I, Erzählende Schriften 43, Der Sekundant, Seite 8

43. Der Sekundant
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Weltten!
Tariivertrags¬
Trotzdem ist die Episode des Volksbundes nicht vergeblich
kbeiterrechts für
gewesen. Aus den Kreisen, die sich damals mit Ernst
hluß bereits er¬
lich Scwächsten Francke zu gemeinsamer Arbeit fanden, sind die Männer ge¬
imarbeiter, der kommen, und die Parteien entstanden, die das deutsche Volk
es Herzens ein= nach dem äußeren und inneren Zusammenbrechen vor dem
er während des Chaos gerettet haben. Auch die Demokratische Partei ge¬
hörte zu diesen Parteien, und Francke war ihr von Anfang
ieten auch noch
gerwitwen= und
an beigetreten. Und der vom Velksbund vertretene Ge¬
der bekannten
danke, der auch das Lebenswerk Franckes beseelte: „Inter¬
mpfund ich mein Hiersein, dieses Aug in Aug=Sitzen und
ant
Sprechen mit Agathe, das leise Flattern der Fenstervorhänge
das schweigsame Erscheinen und Verschwinden des Dieners
keineswegs als traumhaft, sondern eher als eine andere,
geringere Art von Wirklichkeit. Aus dieser andern Wirk¬
ER
lichkeit schrillte auch das Pfeifen des kleinen Dampfers zu
uns her, in dieser Wirklichkeit wußte ich den See liegen
einrich Schnitzler
unten im Mittagsglanz, in diese andere war auch Aline
e das rechte ge¬
wieder zurückgekehrt, und dort lag auch der Mann, den
ge leuchteten in
ich heute morgens tot am Waldesrand hatte hinsinken sehen.
wie sie sich auf
Wirklicher als all das war, was zwischen Agathe und mir
ängt hatte und
hin und her schwebte, war, nicht was ich sagte, doch der
war, dann er¬
Ton ihrer Stimme, war ihr Blick, ihr Wunsch war unser
im Garten mit
Verlangen.
ahren war, und
Das Mahl war zu Ende. Der Diener kam nicht wieder,
Sinn: „Kind.
wir waren allein.
n nicht gewagt.
Agathe stand vom Tische auf, sie trat auf mich zu, nahm
das erste Mal,
meinen Kopf in beide Hände und küßte mich auf die Lippen.
ie ich für eine
Es war kein glühender Kuß, er war eher milde, mehr Güte
Geschenk ihres
als Leidenschaft war in ihm, er war geschwisterlich und doch
warten dürfen?
berauschand, er war Feierlichkeit und Wollust zugleich.
Rommen so un¬
Und später, von ihrem Arm umschlungen, glitt ich in
is anderes, als
tausend Träume.
genug hielt, um
Wir lagen auf einen Wiesenhang hingestreckt; es war der
hres Gatten zu
gleiche, auf dem sie neulich erst an Eduards Seite gelegen
zu benützen.
war. Ich wundere mich, daß sie so ruhig ist, ohne jede
Angst, irgend etwas Furchtbares ist ja geschehen — ich weiß
andte mich um.
nicht was, denke auch nicht darüber nach, aber ich weiß, daß
thens Boudoir,
wir fort müssen, so weit als möglich. Dann sitzen wir in
fossen uns gegen
einem Eisenbahncoupé; das Fenster ist offen, die Vorhänge,
it unbestimmten
nicht befestigt, fliegen hin und her, zerrissene Bilder wechseln¬
der Landschaften rasen vorbei, Wälder, Wiesen, Zäune, Felsen,
und ich. Der
Kirchen, vereinzelte Bäume, unbegreiflich schnell und ohne
it Goldknöpfen,
jeden Zusammenhang. Rasch genug, niemand kann uns nach,
nicht einmal die Leute, die im gleichen Zug fahren; es ist unfa߬
mit erlesenem
bar, aber doch ist es so. Plötzlich höre ich ihren Namen
Getränk nichts
draußen rufen, ich weiß, es ist ein Telegraphenbote, der sie
völlig harmlos
sucht. In mir ist nur die Angst, daß sie es hören könnte.
