Therese
box 6/2
35. Merese
Keinleinigungsanstalt: XVII. Taubergasse 3.
das sich schwer einreden läßt. Noch ein paar Jahre, und nicht mehr brau
der Oberstleutnant Fabiani wäre zum Obersten avanciert. oder später, meh
Feuilleion.
Und später wäre vielleicht sogar ein General aus ihm ge=gesetzt. Manchme
worden, mit roten Lampas und Mantelaufschlägen. auf Besuch;
Vielleicht. Dieses „Vielleicht“ beginnt in dem alten wieder, es ist ih
Therese.
Offizier seine unterirdisch wühlende Zerstörungsarbeit. einen gänzlich u
Sie ist längst tot, diese Therese, viele Jahre schon,
Anfänglich auf Sekunden nur: solche Sekunden haben
Ob sie nun
noch vor dem Kriege ist sie gestorben. Wahrscheinlich
andre Dauer als die mit der Uhr gemessenen: Aus
Händen in den
lebt auch ihr Sohn nicht mehr, der Franzl — nach
Sekunden werden Stunden, Tage, Nächte, weiße, Impertinenzen
zwölf Jahren schweren Kerkers verschärft durch
schlaflose Nächte. So lange brütet der Oberstleutnant lüsternen Annäh#
Dunkelhaft und Fasten an jedem Jahrestage der Tat.
darüber, warum sie ihn pensioniert haben, warum er ergehen läßt, ob
Therese hat noch das Haar hochfrisiert getragen,
nicht Oberst, vielleicht General werden konnte, bis er Alkovengeheimn
lange Röcke, eine Schleife unter dem Busen wie auf den
schließlich in die Irrenanstalt eingeliefert wird. Die weiß sie: die Fr
Zeit vergeht.
zarten Silhouetten aus jener scheinbar so ruhigen, sorg¬
gibt es das ein
losen Zeit. Es ist schon lange her, daß Therese gelebt
Und allmählich gleitet er für die eigene Familie zum fühl von Geme
hat und sich nach ein wenig Liebe und Zuflucht sehnte,
fremden Menschen herab, zu einem fernen, wesenlosen können?
aber liest man ihre Geschichte in dem wundervollen
Gespenst, von dem man nicht viel mehr weiß als den
jüngsten Buche Artur Schnitzlers"), so ergreift einen
Namen. Vorüber.
Alle vierzeh
das alles so nahe und unmittelbar und schmerzhaft: in
Aber auch den Zurückgebliebenen, der gleichgültigen im Prater, lern
uns allen hat es gelebt, wir alle haben es gesucht.
Mutter, dem egoistisch strebernden Bruder steht Therese einen eigentümli
mancher durfte es finden, viele nicht. Theresens
bald fremd gegenüber. Nachts richtet sie sich zuweilen wird; aber so
irdisches Sein ist längst in die große Nacht der Ver¬
in ihrem Bette auf, wie um sich zu besinnen: wo ist sie? haft ausgelassen
gangenheit zurückgesunken, aber hoch über allem Ver¬
Wer? Mit wem wohnt sie hier unter einem Dache? tückischen Uebern
gehen und Vergessen wölbt ein Dichter den ewigen
Die Mutter möchte Therese an einen reichen alten sein Geld reicht
Himmel wahren Lebens, echter Wirklichkeit: die Seele.
Herrn verkuppeln. Einem jungen Leutnant gelingt es mahl im Gasthat
Von diesem Himmel fließt milde und doch in un¬
schließlich, sie gefügig zu machen; noch ehe er sie mit Künstler vorgeste
beschreiblicher Klarheit ein stilles, gesättigtes Licht
einer Operettensängerin betrogen hat, spürt Therese Menschen, gefül
herab, ein Licht, das eine Weile in den Menschen ruht
immer deutlicher: fremd, fremd, ein wildfremder Stimmungen,
und alles ringsum wie in den Zauber einer Abendstunde
Mensch.
taucht. Therese: sie steht längst nicht mehr vor dem
mit müt irlich lä
Spiegel, der allmählich fleckig geworden ist und
des angeblichen
Sprünge bekommen hat; sie läßt längst nicht mehr
Nun ist Therese in Wien, Erzieherin in „besseren“
Sie hat ihm
müde das Haupt sinken, sooft sie sich darin erblickt. Häusern; noch ist sie gut und fast unbeschädigt in ihrer
heiten, Erniedri
Aber das Schicksal der Gouvernante Therese wird
Seele.
