorragend mitgewirkt und sich
bis zum September des Vorjahres, wo er in den Ruhestand
trat, mit freudiger Hingabe an seinen Beruf im Dienste des
„Neuen Wiener Tagblattes“ betätigt. Die Glückwünsche seiner
Kollegen, denen er immer ein selbstloser Freund und Mit¬
helfer blieb, und seiner zahllosen Leser begrüßen ihn an seinem
Festtage.
Wr. Nr.
800
Die Direktion des Burgtheaters veranstaltet in der heurigen
Spielzeit einen Zyklus österreichischer Meister¬
werke, der repräsentative Werke von Grillparzer, Raimund
Nestroy, Anzengruber, Schönherr, Hofmannsthal, Schnitzler und
Wildgans bringen wird. Dieser Zyklus wird am Dienstag den
31. d. M., mit der Neuinszenierung von Grillparzers „König
Ottokars Glück und Ende“ festlich eröffnet. Der Vorstel¬
lung werden der Herr Bundespräsident, der Herr Kardinal und
eine Reihe von Mitgliedern der Bundesregierung beiwohnen.
Die Uraufführung von „König Ottokars Glück und Ende" fand
am Burgtheater am 19. Februar 1825 statt. Das Werk gelangte
seither hunderteinmal zur Wiederholung und wurde seit Februar
1918 nicht mehr gegeben.
RATS

I. Oesterr.
OBSERVER behördl. konz.
Büro für Zeitungsnachrichten
WIEN, WOLLIELE
Volk
Anton Wildgans
erster Todestag.
Der Schöpfer des bürgerlich-sozialen Gedichtes.
Seine Rede auf Oesterreich.
Heute ist es ein Jahr her, daß der Schöpfer
des österreichischen bürgerlich-sozialen Ge¬
dichtes gestorben ist. Knapp nach Vollendung
des 51. Geburtstages hat das Schicksal ihm den
gnadenvollen schnellen Tod bereitet, von dem
im Laufe nur weniger Monate auch zwei andre
große heimische Dichter, Hofmannsthal und
Schnitzler, ereilt worden sind. Das Werk von
Anton Wildgans, losgelöst von dem, der es voll¬
bracht hat, ist nicht zugleich mit ihm (wie es so
manchmal geschehen kann, wenn ein Dichter
sich überlebt) verwelkt. Seine Verse, diese in
alle Dunkelseiten des Lebens greifenden, an¬
klagenden aber auch verstehenden, verzeihenden
und lächelnden Gedichte sind, um das kommer¬
zielle Maß anzulegen, keine Ladenhüter. Kürz¬
lich haben sie bei Reinhardt sein mächtiges
dramatische Lied vom ungewollten Kind,
„Dies Irae" gespielt und vorgestern seine er¬
schütternd hinreißende „Armut“.
Eine Anton Wildgans=Gesell¬
schaft, die an seinem Sarge gegründet
wurde, vereint und ruft heute die besten
Namen, aber auch der Zahl nach bedeutende
Mitglieder, die alle auf diese Weise den be¬
gnadeten Mensch postum ehren wollen (zu
Lebzeiten hat man sehr spät damit angefangen,
eigentlich erst ein Jahr vor seinem Tod), dem
ein Gott zu sagen gab, was wir alle leiden.
Muß man daran erinnern, daß er auch im
wildesten Kriegstaumel seine Feinde gekannt
hat, daß er seine „Infanterie“, von diesen
„Schwertern der Weltgerichte" nicht für
irgendeine Konstellation, sondern für alle ge¬
schrieben hat, die Kanonen gegenüberstanden,
daß er, Grundlage seines Ruhmes, das hohe
Lied der Liebe, die „Sonette an Ead", ge¬
sungen hat
Von seiner engen Mansarde aus der
dürftigen Kinbett des Beamtensohnes heraus
sieht er die Sonne widerstrahlen in Klocken und
Kanälen. Sieht alltäglich die Tausende aus
Ruß und Rauch ziehen „heimwärts, wo jeder
sein Glück und sein Elend hat". Da sieht er
sie, die Dienstboten, für die nur am sparlichen
Urlaubstag die Glocke nicht schrillt, die blassen
Mädchen aus den Kontoren strömen, im Früh¬
ling, der ihnen verhängt ist, mit Sehnsucht und
Gefahr, dem magischen Einfluß des Un¬
bekannten, auf den alle irgendwie warten,
unterliegend. Von den Häftlingen und
Richtern, von den Lahmen, die da unten beim
Krankenhaus harren — worauf: —, wird er
den gesunden Brüdern ein traurig Stück er¬
zählen. Und immer wieder von der Heimat¬
erde, von unsrer Blüte, von unsrer Frucht,
von unsern Menschen, von den österreichischen
Menschen, von diesem Lande, das er in seiner
„Rede auf Oesterreich“, die ihn zur
zweiten Burgtheaterdirektion führte, so einzig¬
artig definiert hat.
Nur dieses kleine Wort des Gedenkens als
kleine Frühlingsblüte aus der großen Saat, die
er zeitlebens verstreut hat, unvergänglich, weil
auf dem Boden des Genius gezogen, diese Saat
vom Mitleid, Verstehen, großer Güte und un¬
endlicher Liebe.