ezwungen, nicht
Aber der Name klingt immer leiser, endlich verklingt er
ite. Doch wäh¬
ganz, und der Zug rast weiter. Wir reise., ja, wir reisen
lebens sprachen,
wir reisen immerfort. Jetzt sind wir in einem Spialsaal
von der bevor¬
es wird wohl Monte Carlo sein. Wie kann ich nur
ssichtlichen Teil¬
zweifeln? Natürlich ist es Monte Carlo. Agathe sitzt am
wohl ich keinen
Spieltisch mitten unter anderen Leuten, sie ist schön, sie ist
d das ich nur
ganz ruhig, sie spielt, sie verliert, sie gewinnt, ich schaue nach
u berichten
Geliebte. Ihr Gesicht ist entstellt vom Fett, unter ihren
Augen — den einst so schönen — hängen Säcke und ihre
Oberlippe schatten graue Härchen. Der Dichter grüßt, bleibt
aber nicht stehen, den er weiß, daß sie ein böses Mundwerk
hat, und er erinnert sich nicht gerne, daß er sie je geliebt hat.
Manchmal geht er in den Loupre und steigt hinauf in die
Galerie, wo die Kathedrale hängt. Er betrachtet sie
lange Zeit und seufzt
(Uebertragen von Hans B. Wagensefl.)
allen Seiten aus, ob niemand da ist, der sie kennt und ihr
vielleicht verraten könnte, daß ihr Gatte tot ist. Aber es
sind ja lauter fremde Leute — braune, gelbe Gesichter, auch
ein Indianer sitzt am Spieltisch mit einem ungeheuren roten
Federnschmuck auf dem Kopf. Da steht Aline in der Türe.
Wie, sie ist uns nachgereist? Nur um es ihr zu sagen?
Also fort, fort. Ich berühre Agathe an der Schulter, sie
wendet sich nach mir um mit einem Blick voll Liebe. Und
wieder rast der Zug mit uns davon. Durch das offene
Fenster blickt iegendwer herein — wie ist das nur möglich?
Er klammert sich offenbar braußen an die Fensterbrüstung.
Er hält ein Stück Pavier in der Hand: das Telegramm, ge¬
wiß. Ich stürze den Mann hinunter, er k#llert hinab, ich
weiß nicht wohin — ich seh' ihn ja auch gar nicht. Weiches
Elück, daß Agathe nichts bemerkt hat. Natürlich nicht. Sie hat
ja ein großes englischee Journal in der Hand . . . und blättert
darin, sieht sich die Bilder an. Wie komisch, da ist ein Bild,
das den Spielsaal von früher darstellt und sie und mich
unter den Spielern. Wie rasch die Nachrichten gehen. Wenn
ihr Mann dieses Bild zu Gesicht bekommt — was wird mit
uns geschehen? Wird er auch mich umbringen, so wie er den
Rittmeister umgebracht hat?
Und mit einem Mal bin ich wieder in der Villa, in dem
Zimmer, auf dem Diwan, wo ich wirklich bin. Es ist wirk¬
lich und zugleich doch ein Traum. Ich träume, daß ich wach
bin, ich träume, daß meine Augen offen sind und riesengroß
zu den flatternden Gardinen starren. Und ich höre Schritte,
langsame Schritte von sechs Männern oder zwölf. Ich weiß,
daß man jetzt die Bahre mit dem Leichnam bringt, und ich
fliehe. Ich bin auf der Terrasse draußen. Ich muß hinab
über die Stufen. Wo sind die Männer, wo ist die Bahre?
Ich sehe sie nicht. Ich weiß nur, daß sie mir entgegenkommt
und daß es mir unmöglich ist, ihr auszuweichen. Plötzlich
stehe ich im Garten ganz allein, aber es ist kein wirk¬
licher Garten, es ist einer wie aus einer Spielzeugschachtel;
es ist genau der Garten, den ich vor vielen Jahren einmal
zum Geburtstag geschenkt bekommen habe. Ich habe bisher
gar nicht gewußt, daß man darin auch spazieren gehen kann.
Auch kleine Vögel. sitzen auf den Bäumen. Die hab' ich da¬
mals nicht bemerkt. Und jetzt fliegenesie alle weg, zur Strafe,
weil ich sie bemerkt habe. Und beim Gartentor steht der
Diener und verbeugt sich sehr tief. Denn eben tritt Herr
Loiberger persönlich herein. Er hat keine Ahnung davon,
daß er tot ist und dabei hat er doch einen weißen Regen¬
mantel an. Ich muß ihn ins Haus hineinbegleiten, damit
Unterhaldungsblatl d.Vontte Nc-S 2.4. 1422