nüchterten
distanziert
ache nichts,
Therese
35. 41
mein Kind. Eins von uns
od
wir beide nim¬
gelaufen,
ie wachte
um
egge
Oc
box 6/2
Arthur Schnitzler Therese
319
daß sich Therese an einem Vorfrühlingsabend
Was hilft es, daß sich ihr äußeres Dasein
ihm gibt.
freundlicher gestaltet, daß sie zu einer tüchtigen
Diesem spärlichen Glanz wächst ein tiefer
und gesuchten Lehrerin wird, daß viele Men¬
Schatten entgegen in der Gestalt Franzls,
schen ihr freundlich begegnen! Sie fühlt sich
ihres Buben. Franzl tut nicht gut, schon seine
„mit ihren 34 Jahren alt, mate und verbraucht,
Zieheltern finden ihn ungebärdig, frech und die¬
das Antlitz, das ihr aus dem Spiegel entgegen¬
bisch. Seine IRLutter bringt ihn nach Wien
blickte, bedeutete ihr eine traurige Über¬
zu einem gutmütigen Schneidermeister, aber
raschurg“.
auch von dort kam bald die Kunde, daß Franzl
„recht verdorben sei". Therese erlebt heftigsten
Doch einmal rührte die Liebe an ihr Herz,
Zwiespalt der Gefühle: Die Gestalt ihres
## L eine Liebe rein seelischer, melancholi¬
Buben verblaßt, sie möchte ihn adoptieren las¬
scher Ndatur, die Liebe zu einer sechzehnjäh¬
sen und sich nicht mehr um ihn kümmern; sie
rigen Schülerin, die mit allem begabt ist, was
bleibt ihm monatelang fern, läßt sich von Syl¬
sie verlor oder nie besaß und bitterlich entbehrte.
vie, einer charmanten, gänzlich unbedenklichen
Jugend, Reiz, Reichtum, Lebensklugheit, Klar¬
Französin, zu einem tollen, tragisch endenden
heit, Überlegenheit. Es ist, als ob die arme ver¬
Abenteuer verleiten. Dann brechen aber wieder
lassene Seele noch einmal zu ihrem Recht kom¬
die mütterlichen Gefühle mit Gewalt hervor:
men wolle, wie ein absterbender Baum zum letz¬
sie nimmt den Buben zu sich, mietet zwei Zim¬
ten Mal in einem letzten Frühjahr ausschlägt
mer und eine Küche in einer stillen Vorstadt¬
und blühr. Und es ist, als sei mit Thilde Wohl¬
streße und sucht — nicht ohne Erfolg — durch
schein ein guter Stern erschienen. Sie läßt sich
Unterrichtgeben ihr Auskommen zu finden.
Theresens Jreigung freundlich gefallen, lädt sie
Franzl aber zeigt sich tückisch und verlogen,
ein in ihr wohlhabendes Heim zu ihrem allein¬
schwänzt die Schule, fälscht Entschuldigungs¬
stehenden Vater, erneuert auf diskreie Weise
zettel, und eines Abends liest Therese in seinem
deren Garderobe, nimmt sie mit auf Ausflüge
bösen fohlen Blick nicht nur Verstocktheit und
und in die Oper, begünstigt sogar das steigende
Hohn, sondern Feindschaft und Vorwurf. Uind
Wohlgefallen Herrn Wohlscheins an der zu¬
gleichzeitig wird sie sich des größten Leids, der
zeiten immer noch anmutigen Erscheinung. The¬
furchtbaren Tragik ihres Lebens bewußt: Daß
rese empfindet das Zusammensein mit den
sie ihrem Sohn gegenüber schuldig ist, weit sie
freundlichen sorglosen A##enschen, vor allem mit
ihn in der Stunde seiner Geburt tot gewünscht
Thilde, als das einzige Glück ihres Daseins,
hatte.
aber dann heiratet das geliebte Illädchen einen
„Gewünscht —? Nur gewünscht?“ Dafür
reichen Holländer. So einsam fühlt Therese
mußte sie nun zu jeder Sühne bereit sein, zu
sich jetzt, so müde und bedroht, daß sie Wohl¬
Opfern jeder Art, zu schwereren, als sie je ge¬
scheins Geliebte wird, daß sie bereit ist, ihn zu
bracht.
heiraten.
