VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 241

13. Miscellaneous
box 44/10
Es erschien dem Stadtrat daher angezeigt, das
onsohn in Front und gewann sicher
Projekt der Herstellung einer Gleisschleife beim
Länge, vier Längen.
Rennplatz wieder aufzugreifen und da die Weiter¬
eg; 19, 18: 10 Platz.
schaft rein untergeht, sind die Ecksteine. Und was
hütterung tiefes Fühlen zu er¬
zwischen den ersten und den letzten Werken an
Nein, weder in Ihren Novellen
Größerem oder Kleinerem, Geglücktem oder Blasse¬
dramen wird gewertet, geurteilt,
rem da ist, sind nach dem Goethewort Lebens¬
Menschen und ihren Erlebnissen
puren, für jenen also, dem nicht das Werk, son
wenn Sie nur Silhouetten schnei¬
dern das Wirken, nicht das Ziel, sondern die pracht¬
den des Medardus Klähr oder der
volle Bewegung eines Sterbenden die Hauptsache
ses grotesken Kakadu an die Wand
ist, weitaus Teureres als zufällig geglückte oder
Sie haben alle die Leute und
auch klug ersonnene, wirksame Theaterstücke, No¬
zueinander, voneinander, durch¬
mane, „Literatur. Höchste Kunst — manche nen¬
er gekannt, Ihr Herz hat sie um¬
nen's dichterisches Genie — ist eben zum letzten ent¬
gefühl sie umspült; und ohne je die
wickeltes Talent. Darum ist es nicht Armut, son
senden und Richtenden zu haben,
dern Zeichen schöner und ernster poetischer Arbeit,
den Wegen Ihrer Geschöpfe den
daß jene Motive, die Schnitzler zum Formen der
sen Seele sehen. Und wir spürten
ersten Sätze drängten, auch die vollen Töne seiner
Hoffnungen u. auch Forderungen
letzten uns bekannten Werke ergeben.
Ihnen kämpfen und denen Sie
Man mag sie alle, die frühen und die späten, die
ing wünschen. Was soll man Har¬
in Poesie und die in Prosa, Spiele des Lebens mit
enn nicht diese Einheit und Innig¬
ernstem Hintergrund nennen. Wenn er das ver¬
in fürs Freiwild den armen Leut¬
liebte Mädchen und den leichtsinnigen jungen Herrn
setzte, unfreie Menschen uns die
in dem oder jenem Stück die Stunde fühlen läßt,
haben, oder die verästelten, irren
wo das Unabänderliche eben unabänderlich wird,
dischen Rasse im Kampfe mit der
kein liebes, kein süßes, auch kein noch so kluges
rer Heimat — natürlich nicht der
Wort und keine anmutige Gebärde den Schlag mehr
tönen ließen, — immer haben Sie
abwehren kann — das ist ein Thema Schnitzlers.
begriffen, gezeigt; in ihren Herzen
Und ein anderes, fast das andere: wenn jene Men¬
seelen und Seelchen haben Sie die
schen die Einsamkeit zu spüren bekommen, die zu
nen Naturen zu erfassen vermocht.
viel küßten und Menschen deshalb nicht festhalten
Ihre Gewalt aus einem warmen,
können, die allen Reichtum mit allen Sinnen sassen
sitten Verstehen aller Menschlichkeit
wollen und darum in weicher, nicht weichlicher, Re¬
von Schlacken freien Dichtungen
signation die harte Grenze erkennen müssen, wo die
Verlassenheit anfängt. Verwoben, verdichtet in
solche Tragik ist dann das Gefühl, das ein Reigen
der Verliebtheit, der frohen sinnlichen Wünsche uns
nicht wahr, was die Leute so gerne
alle umschlingt, aber auch jene Traurigkeit keinem
nitzler sagen und schreiben, daß er
erspart bleibt, daß der Sieger, die Siegerin von
ler oder Kollege jener französischen
heute, morgen verwundete Geschöpfe sind, wir ein
ren Horizont nur die Reflexe der
jeder unser Teil am Leide bezahlen müssen. Das ist
legante Gesellschaft einschließt. Oder
nicht Pessimismus, nicht Weltschmerz, sondern der
seiner Stoffe und seiner Dichter¬
Ausdruck des Gefühls, daß selbst die Frohesten und
und auf immerdar eng sei einge¬
Reichsten Stunden haben, da sie die Zeit der Jün¬
der Süßenmädelromantik und der
geren gekommen spüren, ihrer Seligkeit zu dienen
sophie Wiener Menschen. Nur das
haben oder der Tod seine Diener schickt, die mit
daß Schnitzler nicht zu den Naturen
harten Knöcheln an die Türe anklopfen, hinter der
Gestaltung von Personen und Ge¬
Abenteuer geschehen oder ersehnt werden.
singen, die ihnen innerlich fremd
Abschied nehmen müssen, wenn noch der Glanz
nen mühsamen Poeten, die fast ge¬
von vielen Erlebnissen und der Wunsch nach neuer
Problemen suchen, von denen sie
Buntheit schimmert; das Pochen des unbekannten
hrt wurden. Entwicklung? Gewiß,
Herrn (in der Liebelei), der unvermitteres Unglück
Dichter geschehen oder vielmehr er
bringt, die Kälte, die in die Mainacht fällt, plötzliche
zen Einsatz seiner Künstlerschaft sie
herbe Begegnungen oder die Empfindung, wie weit
st. Das Märchen, sein erstes Stück,
voneinander sich Menschen entfernen können, die
erste, wundervoll rührende Novelle,
einmal nahe waren, der Blick aufs weite Land, das
Medardus, sein letztes, das Stück
sich jäh zwischen zwei Männern streckt, die Unüber¬
aben, der am Willen zur Helden¬


