Therese
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35. Lne12s0
Keenleinigungsanstalt: XVII. Taubergasse 3.
das sich schwer einreden läßt. Noch ein paar Jahre, und nicht mehr brauchen kann, so oder so wird man früher
der Oberstleutnant Fabiani wäre zum Obersten avanciert.oder später, mehr oder weniger höflich, auf die Straße
Und später wäre vielleicht sogar ein General aus ihm ge¬ gesetzt. Manchmal kommt Therese zu früheren Zöglingen
worden, mit roten Lampas und Mantelaufschlägen. auf Besuch; fröstelnd und doppelt einsam geht sie
Vielleicht. Dieses „Vielleicht“ beginnt in dem alten wieder, es ist ihr, als wäre sie auf Reisen müde durch
Offizier seine unterirdisch wühlende Zerstörungsarbeit. einen gänzlich unbekannten Ort gefahren.
ele Jahre schon,
Anfänglich auf Sekunden nur: solche Sekunden haben
Ob sie nun mit schmerzendem Kopf und feuchtkalten
Wahrscheinlich
andre Dauer als die mit der Uhr gemessenem: Aus Händen in den Dienstvermittlungen herumsteht, ob sie
Franzl
nach
Sekunden werden Stunden, Tage, Nächte, weiße, Impertinenzen der Gnädigen oder die heimlich
erschärft durch
schlaflose Nächte. So lange brütet der Oberstleutnant lüsternen Annäherungsversuche des Hausherrn über sich
estage der Tat.
darüber, warum sie ihn pensioniert haben, warum er ergehen läßt, ob sie zur Mitwisserin kleiner, schmutziger
isiert getragen, nicht Oberst, vielleicht General werden konnte, bis er Alkovengeheimnisse wird, immer und überall spürt sie,
susen wie auf den schließlich in die Irrenanstalt eingeliefert wird. Die weiß sie: die Fremde. Und immer wieder fragt sie: Wo
Zeit vergeht.
so ruhigen, sorg¬
gibt es das, ein Gefühl ohne Abschiednehmen, ein Ge¬
Therese gelebt
Und allmählich gleitet er für die eigene Familie zum
fühl von Gemeinsamkeit und Einandernichtverlieren
Zuflucht sehnte, fremden Menschen herab, zu einem fernen, wesenlosen
können?
wundervollen Gespenst, von dem man nicht viel mehr weiß als den
ergreift einen Namen. Vorüber.
schmerzhaft: in
Alle vierzehn Tage hat Therese Ausgang. Einmal
Aber auch den Zurückgebliebenen, der gleichgültigen im Prater, lernt sie einen hageren Menschen kennen
ben es gesucht, Mutter, dem egoistisch strebernden Bruder steht Therese einen eigentümlichen Kerl, aus dem man nicht recht klur
licht. Theresens bald fremd gegenüber. Nachts richtet sie sich zuweilen wird; aber so lustig kann er sein, von einem jungen
Nacht der Ver= in ihrem Bette auf, wie um sich zu besinnen: wo ist sie? haft ausgelassenen, drolligen, vielleicht auch heim
ber allem Ver= Wer? Mit wem wohnt sie hier unter einem Dache? tückischen Uebermut. Er ist Maler, arm — natürlich —
r den ewigen
Die Mutter möchte Therese an einen reichen alten
hkeit: die Seele.
sein Geld reicht nicht einmal auf ein gemeinsames Nacht¬
nd doch in un¬
Herrn verkuppeln. Einem jungen Leutnant gelingt es mahl im Gasthaus. So hat sich Therese seit jeher einer
schließlich, sie gefügig zu machen; noch ehe er sie mit
Künstler vorgestellt. Künstler sind nun einmal besondere
sättigtes Licht einer Operettensängerin betrogen hat, spürt Therese
Menschen, gefüllt vom Wechsel der unberechenbarster
Menschen ruht immer deutlicher: fremd, fremd, ein wildfremder
Aier Abendstunde Mensch.
Stimmungen Künstler sind wie Kinder, denkt Therese
mehr vor dem
mit mütterlich läche Nachsicht. Sie wird die Geliebte
rden ist und
des angeblichen Maiers.
tigst nicht mehr
Nun ist Therese in Wien, Erzieherin in „besseren“
Sie hat ihm vieles zu verzeihen, Lügen, Schroff¬
hdarin erblickt. Häusern; noch ist sie gut und fast unbeschädigt in ihrer
Therese wird Seele.
heiten, Erniedrigungen, Unsauberkeiten, Betrügereien.
den Menschen
Von vierzehn Tagen zu vierzehn Tagen hofft sie auf das
Erzieherin: Therese darf jetzt keine Privat= Beisammensein mit ihm wie auf ein Nest, auf einen
in seiner Zeit, angelegenheiten haben, keine Freude und keinen Schlupfwinkel weltferner Ruhe und Geborgenheit. Süs
vielmehr in der
enwart Gottes.
