I, Erzählende Schriften 35, Therese. Chronik eines Frauenlebens, Seite 9

Therese
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„Wiener Sonn- und Montags-Zeitung“.
14. Mai 1928
Nr. 20
eder Tangels, wurden siech und krank und sind verdorben, Immmmmmmimmmmmimmmmmmmmmmmmmmmmmiinte
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daßgestovben — wenn sie nicht als elende Hafendirnen sich jedem
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betrunkenen Matrosen und Neger um ein Geldstück hin¬
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geben müssen ...
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Das ist das Schicksal von hundert ehe¬
FÜR KNABEN
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maligen Offizieren der deutschen und
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nun

österreichischen Armee, das ist das Ende
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von braven Offiziersfrauen, das ist die
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Tragödie der Teilnehmer der Expedition
Meisterschaft der Darstellung und bei aller Schärfe der
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nach Südamerika. Jetzt erst kommt diese furcht¬
psychologischen Beobachtung wirken die Schilderungen der ein¬
bare Kunde zu uns. Noch lebt ein Großteil der Unglück¬
zelnen Leidensstationen Thereses eher ermüdend als fesselnd.
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lichen, arm elend, hilflos. Die, die gestorben sind an
Es interessieren uns heute nicht mehr die Bankdirektoren, die
Fieber, an Hunger, an Fron und Pein, diese verlorenen
lustigen Witwen, die Offiziersfamilien, kurz es interessiert
Menschen haben ausgelitten. Aber für die, die
uns nicht mehr in so hohem Grade wie ehemals das ganze
noch leben, für die muß Hilfe geschaffen
bürgerliche Milien der Vorkriegszeit, in dem Therese Fabiani
werden! Sie müssen den Ketten ihrer
als Erzieherin ihre schönsten Jahre vertrödeln mußte. Als
Sklavenhalter entrissen werden, die Ka¬
Sklavin der Launen ihrer Dienstgeber, als Freiwild für die
schemmen und Bordelle müssen sich
erotischen Gelüste ihrer männlichen Mitwelt. Sie interessieren
öffnen — das Wort, die Tat haben nun die Be¬
uns nicht mehr oder — vielleicht noch nicht: sie liegen uns
hörden, deren Aufgabe es ist, sich um die Auslands¬
schon zu ferne und noch zu nahe. Sie sind uns nicht mehr
österreicher und Auslandsdeutschen zu kümmern!
Gegenwart, aber noch nicht Geschichte.
Erst der Tragödie zweiter Teil: Therese Fabiani un¬
merkliches Vorbeigleiten am Glück — oder das Vorbeigleiten
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des Glücks an Therese Fabiani? —, die Darstellung ihres
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Verhältnisses zum Vater einer ihrer Schülerinnen und der
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Heldin tragischer Tod, den sie aus der Hand ihres unehelichen
Sohnes empfängt, rüttelt den Leser aus seiner Gleichgültig¬
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keit auf. Hier folgt man gefesselt und erschüttert dem Dichter,
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hingerissen von der Kraft und Tiefe seiner Beobachtung, von
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der milden, verständnisvollen Güte seines Dichterherzens, von
der majestätischen Einfachheit und Unmittelbarkeit seiner un¬
gesuchten, selbstverständlichen Worte. Der letzte Schimmer
Der neue Schnitzler=Roman.
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von Glück, der auf Theresens zerstampftes Dasein fällt und
„Chronik eines Frauenlebene.“
ihr schrecklicher Tod — gleichsam ein gewaltiger Schrei, der
Therese Fabiani, die Heldin des neuen Romans von
den ganzen tragischen Unsinn ihres verzettelten Lebens noch
Artur Schnitzler, war in der Vorkriegszeit ein Typus. Der
einmal zum Ausdruck bringt — sind dieser „Chronik“ herr¬
Typus der willenlosen, einsamen Frau, die sich ohne Wider¬
lichster Ertrag. Sie sind es, die diesen in der Vergangenheit
stand von den Wellen des Lebens treiben läßt und schließlich
verankerten Rontan zu einem Meisterwerk der lebendigsten
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unbarmherzig von ihnen verschlungen wird. Heute kann sie
Gegenwart stempeln.
e. g.
en nur noch als Trägerin eines Einzelschicksals gelten. Gewiß,
es auch heute gibt es noch Frauen, denen Leben und Sterben
ier ebenso mißraten wie der armen, vom Schicksal enterbten
Doktorhüte im Schleichhandel.
zu Offizierstochter Therese; Frauen, die flüchtige Freude mit
Wie man ohne Studium promoviert.
lich dem Jammer langer Jahre lichtlosen Dahinwelkens in ent¬
nd setzlichster Vereinsamung bezahlen müssen. Die Tragödie des
Wiener Fiaker und Marköre sind seit jeher mit Titel¬
sen Menschenkindes, das, vom grausamen Geschick verfolgt und
verleihungen sehr splendid gewesen. Für einen jungen Mann
die gepeinigt, von gleichgültigen und bösen Menschen gefoltert und genügt ein Zwicker oder eine Brille, um im Kaffeehaus taxfrei
ler ausgebeutet, in keiner Weise dem Leben gewachsen ist, kennt den Doktortitel zu erhalten. Das ist der billigste Doktorhut
sem keine Grenzen der Zeit. Sie ist ewig und als solche ein unver¬
der auf dem Jahrmarkt der Wiener Eitelkeiten zu haben ist.
el= wüstlicher Vorwurf für die Dichter aller Länder und Zeiten.
Zugleich eine harmlose und ungefährliche Hutmode, weil
ind Wenn trotzdem diese „Chronik eines Frauenlebens“ (be¬
sie den Träger, der zu bequem ist, um gegen diese Graduierung
ra= sonders im ersten Teil) dem Leser zuweilen den Eindruck
Einspruch zu erheben, nicht in den Verdacht der Hochstapelei
Die hinterläßt, als handelte es sich hier um einen Ausschnitt aus
zu bringen vermag. Aber es gibt Fälle, in denen man sehr
as, dem Leben einer Zeit, die uns nicht mehr viel zu sagen hat, leicht in ein hochnotpeinliches Verfahren verstrickt werden
leib) so mag dies vielleicht damit zusammenhängen, daß der Welt¬
kann, auch wenn man ohne sein Zutun mit „Herr
te, krieg im kulturellen, geistigen und sozialen Leben Oesterreichs] Doktor“ tituliert wird, Dieses Mißgeschick ist einem Wiener
— eine noch stärkere Zäsur bedeutete als anderwärts. Bei aller Zahntechniker passiert, der aus besagtem Grunde wegen un¬
—— —
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schten Schlangenschuhen v. S 45.— aufw.
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