ende

britannischen Inselreich seit dem 1. Januar 1912 in Kraft. Als
Höchststrafe für Grausamkeit gegen Tiere sind fortan sechs Mo¬
nate Gefängnis mit harter Arbeit angenommen, wozu noch
eine Geldstrafe bis zu 500 treten kann.
brückbarkeit persönlicher Gegensätze oder Welt¬
gefühle, dann wieder der Anblick zweier Frauen,
wo von der einen zur andern Schmerz um Ver¬
lorenes einen Steig baut, indes in der Atmospäre
um sie tausenderlei einfache oder wirre Beziehun¬
gen ein immer wechselndes Bild von Unbesorgtheit
oder auch Unberührtheit schaffen — das sind Mo¬
mente, die Artur Schnitzler zarter aber plastischer
als irgend ein Deutscher, der jetzt lebt, gestaltet hat,
und die das Gedächtnis herbeiwinkt, wenn man sich
vergegenwärtigt, welche neuen Aufschlüsse dieser
Dichter uns vermittelt hat.
Der Stoff ist Erotik, nicht Sexualität übrigens,
die Werke aber geben mehr: die Beziehungen der
erotischen Charaktere und Schicksale unserer Zeit zu¬
einander und die Beziehung der Erotik zum Dasein
der Menschen, zur Zeit überhaupt. Und ob wir
nun Silhouetten von Menschen wieder vor uns
sehen, die Schnitzler in seinen Stücken geschaffen hat,
oder Klänge wiederkommen aus seinen kleinen Ge¬
schichten — es sind unsere Schicksale, von denen
da ein Lied, eine Ballade, eine Dramaszene handelt.
Die Betrügenden und die Betrogenen, die Eifer¬
süchtigen und die Einsamen, die Marionetten und
die mit dem Leben Spielenden — wir sind es, un¬
sere Sorgen und unser Lachen, unser Wünschen, un¬
ser Müdewerden, unsere Entscheidungen, die Ziegel¬
steine, die uns auf den Kopf fallen, werden da in
allerlei Licht und Lichtern, in aller Feine und Herb¬
heit, die Menschen unserer Zeit haben, vor uns ge¬
stellt von einem, der alles von uns zu wissen, uns
sozusagen auswendig zu kennen scheint. Das eine
Stück, der eine Roman ist besser, der andere uns
ferner. Eines aber ist immer da: was wir dumpf
spüren, uns bewegt; unser Begehren und unser
Leid ist da nicht nur ausgesprochen, sondern emp¬
funden, geformt, und so rüttelt es ans Herz. Ohne
daß uns Grausamkeit peinigt, wird unendlich viel
aufgedeckt, und wir sind auf die schönste Weise er¬
schüttert, weil in dem Dichter Wärme für das dumme
Mädel und ihren alten Vater, den Verlassenen und
den Toren lebendig ist, und all die Kinder seiner
Dramen, Roman, Skizzen denn auch durchdringt
weil Schnitzler nicht mit dem Gehirne, sondern mit
dem Gefühl dichtet es ist traurig genug, daß man
dies, weil es ja nicht eben häufig in der Welt der
Rampe und Druckerpressen ist, so eindringlich sagen
muß.
les