Schmerz. Sie darf Schulhefte korrigieren, sich auf dem ist es auch, für ihn sorgen zu dürfen, wie sie später für
Klavier Anfängersonatinen vorspielen lassen, sie darf das Kind sorgen wird, das sie von ihm unter dem Herzen
mit ihren Zöglingen spazieren gehen. Selbst hat sie trägt.
nierten Oberst= auch zu lernen und zu verlernen: sie lernt schweigen und
Eines Tages ist der Geliebte fort. Niemals, so er¬
„
Ern in Salzburg den Gesprächen andrer mit verbindlicher, oft gar nicht
fährt sie von einer mürrischen Hausbesorgerin, war er
ichten, sich nach hinhörender Aufmerksamkeit folgen, sie verlernt Eigen= Maler, niemals Künstler, alles falsch. Selbst der Name,
sehnten Genuß sinn und Rechthabenwollen.
unter dem sie ihn kennt, war falsch. Ein unbekannter
kebet es sich der
Von Zeit zu Zeit geschieht es, daß sie den einen oder Fremder, der fort ist, niemand weiß, wohin. Therese er¬
den Seinen ein¬
andern ihrer Schutzbefohlenen liebgewinnt. Solche Liebe wacht wie aus einem dumpfen, verworrenen Schlaf zu
Unerbittliches,
ist hoffnungslos; besser, man bleibt kühl und ver= der schneidend klaren, unverkennbaren Wirklichkeit: eine
schlossen, eine Fremde unter Fremden: das Herz, das verlassene, schwangere Gouvernante, die bald ohne.
Chronik man unbedacht darbot, wird einem so oder so, früher Posten dastehen wird, preisgegeben, schutzlos. In diesem
g. Berlin. oder später doch zurückgestellt wie ein Ding, das man Erwachen fühlt sie etwas absterben, etwas Süßes und
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Keenleinigungsanstalt: XVII. Taubergasse 3.
das sich schwer einreden läßt. Noch ein paar Jahre, und nicht mehr brauchen kann, so oder so wird man früher
der Oberstleutnant Fabiani wäre zum Obersten avanciert.oder später, mehr oder weniger höflich, auf die Straße
Und später wäre vielleicht sogar ein General aus ihm ge¬ gesetzt. Manchmal kommt Therese zu früheren Zöglingen
worden, mit roten Lampas und Mantelaufschlägen. auf Besuch; fröstelnd und doppelt einsam geht sie
Vielleicht. Dieses „Vielleicht“ beginnt in dem alten wieder, es ist ihr, als wäre sie auf Reisen müde durch
Offizier seine unterirdisch wühlende Zerstörungsarbeit. einen gänzlich unbekannten Ort gefahren.
ele Jahre schon,
Anfänglich auf Sekunden nur: solche Sekunden haben
Ob sie nun mit schmerzendem Kopf und feuchtkalten
Wahrscheinlich
andre Dauer als die mit der Uhr gemessenem: Aus Händen in den Dienstvermittlungen herumsteht, ob sie
Franzl
nach
Sekunden werden Stunden, Tage, Nächte, weiße, Impertinenzen der Gnädigen oder die heimlich
erschärft durch
schlaflose Nächte. So lange brütet der Oberstleutnant lüsternen Annäherungsversuche des Hausherrn über sich
estage der Tat.
darüber, warum sie ihn pensioniert haben, warum er ergehen läßt, ob sie zur Mitwisserin kleiner, schmutziger
isiert getragen, nicht Oberst, vielleicht General werden konnte, bis er Alkovengeheimnisse wird, immer und überall spürt sie,
susen wie auf den schließlich in die Irrenanstalt eingeliefert wird. Die weiß sie: die Fremde. Und immer wieder fragt sie: Wo
Zeit vergeht.
so ruhigen, sorg¬
gibt es das, ein Gefühl ohne Abschiednehmen, ein Ge¬
Therese gelebt
Und allmählich gleitet er für die eigene Familie zum
fühl von Gemeinsamkeit und Einandernichtverlieren
Zuflucht sehnte, fremden Menschen herab, zu einem fernen, wesenlosen
können?
