Flucht
Fins
die
36 A Crn 18
Mulden, eine kalte, gekelterte, Luft weht in dem Buche, das
während einiger Wiener Monate und auf dem Semmering spielt.
s Werk.
In lustiger Junggesellenzeit hat Robert einmal erlebt, wie bei
einem Leutnant Höhburg — und eben hatte der noch die Hand
nsternis.“
mit dem Champagnerglas auf die Schulter seiner Geliebten
gelegt! — am Tage nach frohem Gelage der Wahnsinn ausbricht.
(Nachdruck verboten.)
In schwerster Erschütterung hat er gleich darauf seinen Bruder,
den Mediziner Otto, aufgesucht, und dem Widerstrebenden ein
JACOB.
Papier in die Hand gedrückt, darin er dem Arzt und Bruder
nden, dass es eigentlich
den Freipass ausstellt, beim geringsten Aufzucken einer Geistes¬
a zweifellos, erklärte er,
krankheit ihn, Robert, aus der Welt zu schaffen. Der Bruder
dass auch für alle Ster¬
nahm jenes Papier nie ernst — der Sonderling aber, der Hypo¬
Leben mit einer unge¬
chonder, der im Spiegel nach Schlaganfällen und Gesichts¬
senden Geschwindigkeit
lähmungen fahndet, nimmt es desto ernster. Und immer
serinnerte Leben natür¬
würgender mischt sich jenes alte, vielleicht längst verbrannte
k habe und dieser letzte
Briefblatt in den Reigen der Dinge und Situationen, die den
weiter: so bedeute das
Verfolgungstanz um den Ministerialbeamten beginnen. Als er
e Ewigkeit — unter der
ausbrechen will aus dem Reigen dieser grausigen Karussell¬
nReihe.“ — Ein mathe¬
fratzen, da kann er es nicht anders, als indem er den Bruder
rAusspruch? Gewiss.
erschiesst. Durch die gewonnene Lücke springt er hinaus und
enkt und spekuliert, der
tötet sich selbst.
Mögen solche Gedanken
Ein Buch von so lautloser und dabei schreckensvoller Inner¬
vortrefflich ins Meubie¬
lichkeit haben wir seit Hermann Hesses „Steppenwolf“ nicht er¬
eele.
halten. Dabei ist Schnitzlers Werk bitterer und unromantischer.
is“ stellt dar, wie ein
Ihm, dem man so gern Exzesse des „Spieltriebs“ — er war ja
insinn abgleitet. Kaum
schliesslich ein Oesterreicher — nachsagte, ist hier etwas ganz
iteraturgeschichten gern
Unspielerisches geglückt. Die Hand, die es schrieb, zeigt nicht
" bezeichneten Schnitzler.
eine Spur von Alter. Schnitzler hat den Tod und das Alter ja
sches Thema behandelt.
schon als Jüngling in jedem seiner Werke durch Hutlüften ge¬
der Schmückung. Alles
grüsst. Er hat Auflösung und Verfall gleichsam eingeladen: als
lurchtbaren Frage: Wird
Themen sein Werk zu betreten — vielleicht hat er gerade da¬
goder wird er es nicht?
durch sich Klarheit und Ueberlegenheit bis zur letzten Lebens¬
die heimlich nagenden
minute erkauft. Klar, überlegen ist dieses Buch — das doch zu¬
rdtat, ein kaum empfun¬
gleich von so gedämpfter Sanftmut erstrahlt wie dicht gefallener
sser auf dem Tisch liegt:
Schnee, der alle Kanten milder!! Wollte man es irgendwo ein¬
Eeinen noblen und seelisch
ordnen, so könnte man vor seiner vollkommenen Form nur
Hlerzuziehen. Es ist ein
gestehen: „Der Impressionismus ist nicht zu Ende.“
sellen gegeben hat, und
Neulich war Albert Einstein in Wien, und man pries, indem
Doppelgänger“ denkt —
man ihn zu ehren gedachte, seinen grossen Lehrer Ernst Mach,
schrecklicher. Aber die
dessen naturphilosophische Systematik unzweifelhaft zu den Be¬
etwas Neues: durch ihre
wegern gehört, die Einstein zur Relativitätstheorie geführt
eben doch Schnitzlerische
haben. Dieser Ernst Mach war auch der Lehrer Schnitzlers.
