Therese
36. nnn
box 6/2
Fertes erscheinen, das langher aus einem un¬
bekannten Quell geflossen ist. Schnitzler reiht
seinen großen Roman in kurzen, gleichwertig
hintereinandergesetzten Kapiteln auf: Das
dem wartenden Sinn Wichtige und das min¬
der Wichtige wird nicht unterschieden, es wiegt
gleich schwer vor der finstern Ananke, der Zeit.
Sein Wert oder Unwert ist, daß es sich zuträgt,
es hat keine andre Bestimmung als diese und
so, an jedem Punkte, den Charakter des Not¬
wendigen.
Das heißt, an jedem Punkte doch nicht;
denn wenn in den ersten drei Vierteln des
Romans dieses Hintereinander, unbekümmert
um Urteil und Interpretation, durchgeführ!
wird, im letzten Viertel meldet sich dann der
Drang, dem reinen Schicksalsablauf nun doch
einen andern, einen Sinn vom Menschen her
unterzulegen; damit verliert der Roman an
chronikhafter Weite der Strömung, wird statio¬
närer und novellistischer und sucht nun nach
Verknüpfung und bewußtem Austrag.
„Therese“ ist die Geschichte einer Frau un¬
ter vielen. Sie wird „Heldin“, nicht wait sie
sondern weil das Leben nicht anders ist und
nur ein wirres Konglomerat von Unbeständig¬
keiten und Halbheiten, nur herauftauchente.
Inseln, die von der Strömung, wenn nicht
heute, so morgen wieder verschwemmt werden.
Alles darin ist nur Ansatz, überholt, bevor es
sich entwickeln kann, weder Versprechungen
noch Leidenschaften halten stand, immer sind
sie dem Nichts so nahe wie dem Etwas
und verschwinden in der verrinnenden
Flut. Tochter eines österreichischen Oberst¬
leutnants, der Vater in Wahnsinn, die Mutter
abseitig, schrullenhaft und gefährlich, der Bru¬
der fremd auf eigenen Wegen, schlägt Therese
Fabiani sich einsam als Erzieherin durchs
Leben; ohne Heimat, scheint diese ihr in irgend¬
einem der Bürgerhäuser, in die ihr Weg s
führt, aufzublühen, einige Wochen späteri
entlassen; ihre „Gleichberechtigung“
m Dienertum, jene rächt
te
mgekehrt; ihre Verbindungn
6
fall, ihre Liebeserlebni
fall; wenn sie Entschlüsse
fortgespült, die Eingebungen ihr
jäher Nachgiebigkeit, die sie ül
chen. Ein Sohn, die Frucht ein
nter ihren Liebesabenteuer
este ist, entartet und verfolg
rpressung, ihre Mutterschaft schwe
wechselndem Nacheinander zwischen Fremd¬
heit, Gleichgültigkeit und Schauder und der
Unverbrüchlichkeit ihrer mütterlichen Liebe.
Das Gemeinsame aller dieser Züge ist: Das
Vergehen, das Verschlungenwerden, das Ge¬
36. nnn
box 6/2
Fertes erscheinen, das langher aus einem un¬
bekannten Quell geflossen ist. Schnitzler reiht
seinen großen Roman in kurzen, gleichwertig
hintereinandergesetzten Kapiteln auf: Das
dem wartenden Sinn Wichtige und das min¬
der Wichtige wird nicht unterschieden, es wiegt
gleich schwer vor der finstern Ananke, der Zeit.
Sein Wert oder Unwert ist, daß es sich zuträgt,
es hat keine andre Bestimmung als diese und
so, an jedem Punkte, den Charakter des Not¬
wendigen.
Das heißt, an jedem Punkte doch nicht;
denn wenn in den ersten drei Vierteln des
Romans dieses Hintereinander, unbekümmert
um Urteil und Interpretation, durchgeführ!
wird, im letzten Viertel meldet sich dann der
Drang, dem reinen Schicksalsablauf nun doch
einen andern, einen Sinn vom Menschen her
unterzulegen; damit verliert der Roman an
chronikhafter Weite der Strömung, wird statio¬
närer und novellistischer und sucht nun nach
Verknüpfung und bewußtem Austrag.
„Therese“ ist die Geschichte einer Frau un¬
ter vielen. Sie wird „Heldin“, nicht wait sie
sondern weil das Leben nicht anders ist und
nur ein wirres Konglomerat von Unbeständig¬
keiten und Halbheiten, nur herauftauchente.
Inseln, die von der Strömung, wenn nicht
heute, so morgen wieder verschwemmt werden.
Alles darin ist nur Ansatz, überholt, bevor es
sich entwickeln kann, weder Versprechungen
noch Leidenschaften halten stand, immer sind
sie dem Nichts so nahe wie dem Etwas
und verschwinden in der verrinnenden
Flut. Tochter eines österreichischen Oberst¬
leutnants, der Vater in Wahnsinn, die Mutter
abseitig, schrullenhaft und gefährlich, der Bru¬
der fremd auf eigenen Wegen, schlägt Therese
Fabiani sich einsam als Erzieherin durchs
Leben; ohne Heimat, scheint diese ihr in irgend¬
einem der Bürgerhäuser, in die ihr Weg s
führt, aufzublühen, einige Wochen späteri
entlassen; ihre „Gleichberechtigung“
m Dienertum, jene rächt
te
mgekehrt; ihre Verbindungn
6
fall, ihre Liebeserlebni
fall; wenn sie Entschlüsse
fortgespült, die Eingebungen ihr
jäher Nachgiebigkeit, die sie ül
chen. Ein Sohn, die Frucht ein
nter ihren Liebesabenteuer
este ist, entartet und verfolg
rpressung, ihre Mutterschaft schwe
wechselndem Nacheinander zwischen Fremd¬
heit, Gleichgültigkeit und Schauder und der
Unverbrüchlichkeit ihrer mütterlichen Liebe.
Das Gemeinsame aller dieser Züge ist: Das
Vergehen, das Verschlungenwerden, das Ge¬