I, Erzählende Schriften 35, Therese. Chronik eines Frauenlebens, Seite 43

Therese
35. Jnuc. 219.
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Arthur Schnitzler Therese
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wärmer wird ... Adien, mein Kind. Eins von uns
bei reichen und angenehmen Leuten Stellung ge¬
zweien wacht nimmer auf — oder wir beide nim¬
funden und fühlt sich dort als Erzieherin zweier
mermehr ...“
MNädchen recht wohl. Die Enttäuschung mit
Der Affekt der Verzweiflung ist abgelaufen,
Max ist verschmerzt, Herz und Sinn scheinen
mit Gewalt setzt der Lebenswille ein, „sie wachte
zu schlafen.
auf wie aus einem furchtbaren Traum ...
Da, am zweiten Östertag, einem milden
Wo war das Kind? Hatte man es ihr wegge¬
blauen Feiertag, wird sie im Prater von einem
nommen? War es tot? War es begraben?" Da
jungen Menschen angesprochen. „Ein frisch ge¬
sah sie die Kissen hochaufgeschichtet neben sich.
bügelter, doch schlecht sitzender Anzug schlotterte
Sie schleuderte sie fort.
um seine hagere, schlanke Gestalt, er tänzelte
„Und da lag das Kind, verzog die Lippen, die
mehr als er ging, beide Hände in den Hosen¬
Jrasenflügel, bewegte die Finger und nieste.
taschen; in der rechten lose zwischen zwei Fingern
Therese atmete tief, fühlte sich lächeln und hatte
hielt er überdies seinen weichen brannen Hut.“
Tränen im Ang ... MNorgenschein schwebte
„Kasimir Tobitsch,“ stellte er sich vor, „früher
durch den Raum, Geräusche des Tages dran¬
einmal von Tobitsch, Maler und MRusiker.“
gen herauf, die Welt war wach.“
Er verfügt über einen gewissen Charme, ist aber
Zunächst zeigt das Leben dann freundlichere
ein armer Teufel und ein Rarr. Therese weiß es,
Seiten. Die Wirein pflegt die junge Mutter,
aber sie ist so bedürftig nach Männerliebe, nach
sorgt für sie wie eine alte Freundin. Nach einer
Zärtlichkeit und körperlicher Lust, daß sie mit
Woche kommt das Kine zu verläßlichen Bauers¬
ihm den Nrachmittag verbringt, ihm ein Stell¬
leuten, Therese begibt sih wieder in Stellung
dichein gibt, mitgeht in sein sogenanntes Ate¬
und ist nun eine Gouvernante wie kausend an¬
lier. Und dort, auf einem wackligen Fauteuil,
dere. Mit größter Geduld schildert der Dichter
zieht er sie an sich und umfängt sie ... Der
Jahr im Jahr dieses kristen Daseins, sein
windige Hanswurst wird Theresens Schicksal,
Buch ist gleichsam eine Biographie der Gon¬
von ihm soll sie ein Kind bekommen. Arme The¬
vernante an sich, dieses geplagten Wesens und
rese! Kasimir drückt sich, sobald er den Sachver¬
ihres richtungs= und sinnlosen Daseins. Therese
halt erfährt. Therese muß ihre Stellung auf¬
ist bald bei angenehmen, bald bei widerwärti¬
geben, das kleine Erbteil ihres Vaters schmilzt
gen, bei feinen und bei gewöhnlichen, bei wohl¬
zusammen, aber zum Glück findet sie Quartier
meinenden oder bei boshaften und degenerierten
bei einer sauberen und gutartigen Frau.
Leuten, bald hat sie mehr, bald weniger Ein¬
kommen, ab und zu taucht ein Liebhaber auf, ein
& Dene schauerliche Nacht, in der Therese mut¬
Bankbeamter, ein schwarzer Krauskopf, sogar
ein Ministerialrat, aber das sind körperliche
Wterseelenallein unter furchtbaren Schmer¬
Angelegenheiten, nach denen sie immer wieder
zen ihr Kind zur Welt bringt, wird zur
zu sich zurückfindet, um beruhigt ihren Pflichten
Wende ihres Lebens. Die Schilderung ist ein
und ihrem Beruf zu leben. Man bewegt sich in
Höhepunkt Schnitzlerschen Könnens: so erschüt¬
ternd und sachlich wahrhaftig kommt das
einem kein nvancierten nebelgrauen Milien,
Schwanken der Gefühle, der Ablauf gegenpoli¬
hier und dort aufgehellt durch spärliche Lichter:
ger Affekte und Zustände zum Ausdruck: „Da
das Verhältnis zu ihrer Mutter gestaltet sich
freundlicher, „alles Krankhafte, Unreine. Zer¬
war das Kind. Mit halboffenen blinzelnden
Augen, mit einem verrunzelten häßlichen Grei¬
fahrene zieht sich in ihre Bücher“, sie selbst wird
sengesicht lag es da und rührte sich nicht. Es
mit der Zeit eine „ganz vernünftige brave alte
war wohl tot, und das war gut.“ Das Kind
Frau“. Lebhaftere Sympathie, seelische Zärt¬
gibt Lebenszeichen, nun wird ihr sein Dasein
lichkeit zu ihren Pflegebefohienen, zu einem be¬
unheimlich, ja bedrohlich:
sonders wohlgestalteten Knaben, beschwingt zu
Zeiten Theresens Leben. Aus dem Wiedersehen
„Was willst du in der Welt?“ sprach sie in der
Tiefe ihres Herzens ... „Was sollst du ohne Va¬
mit Alfred erwächst Therese eine Freundschaft,
#ter und Mutter auf der Welt und was soll ich mit
die aber bei der Gegenseite, dem ernüchterten
dir? Es ist gut, daß du gleich sterben wirst. Komm,
Jugendverehrer, kemperiert und distanziert
da liegst du gut ... Da unter dem Kissen schläft
sich's gut, stirbt sich's gut. Noch ein Kissen, daß dir bleibt. Daran ändert auch die Tatsache nichts,
da