nsniedergang selbst, son¬
„Ich bin ein Naturwissenschaftler“, sagte Schnitzler, noch am
Wundervolle an dieser
letzten Abend vor seinem Tode, zu seinem Jugendfreunde, dem
terialbeamte Robert fährt
Medizinalrat Kapper, dem Urbild des Max aus dem „Anatol“.
n Bobschlitten. Schönes,
Nebel aus schneegefüllten Mit Heftigkeit, glänzend aus bleichem Gesicht, brachte er dies
2
Ka
90
box 6/3
vor — und man darf hinzufügen, dass er sogar ein Naturwissen¬
schaftler der neuesten Sorte war. Nicht mehr in „Quanten“
leben seine Menschen, sondern in „Feldern“. Für Mach waren
die Natur sowohl wie der Mensch Produkte aus Relativitäten und
Beziehungen. Ja, selbst Harmonie entstand für diesen grossen
Naturphilosophen'nur dort, wo „zwei Störungen sich die Waage
hielten“. In Machs und Einsteins Anschauungskreisen gibt es
keinen Platz mehr für den Begriff der absoluten „Substanz“.
Mach lehrt: „Ein Magnet in unserer Umgebung stört die benach¬
barten Eisenmassen, ein stürzendes Felsstück erschüttert den“
Boden, das Durchschneiden eines Nerven aber bringt das ganze
System von Elementen in Bewegung.“ Stolzer Zeitgenosse dieser
naturphilosophischen Erkenntnisse war ruch der Schriftsteller
Artur Schnitzler. Solange das von Ernst Mach Gelehrte Gemein¬
gut der Meuschen bleiben wird, solange wird auch die grosse
Novellenkunst Artur Schnitzlers bestehen.
Fins
die
36 A Crn 18
Mulden, eine kalte, gekelterte, Luft weht in dem Buche, das
während einiger Wiener Monate und auf dem Semmering spielt.
s Werk.
In lustiger Junggesellenzeit hat Robert einmal erlebt, wie bei
einem Leutnant Höhburg — und eben hatte der noch die Hand
nsternis.“
mit dem Champagnerglas auf die Schulter seiner Geliebten
gelegt! — am Tage nach frohem Gelage der Wahnsinn ausbricht.
(Nachdruck verboten.)
In schwerster Erschütterung hat er gleich darauf seinen Bruder,
den Mediziner Otto, aufgesucht, und dem Widerstrebenden ein
JACOB.
Papier in die Hand gedrückt, darin er dem Arzt und Bruder
nden, dass es eigentlich
den Freipass ausstellt, beim geringsten Aufzucken einer Geistes¬
a zweifellos, erklärte er,
krankheit ihn, Robert, aus der Welt zu schaffen. Der Bruder
dass auch für alle Ster¬
nahm jenes Papier nie ernst — der Sonderling aber, der Hypo¬
Leben mit einer unge¬
chonder, der im Spiegel nach Schlaganfällen und Gesichts¬
senden Geschwindigkeit
lähmungen fahndet, nimmt es desto ernster. Und immer
serinnerte Leben natür¬
würgender mischt sich jenes alte, vielleicht längst verbrannte
k habe und dieser letzte
Briefblatt in den Reigen der Dinge und Situationen, die den
weiter: so bedeute das
Verfolgungstanz um den Ministerialbeamten beginnen. Als er
e Ewigkeit — unter der
ausbrechen will aus dem Reigen dieser grausigen Karussell¬
nReihe.“ — Ein mathe¬
fratzen, da kann er es nicht anders, als indem er den Bruder
rAusspruch? Gewiss.
erschiesst. Durch die gewonnene Lücke springt er hinaus und
enkt und spekuliert, der
tötet sich selbst.