Von vierzehn Ta
immer wieder mit seltsamer Macht in den Menschen
Erzieherin: Therese darf jetzt keine Privat= Beisammensein!
lebendig werden, denn es geht nicht nur in seiner Zeit,
angelegenheiten haben, keine Freude und keinen Schlupfwinkel w#
einer längst vergangenen Zeit, vor sich, vielmehr in der
Schmerz. Sie darf Schulhefte korrigieren, sich auf dem
ist es auch, für
Ewigkeit und in der unendlichen Gegenwart Gottes.
Klavier Anfängersonatinen vorspielen lassen, sie darf das Kind sorgen
mit ihren Zöglingen spazieren gehen. Selbst hat sie trägt.
Therese ist die Tochter eines pensionierten Oberst= auch zu lernen und zu verlernen: sie lernt schweigen und
Eines Tage
leutnants, der sich mit Frau und Kindern in Salzburg den Gesprächen andrer mit verbindlicher, oft gar nicht
fährt sie von ein
niederläßt, um, „erlöst von Dienstespflichten, sich nach hinhörender Aufmerksamkeit folgen, sie verlernt Eigen= Maler, niemals
Herzenslust dem seit Jugendtagen ersehnten Genuß sinn und Rechthabenwollen.
unter dem sie i
der Natur hingeben zu dürfen". So redet es sich der
Von Zeit zu Zeit geschieht es, daß sie den einen oder Fremder, der for
Vater wenigstens ein so möchte er es den Seinen ein¬
andern ihrer Schutzbefohlenen liebgewinnt. Solche Liebe wacht wie aus e
reden. Aber Glück, Erlösung ist etwas Unerbittliches,
ist hoffnungslos; besser, man bleibt kühl und ver= der schneidend kl#
schlossen, eine Fremde unter Fremden: das Herz, das verlassene, schw
* Artur Schnitzler: „Therese" Chronik
man unbedacht darbot, wird einem so oder so, früher Posten dastehen
eines Frauenlebens. S. Fischer Verlag, Berlin.
oder später doch zurückgestellt wie ein Ding, das man Erwachen fühlt
7
6
2
2
KM
box 6/2
35. Merese
Keinleinigungsanstalt: XVII. Taubergasse 3.
das sich schwer einreden läßt. Noch ein paar Jahre, und nicht mehr brau
der Oberstleutnant Fabiani wäre zum Obersten avanciert. oder später, meh
Feuilleion.
Und später wäre vielleicht sogar ein General aus ihm ge=gesetzt. Manchme
worden, mit roten Lampas und Mantelaufschlägen. auf Besuch;
Vielleicht. Dieses „Vielleicht“ beginnt in dem alten wieder, es ist ih
Therese.
Offizier seine unterirdisch wühlende Zerstörungsarbeit. einen gänzlich u
Sie ist längst tot, diese Therese, viele Jahre schon,
Anfänglich auf Sekunden nur: solche Sekunden haben
Ob sie nun
noch vor dem Kriege ist sie gestorben. Wahrscheinlich
andre Dauer als die mit der Uhr gemessenen: Aus
Händen in den
lebt auch ihr Sohn nicht mehr, der Franzl — nach
Sekunden werden Stunden, Tage, Nächte, weiße, Impertinenzen
zwölf Jahren schweren Kerkers verschärft durch
schlaflose Nächte. So lange brütet der Oberstleutnant lüsternen Annäh#
Dunkelhaft und Fasten an jedem Jahrestage der Tat.
darüber, warum sie ihn pensioniert haben, warum er ergehen läßt, ob
Therese hat noch das Haar hochfrisiert getragen,
nicht Oberst, vielleicht General werden konnte, bis er Alkovengeheimn
lange Röcke, eine Schleife unter dem Busen wie auf den
schließlich in die Irrenanstalt eingeliefert wird. Die weiß sie: die Fr
Zeit vergeht.
zarten Silhouetten aus jener scheinbar so ruhigen, sorg¬
gibt es das ein
losen Zeit. Es ist schon lange her, daß Therese gelebt
Und allmählich gleitet er für die eigene Familie zum fühl von Geme
hat und sich nach ein wenig Liebe und Zuflucht sehnte,
fremden Menschen herab, zu einem fernen, wesenlosen können?
aber liest man ihre Geschichte in dem wundervollen
Gespenst, von dem man nicht viel mehr weiß als den
jüngsten Buche Artur Schnitzlers"), so ergreift einen
Namen. Vorüber.
