I, Erzählende Schriften 36, Flucht in die Finsternis (Der Verfolgte, Wahnsinn), Seite 10

Flucht in di
Finsternis
36 acHEES
JOBSERVERC
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WIEN, I., WOLLZELE 11
TRLEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Abesarberte“
Man Fehse. 2
vom:
21 07. 1937
(Arthur Schnitzler und Adolf Sonnenthal.) Wie der
nun veremigte Dichter zu einem der bedeuteldster Schauspieler
seiner Zeit stand, erhellt mit schöner Klarheit aus dem Brief¬
wechsel Sonnenthals, den dessen auch schon heimgegangene Tochter
Hermine mit feinfühliger Sorgsamkeit ediert hat. Am 18. Februar
1889 schreibt Sonnenthal, den jungen Poeten „Lieber Arthur!“
ansprechend, über dessen Einakter „Episode“, den er „reizend,
geistvoll, ja stellenweise poetisch“ findet. Nach deutschen Begriffen
fehle jedich die für Feinheiten des Dialogs nicht hinreichenden
Ersatz bietende Handlung, und selbst für Mussetsche Proverben
hätte unser Publikum kein hinreichendes Verständnis erwiesen. —
Sonnenthal schließt: „Ihr Stückchen verrät ein starkes Talent,
zu dem ich Sie nur beglückwünschen kann und das wohl die
weiteren Versuche lohnt.“ Am 16. Dezember 1892 schreibt der
Künstler dem Dichter, heftig ablehnend, über den „Anatol“. Er
hat sich „durchgeärgert durch alle Ludensstationen dieses Kalvarien¬
berges“. Die langjährige Freundschaft zu dem Hause seines
es trefflichen Arztes Regierungsrat Dr. Johann
Vaters,
Schnitzler, berechtige ihn zu so herten Worten. Er verweist den
vom Pfade reiner Poesie abirrenden „Realisten“ auf Fuldas
„Talisman“ und Wilbrandts „Meister von Palmyra“ als nach¬
ahr nswerte Meister und Muster. Schnitzler antwortet mit edler
Be heidenheit am 19. Dezember 1892: „Ich möchte nicht
„Anatol“ sein — aber ich aann durchaus nicht bedauern, einige
Plaudereien geschrieben zu haben, in welchen dieser Herr vorkommt.
Wenn die Grenzen meines Wesens mit den inneren Erlebnissen
und Resultaten jenes Buches umschrieben wärerl, so täte mir das
selber leid, aber ich hoffe, den Beweis weiterer
Grenzen erbringen zu können.... Am 20. De¬
zember 1904 beglückwünscht Schnitzler Sonnenthal zum
70. Geburtstag mit einem Zitat aus dem „Grünen Kakadu“
in dem er den Henry („leider nicht oft genug“, denn das Stück
mußte rasch als zu revolutionär aus dem Burgtheaterspielplan
verschwinden) gespielt hatte: „Einer, der uns vorspielen kann,
was er will, ist doch mehr als wir alle“ Zum 50jährigen
Burgtheaterjubiläum stellt sich der Dichter mit tief empfundenen,
formoollendeten Distichen ein, die den langen Geisterzug der von
Sonnenthal geschaffenen Gestalten poetisch beschwören, dem
auch drei Schnitzler=Gebilde angehören: der Cellist Weyring,
Christinens Vater („Liebelei"), der schon erwähnte Komödiant
Henry („Kakadu“) und der „weise betrog'ne Professor, dem so
verspätet als milde eine Gefährtin erschien . ..“ („Die Gefährtin").
Er fordert die eigenen Geschöpse auf, sich tief vor dem Meister zu
neigen, „der in euch alle zuerst Atem des Lebens gehaucht“.
Abdt.
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Muld
währ
Schnitzlers letztes Werk.
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„Die Flucht in die Finsternis.“
(S. Fischer Verlag.)
geleg
Nachdruck verboten.)
Von
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HEINRICH EDUARD JACOB.
den
Papi
„Er hatte damals einen Beweis gefunden, dass es eigentlich
den
keinen Tod auf der Welt gebe. Es sei ja zweifellos, erklärte er,
kran
dass nicht nur für Ertrinkende, sondern dass auch für alle Ster¬
nahn
benden im letzten Augenblick das ganze Leben mit einer unge¬
heuren, für uns andere gar nicht zu erlassenden Geschwindigkeit
noch einmal sich abrolle. Du nun dieses erinnerte Leben natür¬
lich auch wieder einen letzten Augenblick habe und dieser letzte
Augenblica wieder einen letzten, und so weiter: so bedeute das
Sterben im Grunde nichts anderes als die Ewigkeit — unter der
mathematischen Formel einer unendlichen Reihe.“ — Ein mathe¬
tratz
matisches Problem also enthüllt dieser Ausspruch? Gewiss.
ersch
Aber wer häufig nach dieser Seite hin denkt und spekuliert, der
kann eines Tages wahnsinnig werden. Mögen solche Gedanken
nun richtig oder falsch sein: sie passen vortrefflich ins Meuble¬
ment einer vom Wahnsinn bedrohten Seele.
Mensch, langsam zunächst, in den Wahnsinn abgleitet. Kaum
schli
erkennt man ihn hier: den von den Literaturgeschichten gern
als „sankt“ und lieber noch als „preziös“ bezeichneten Schnitzler.
eine
Mit grösster Intensität hat er ein klinisches Thema behandelt.
scho
Kein Wort dient leerer Anmut, keines der Schmückung. Alles
rühr
ist einbezogen in die Spannung einer furchtbaren Frage: Wird
der Ministerialbeamte Robert wahnsinnig oder wird er es nicht?
Die Krähenschar der Zwangsgedanken, die heimlich nagenden
Rattenzähne einer nie begangenen Mordtat, ein kaum einpfun¬
dener Wunsch zu töten, der wie ein Messer auf dem Tisch liegt:
all das nächtige Gelichter hängt sich an einen noblen und scelisch
zart gebauten Menschen, um ihn niederzuziehen. Es ist ein
Thema, das es in der Literatur nicht sellen gegeben hat, und
— wenn man etwa an Dostojewskis „Doppelgänger“ denkt —
unzweifelhaft wilder, dynamischer, schrecklicher. Aber die
Arbeit Schnitzlers ist einzigartig durch etwas Neues: durch ihre
„Sanftmut“ im Schrecklichen, durch das eben doch Schnitzlerische
im Unerbittlich-Kahlen. Nicht der Lebensniedergang selbst, son¬
dern seine Gleiterscheinung ist das Wundervolle an dieser
„Flucht in die Finsternis“. Der Ministerialbeamte Robert fährt
in den Wahnsinn hinab wie mit dem Bobschlitten. Schönes, Medi
traumhaftes Winterweiss, schh iernde Nebel aus schneegefüllten Mit
Tolinn Tagettal, S