Mögen solche Gedanken
Ein Buch von so lautloser und dabei schreckensvoller Inner¬
vortrefflich ins Meubie¬
lichkeit haben wir seit Hermann Hesses „Steppenwolf“ nicht er¬
eele.
halten. Dabei ist Schnitzlers Werk bitterer und unromantischer.
is“ stellt dar, wie ein
Ihm, dem man so gern Exzesse des „Spieltriebs“ — er war ja
insinn abgleitet. Kaum
schliesslich ein Oesterreicher — nachsagte, ist hier etwas ganz
iteraturgeschichten gern
Unspielerisches geglückt. Die Hand, die es schrieb, zeigt nicht
" bezeichneten Schnitzler.
eine Spur von Alter. Schnitzler hat den Tod und das Alter ja
sches Thema behandelt.
schon als Jüngling in jedem seiner Werke durch Hutlüften ge¬
der Schmückung. Alles
grüsst. Er hat Auflösung und Verfall gleichsam eingeladen: als
lurchtbaren Frage: Wird
Themen sein Werk zu betreten — vielleicht hat er gerade da¬
goder wird er es nicht?
durch sich Klarheit und Ueberlegenheit bis zur letzten Lebens¬
die heimlich nagenden
minute erkauft. Klar, überlegen ist dieses Buch — das doch zu¬
rdtat, ein kaum empfun¬
gleich von so gedämpfter Sanftmut erstrahlt wie dicht gefallener
sser auf dem Tisch liegt:
Schnee, der alle Kanten milder!! Wollte man es irgendwo ein¬
Eeinen noblen und seelisch
ordnen, so könnte man vor seiner vollkommenen Form nur
Hlerzuziehen. Es ist ein
gestehen: „Der Impressionismus ist nicht zu Ende.“
sellen gegeben hat, und
Neulich war Albert Einstein in Wien, und man pries, indem
Doppelgänger“ denkt —
man ihn zu ehren gedachte, seinen grossen Lehrer Ernst Mach,
schrecklicher. Aber die
dessen naturphilosophische Systematik unzweifelhaft zu den Be¬
etwas Neues: durch ihre
wegern gehört, die Einstein zur Relativitätstheorie geführt
eben doch Schnitzlerische
haben. Dieser Ernst Mach war auch der Lehrer Schnitzlers.
nsniedergang selbst, son¬
„Ich bin ein Naturwissenschaftler“, sagte Schnitzler, noch am
Wundervolle an dieser
letzten Abend vor seinem Tode, zu seinem Jugendfreunde, dem
terialbeamte Robert fährt
Medizinalrat Kapper, dem Urbild des Max aus dem „Anatol“.
n Bobschlitten. Schönes,
Nebel aus schneegefüllten Mit Heftigkeit, glänzend aus bleichem Gesicht, brachte er dies
2
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vor — und man darf hinzufügen, dass er sogar ein Naturwissen¬
schaftler der neuesten Sorte war. Nicht mehr in „Quanten“
leben seine Menschen, sondern in „Feldern“. Für Mach waren
die Natur sowohl wie der Mensch Produkte aus Relativitäten und
Beziehungen. Ja, selbst Harmonie entstand für diesen grossen
Naturphilosophen'nur dort, wo „zwei Störungen sich die Waage
hielten“. In Machs und Einsteins Anschauungskreisen gibt es
keinen Platz mehr für den Begriff der absoluten „Substanz“.
Mach lehrt: „Ein Magnet in unserer Umgebung stört die benach¬
barten Eisenmassen, ein stürzendes Felsstück erschüttert den“
Boden, das Durchschneiden eines Nerven aber bringt das ganze
System von Elementen in Bewegung.“ Stolzer Zeitgenosse dieser
naturphilosophischen Erkenntnisse war ruch der Schriftsteller
Artur Schnitzler. Solange das von Ernst Mach Gelehrte Gemein¬
gut der Meuschen bleiben wird, solange wird auch die grosse
Novellenkunst Artur Schnitzlers bestehen.