Alle vierzeh
das alles so nahe und unmittelbar und schmerzhaft: in
Aber auch den Zurückgebliebenen, der gleichgültigen im Prater, lern
uns allen hat es gelebt, wir alle haben es gesucht.
Mutter, dem egoistisch strebernden Bruder steht Therese einen eigentümli
mancher durfte es finden, viele nicht. Theresens
bald fremd gegenüber. Nachts richtet sie sich zuweilen wird; aber so
irdisches Sein ist längst in die große Nacht der Ver¬
in ihrem Bette auf, wie um sich zu besinnen: wo ist sie? haft ausgelassen
gangenheit zurückgesunken, aber hoch über allem Ver¬
Wer? Mit wem wohnt sie hier unter einem Dache? tückischen Uebern
gehen und Vergessen wölbt ein Dichter den ewigen
Die Mutter möchte Therese an einen reichen alten sein Geld reicht
Himmel wahren Lebens, echter Wirklichkeit: die Seele.
Herrn verkuppeln. Einem jungen Leutnant gelingt es mahl im Gasthat
Von diesem Himmel fließt milde und doch in un¬
schließlich, sie gefügig zu machen; noch ehe er sie mit Künstler vorgeste
beschreiblicher Klarheit ein stilles, gesättigtes Licht
einer Operettensängerin betrogen hat, spürt Therese Menschen, gefül
herab, ein Licht, das eine Weile in den Menschen ruht
immer deutlicher: fremd, fremd, ein wildfremder Stimmungen,
und alles ringsum wie in den Zauber einer Abendstunde
Mensch.
taucht. Therese: sie steht längst nicht mehr vor dem
mit müt irlich lä
Spiegel, der allmählich fleckig geworden ist und
des angeblichen
Sprünge bekommen hat; sie läßt längst nicht mehr
Nun ist Therese in Wien, Erzieherin in „besseren“
Sie hat ihm
müde das Haupt sinken, sooft sie sich darin erblickt. Häusern; noch ist sie gut und fast unbeschädigt in ihrer
heiten, Erniedri
Aber das Schicksal der Gouvernante Therese wird
Seele.
Von vierzehn Ta
immer wieder mit seltsamer Macht in den Menschen
Erzieherin: Therese darf jetzt keine Privat= Beisammensein!
lebendig werden, denn es geht nicht nur in seiner Zeit,
angelegenheiten haben, keine Freude und keinen Schlupfwinkel w#
einer längst vergangenen Zeit, vor sich, vielmehr in der
Schmerz. Sie darf Schulhefte korrigieren, sich auf dem
ist es auch, für
Ewigkeit und in der unendlichen Gegenwart Gottes.
Klavier Anfängersonatinen vorspielen lassen, sie darf das Kind sorgen
mit ihren Zöglingen spazieren gehen. Selbst hat sie trägt.
Therese ist die Tochter eines pensionierten Oberst= auch zu lernen und zu verlernen: sie lernt schweigen und
Eines Tage
leutnants, der sich mit Frau und Kindern in Salzburg den Gesprächen andrer mit verbindlicher, oft gar nicht
fährt sie von ein
niederläßt, um, „erlöst von Dienstespflichten, sich nach hinhörender Aufmerksamkeit folgen, sie verlernt Eigen= Maler, niemals
Herzenslust dem seit Jugendtagen ersehnten Genuß sinn und Rechthabenwollen.
unter dem sie i
der Natur hingeben zu dürfen". So redet es sich der
Von Zeit zu Zeit geschieht es, daß sie den einen oder Fremder, der for
Vater wenigstens ein so möchte er es den Seinen ein¬
andern ihrer Schutzbefohlenen liebgewinnt. Solche Liebe wacht wie aus e
reden. Aber Glück, Erlösung ist etwas Unerbittliches,
ist hoffnungslos; besser, man bleibt kühl und ver= der schneidend kl#
schlossen, eine Fremde unter Fremden: das Herz, das verlassene, schw
* Artur Schnitzler: „Therese" Chronik
man unbedacht darbot, wird einem so oder so, früher Posten dastehen
eines Frauenlebens. S. Fischer Verlag, Berlin.
oder später doch zurückgestellt wie ein Ding, das man Erwachen fühlt
7
6
2
2
KM