I, Erzählende Schriften 35, Therese. Chronik eines Frauenlebens, Seite 19

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Therese
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Traductions de et en toutes langucs.
Correspondants dans toutes les grandes villes.
Hamburger Nachrichten
Awschalt au der Ranmer von Z. Uisl 1928
Schnitzler¬
Arthur Schnitzler: Therese Chronik
eines Frauenlebens. Verlag
ischer,
Berlin.

Hier herrscht kein Zwielicht, hier klingt es nicht von
melancholischen Untertönen noch von ironischen Humoren.
Noch nie war Schnitzler so unschnitzlerisch wie in diesem Buch.
Was sonst den besondern Reiz seiner Kunst auszumachen
pflegt: die Grazie, die auch die subtilsten Dinge noch umflog,
die Verhaltenheit, das Fluidum heißer Leidenschaftstöne, da¬
von findet man nichts in diesem Buch.
Schnitzler gibt hier die „Chronik“ eines Frauenlebens:
nüchtern, sachlich, ohne viel Sentiments. So erzählt er fast
eintönig vom Leben Thereses, wie es freudlos und alltäglich
dahinrauscht
ein rechtes Gouvernantenleben, mit der
Tragik ewig ungestillten Liebesbegehrens. Therese ist die
Tochter eines pensionierten österreichischen Oberstleutnants,
der im Irrenhause stirbt, und einer aus kroatischem Adels¬
geschlecht stammenden, zwischen Exaltiertheit und Passivität
schwankenden Mutter, die schließlich als Fabrikantin von Fa¬
milienblattromanen ihre Befriedigung findet. Ihr einziger
Bruder verliert sich ganz in eigensinnig dogmatische Partei¬
kämpfe. Sie selbst flüchtet nach einem frühen, mit mehr Neu¬
gier als Liebe ausgekosteten Verhältnis mit einem jungen
Offizier aus der freudlosen Familienenge in Salzburg in
die vermeintliche Freiheit: in ein Gouvernantenleben in Wien.
Nun geht es von Haus zu Haus, von Familie zu
Familie. Nichts enthält uns der Chroniker vor. Auch das
unscheinbarste Pöstchen fehlt nicht in diesem Mosaik. Wir
folgen ihm in Bankiershäuser und in armselige Beamten¬
wohnungen. Fast hundertfach entrollt er — und mit welcher
Meisterschaft! — die kleinen Skizzen menschlicher Zustände,
schildert er Familienverhältnisse des Alltags mit unentrinn¬
barer Ode und Zerfahrenheit, die unter dem Deckmantel
banalen Glücks trostlos dahinvegetieren. Und mitten hindurch
wandelt Therese ihr sonnenloses Frauenleben. Dann und
wann treibt sie ihr dumpfer Trieb irgend einem Mann in
die Arme. Immer sind es schale Minuten, dem Glück ab¬
gerungen. Nie ist es ein tiefes Gefühl, in dem sie Anker
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„Cherese
fassen könnte. Von einem der Geliebten, dem sie wie allen
blindlings folgte, ohne seine obskure Existenz zu erkennen,
von diesem empfing sie ein Kind. Vergeblich hat sie sich da¬
gegen gewehrt, vergeblich des Vaters Spuren gesucht. In
trüber Dumpfheit gebiert sie das Kind, und ihr erster Wunsch
ist, das Kind möge unter ihren Händen sterben. Aber der
Knabe wird groß draußen auf dem Lande bei Bauersleuten,
und sie selbst zieht wieder weiter ihre einsame Lebensbahn
durch fremde Häuser, als Behüterin fremder Kinder, und nur
an ihren seltenen Ausgehtagen erlebt sie zweifelnd und sor¬
gend ihr Mutterglück bei dem Knaben auf dem Lande.
Bis es sich erweist, daß dem Knaben eine verhängnis¬
volle Erbschaft von Vaters Seite her innewohnt. Er wird ein
Tunichtgut, lügt und stiehlt, gerät auf die Straße, in die
Gefängnisse. Mutter Therese erträgt all das in verbissener
Stummheit. Ihre kärglichen Versuche, irgendwo in einem
kleinen Glückshafen zu landen, zerschellen alle, teils an
äußeren Umständen, teils an ihrem inneren Trotz, und ihren
eigenen Hemmungen. Langsam stirbt sie ihr sinnloses Leben
weiter. Ein Leben, dem jede Perspektive, jeglicher Sinn fehlt.
Und sie stirbt es wirklich zu Ende — fast an den Händen
ihres Sohnes, der sie bei einem Raubversuch tödlich verletzt.
So realistisch eindringlich und wahrhaftig überzeugend wie
ihr Leben ist freilich ihr Sterben nicht. Sie stirbt literarisch.
Mit einer dichterischen Geste: um den Jungen vor der Strafe
zu befreien, zitiert sie ihren eigenen Mordwunsch in der
Stunde seiner Geburt, der alle bösen Keime in ihn hinein¬
gelegt habe.
Grau, in tiefstem Grau ist hier ein Frauenleben nieder¬
gelegt, das, wenn es auch in seinem fast banalen Ablauf kaum
irgendwie über das Alltägliche hinausragt, uns dennoch er¬
schüttert. Es ist die aus der subtilsten Beobachtung seelischer
Vorgänge und Zusammenhänge erwachsene Darstellung eines
Frauen=, eines Menschenlebens, dessen Sinnlosigkeit in den
tiefsten Unerforschlichkeiten der Natur begründet liegt. Wie¬
viele solcher Existenzen, die dumpf in sich selber gefangen sind,
ohne Auftrieb, ohne Zielrichtung, — wieviel Theresen treiber
wohl in der Flut des Tagaus, Tagein an uns vorüber?
Otto Schabbel.
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