I, Erzählende Schriften 35, Therese. Chronik eines Frauenlebens, Seite 15

Therese
35
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LAILA ES 1
Ne.
#
M.
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Extrait du Journat
Re
Auresse:
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Er¬
gst¬
Literarische Amschau.
mans. Hier fand nach allen krampfhaften stoff¬
„Therese“.
llichen Erregungen der modernen Unterhaltungs¬
Arthur Schnitzlers neuer Roman.
literatur wieder ein Dichter den Müt, ein Buch
1e¬
Dieses umfängliche Puch beschreibt auf vierhun=nicht vom Stoff, sondern vom Menschen aus zu
er=dert Seiten nicht mehr
yund nicht weniger als das schreiben, Schicksal und nicht Handlung in den Vor¬
ö=langsame Hinabgleiten
Heldin Therese, die
dergrund zu rücken.
8200
enseinmal als die Tochttr###es pensionierten öster¬
ablreichischen Offiziers zu besseren Hoffnungen be¬

ndfrechtigte. Das war damals, als ihr Vater noch
Salzburg lebte, sie eine durchschnittliche „höhe
Tochter“ darstellte, ein bräutliches Verhältnis n
seinem ggehenden Studenten unterhielt und sich
nichts von anderen ihresgleichen unterschied. Dar

faber beginnt schon, ohne daß der Leser ahnte, woh
der Weg führen soll, der Abstieg, mit dem sich ni
Me. nen
das ganze Buch beschäftigt. Sie brennt von Hau
irldurch, kommt nach Wien, wird Erzieherin und g
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i=rät in zahlreiche Familien. Immer schwächer wir
2. Kue da Khone - Grator
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ihre Kraft, sich noch in einer sozialen Stellung z
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etbehaupten. Sie bekommt von einem abenteuern
den Nichtstuer ein Kind, pekuniäre Sorgen ver
enien e enene Kernn,
schärfen den Kampf um ihre Position, immer leich
Preen de e. en tone hengneg
ter gibt sie allen Versuchungen nach, einmal aue
scheint sich etwas wie ein Aufstieg ereignen zu
wollen, aber eben an dieser Wende wird sie vor
Sesans den deie ie enen uin
ihrem Sohn ermordet.
Das ist eine so platte Alltäglichkeit, daß man
estratt du Journat:
sich schämen sollte, darüber vierhundert Seiten zu
schreiben? Wirklich, es geht in diesem Buch alles
alltäglich zu; es sind ganz „gewöhnliche“ Menschen,
die auftreten, auch die große Parade der Bürger,
Kölnische Dolkszeitung, Köln
[bei denen Therese in Stellung ist, unterscheidet sich
1. Morgenausgabe
lgar nicht von dem alltäglichen Durchschnitt — aber
das eben ist das ganz Ungewöhnliche und im guten
Ausschrilt aus der Nummer vang. MAI 1928
Sensationelle in diesem Roman: während alle Ver¬
fasser nach großen stofflichen Sensationen suchen,
geht hier alles so lautlos und selbstverständlich vor
MSeinen neuen Roman, Therese, bezeichnet Arthur Schnitzler
sich, als habe das Leben selbst Schnitzler diese ein¬
als „Chronik eines Frauenlebens. Wer Schhitzlef aus Spich
fache Geschichte diktiert, deren gefügiger Aufschrei¬
frühern Werken genauer kennt, wird sehr überrascht sein: er
ber er nun geworden. Schnitzler entrüstet sich
ist hier nicht der schmeichlerisch-virtuose Causeur, wei##u
nicht, er klagt nicht, er betrachtet mit der Strenge
ein wenig weltschmerzlich (Anatol), nicht der raffiniertäföch¬
des Arztes die Leidensgeschichte eines Menschen.
#niker, der es liebt, geistreiche Aphorismen in sich steigernde
Immer ist diese Therese auf der Bühne, immer
teht sie in der Mitte, immer bewegt sie sich im
Prosadialoge zu streuen (Der grüne Kakadu), er ist nicht humor¬
licht des Scheinwerfers. Was sich aber dahinter
voll und nicht sentimental, ist also ganz unwienerisch. Der
lbspielt, was da an Menschen, Verknüpfungen und
Roman ist die Geschichte eines armseligen Gouvernantenlebens,
Entwicklungen schattenhaft und doch ausgeprägt
einförmig grau in grau, der Ablauf eines Dutzenddaseins, in
orbeihuscht, ist nicht weniger bewundernswert als
einem nüchternen Realismus erzählt, eigentlich auch undichterisch,
as Einzelschicksal Thereses, das typisch für Tau¬
in vielem banal und ganz hoffnungslos in den seelischen Per¬
ende ist.
spektiven der Heldin. Therese ist die Tochter eines höhern
Dieser Hintergrund hat etwas ganz Morbides
Offiziers, die sich aus dem innern und äußern Verfall ihrer
nd Faulendes, es scheint, daß Schnitzler den Un¬
Familie — der Vater endet im Irrenhaus, die zerfahrene Mutter
ergang eines Menschen aus einer untergehenden
schreiht minderwertige Familienblattromane, der Bruder ist ein
mwelt hat erklären wollen. Daß diese Welt un¬
kalter politischer Streber — durch selbständige Tätigkeit zu retten
rgangsgeweiht ist, das merken die Handelnden
sucht, aber im Alltag verstrickt, von Sehnslchten dann und
icht, aber der Leser weiß um die Schattenhaftigkeit
wann verführt, ohne wirklichen An- und Auftrieb im Alltags¬
l dieser Hintergründe. Und diese ungeheuerliche
elbstverständlichkeit, diese Objektivität der Darstel¬
leben verhaftet bleibt. Ihr eigentliches Schicksal wird durch ein
ing ist das Erschütternde und Packende dieses Ro¬
uneheliches Kind bestimmt, das, von einem verlumpten und nur
halb gekannten Vater gezeugt, sich als moralisch minderwertig
*) S. Fither, Verlag, Berlin.
entwickelt und schließlich zum Verbrecher herabsinkt, dem sie
Belbst — bei einem Rauhversuch des Jungen — zum Opfer füllt.
——
Gegen den Schluß hin, kurz vor ihrem traurigen Ende, liegen
ein paar lichtere Sonnenflecke, ihr Wunsch, den verkommenen
Hermordes zu bewahren durch die