wundervollen Gespenst, von dem man nicht viel mehr weiß als den
ergreift einen Namen. Vorüber.
schmerzhaft: in
Alle vierzehn Tage hat Therese Ausgang. Einmal
Aber auch den Zurückgebliebenen, der gleichgültigen im Prater, lernt sie einen hageren Menschen kennen
ben es gesucht, Mutter, dem egoistisch strebernden Bruder steht Therese einen eigentümlichen Kerl, aus dem man nicht recht klur
licht. Theresens bald fremd gegenüber. Nachts richtet sie sich zuweilen wird; aber so lustig kann er sein, von einem jungen
Nacht der Ver= in ihrem Bette auf, wie um sich zu besinnen: wo ist sie? haft ausgelassenen, drolligen, vielleicht auch heim
ber allem Ver= Wer? Mit wem wohnt sie hier unter einem Dache? tückischen Uebermut. Er ist Maler, arm — natürlich —
r den ewigen
Die Mutter möchte Therese an einen reichen alten
hkeit: die Seele.
sein Geld reicht nicht einmal auf ein gemeinsames Nacht¬
nd doch in un¬
Herrn verkuppeln. Einem jungen Leutnant gelingt es mahl im Gasthaus. So hat sich Therese seit jeher einer
schließlich, sie gefügig zu machen; noch ehe er sie mit
Künstler vorgestellt. Künstler sind nun einmal besondere
sättigtes Licht einer Operettensängerin betrogen hat, spürt Therese
Menschen, gefüllt vom Wechsel der unberechenbarster
Menschen ruht immer deutlicher: fremd, fremd, ein wildfremder
Aier Abendstunde Mensch.
Stimmungen Künstler sind wie Kinder, denkt Therese
mehr vor dem
mit mütterlich läche Nachsicht. Sie wird die Geliebte
rden ist und
des angeblichen Maiers.
tigst nicht mehr
Nun ist Therese in Wien, Erzieherin in „besseren“
Sie hat ihm vieles zu verzeihen, Lügen, Schroff¬
hdarin erblickt. Häusern; noch ist sie gut und fast unbeschädigt in ihrer
Therese wird Seele.
heiten, Erniedrigungen, Unsauberkeiten, Betrügereien.
den Menschen
Von vierzehn Tagen zu vierzehn Tagen hofft sie auf das
Erzieherin: Therese darf jetzt keine Privat= Beisammensein mit ihm wie auf ein Nest, auf einen
in seiner Zeit, angelegenheiten haben, keine Freude und keinen Schlupfwinkel weltferner Ruhe und Geborgenheit. Süs
vielmehr in der
enwart Gottes.
Schmerz. Sie darf Schulhefte korrigieren, sich auf dem ist es auch, für ihn sorgen zu dürfen, wie sie später für
Klavier Anfängersonatinen vorspielen lassen, sie darf das Kind sorgen wird, das sie von ihm unter dem Herzen
mit ihren Zöglingen spazieren gehen. Selbst hat sie trägt.
nierten Oberst= auch zu lernen und zu verlernen: sie lernt schweigen und
Eines Tages ist der Geliebte fort. Niemals, so er¬
„
Ern in Salzburg den Gesprächen andrer mit verbindlicher, oft gar nicht
fährt sie von einer mürrischen Hausbesorgerin, war er
ichten, sich nach hinhörender Aufmerksamkeit folgen, sie verlernt Eigen= Maler, niemals Künstler, alles falsch. Selbst der Name,
sehnten Genuß sinn und Rechthabenwollen.
unter dem sie ihn kennt, war falsch. Ein unbekannter
kebet es sich der
Von Zeit zu Zeit geschieht es, daß sie den einen oder Fremder, der fort ist, niemand weiß, wohin. Therese er¬
den Seinen ein¬
andern ihrer Schutzbefohlenen liebgewinnt. Solche Liebe wacht wie aus einem dumpfen, verworrenen Schlaf zu
Unerbittliches,
ist hoffnungslos; besser, man bleibt kühl und ver= der schneidend klaren, unverkennbaren Wirklichkeit: eine
schlossen, eine Fremde unter Fremden: das Herz, das verlassene, schwangere Gouvernante, die bald ohne.
Chronik man unbedacht darbot, wird einem so oder so, früher Posten dastehen wird, preisgegeben, schutzlos. In diesem
g. Berlin. oder später doch zurückgestellt wie ein Ding, das man Erwachen fühlt sie etwas absterben, etwas Süßes und
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