„Arme Therese, was hast di auf dich ge¬
Endlich hat sie jemanden, der für sie sorgt.
nommen! Mehr und mehr wird Franz zur
Herr Wohlschein ist ein älterer Herr, etwas
Schande. Noch mehr, zum zerstörenden Prin¬
gewöhnlich, aber nett, verschafft ihr die tausend
zip, zum Dämon ihres Lebens.
Annehmlichkeiten und Erleichterungen des Da¬
Wie er nur aussah in seinem billigen, gar
seins, die für eine Frau so wichtig sind. Sie
nicht mehr knabenhaft zugeschnittenen Anzug
braucht nicht mehr zu sparen, kann sich hübsch
mit den großkarierten Beinkleidern, dem zu
anziehen und erhält ein Telephon. Zu Pfing¬
kurzen Rock, dem rot umränderten Taschen¬
sten soll die Hochzeit sein.
tuch, wie bleich und wie verworfen und dabei
In diese aufgeheiterte Gegenwart gespenstert
nicht unhübsch das Gesicht!“
unheimlich und bedrohlich die Vergangenheit
Ein Minderwertiger, ihrem Wesen fremd
hinein. Therese weilt mit Wohlscheins im
und verhaßt und doch ihr Sohn, verknüpft durch
Waldwirtshaus — es ist derselbe Garten, in
Bande des Bluts, der Pflicht, des Mitleids
dem sie mit Kasimir einst gesessen, vielleicht der¬
und des Schuldgefühls.“
selbe Tisch, derselbe Stuhl. Sie besucht mit
distanziert
ache nichts,
Therese
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mein Kind. Eins von uns
od
wir beide nim¬
gelaufen,
ie wachte
um
egge
Oc
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Arthur Schnitzler Therese
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daß sich Therese an einem Vorfrühlingsabend
Was hilft es, daß sich ihr äußeres Dasein
ihm gibt.
freundlicher gestaltet, daß sie zu einer tüchtigen
Diesem spärlichen Glanz wächst ein tiefer
und gesuchten Lehrerin wird, daß viele Men¬
Schatten entgegen in der Gestalt Franzls,
schen ihr freundlich begegnen! Sie fühlt sich
ihres Buben. Franzl tut nicht gut, schon seine
„mit ihren 34 Jahren alt, mate und verbraucht,
Zieheltern finden ihn ungebärdig, frech und die¬
das Antlitz, das ihr aus dem Spiegel entgegen¬
bisch. Seine IRLutter bringt ihn nach Wien
blickte, bedeutete ihr eine traurige Über¬
zu einem gutmütigen Schneidermeister, aber
raschurg“.
auch von dort kam bald die Kunde, daß Franzl
„recht verdorben sei". Therese erlebt heftigsten
Doch einmal rührte die Liebe an ihr Herz,
Zwiespalt der Gefühle: Die Gestalt ihres
## L eine Liebe rein seelischer, melancholi¬
Buben verblaßt, sie möchte ihn adoptieren las¬
scher Ndatur, die Liebe zu einer sechzehnjäh¬
sen und sich nicht mehr um ihn kümmern; sie
rigen Schülerin, die mit allem begabt ist, was
bleibt ihm monatelang fern, läßt sich von Syl¬
sie verlor oder nie besaß und bitterlich entbehrte.
vie, einer charmanten, gänzlich unbedenklichen
Jugend, Reiz, Reichtum, Lebensklugheit, Klar¬
Französin, zu einem tollen, tragisch endenden
heit, Überlegenheit. Es ist, als ob die arme ver¬
Abenteuer verleiten. Dann brechen aber wieder
lassene Seele noch einmal zu ihrem Recht kom¬
die mütterlichen Gefühle mit Gewalt hervor:
men wolle, wie ein absterbender Baum zum letz¬
sie nimmt den Buben zu sich, mietet zwei Zim¬
ten Mal in einem letzten Frühjahr ausschlägt
mer und eine Küche in einer stillen Vorstadt¬
und blühr. Und es ist, als sei mit Thilde Wohl¬
streße und sucht — nicht ohne Erfolg — durch
schein ein guter Stern erschienen. Sie läßt sich
Unterrichtgeben ihr Auskommen zu finden.
Theresens Jreigung freundlich gefallen, lädt sie
Franzl aber zeigt sich tückisch und verlogen,
ein in ihr wohlhabendes Heim zu ihrem allein¬
schwänzt die Schule, fälscht Entschuldigungs¬
stehenden Vater, erneuert auf diskreie Weise
zettel, und eines Abends liest Therese in seinem
deren Garderobe, nimmt sie mit auf Ausflüge
bösen fohlen Blick nicht nur Verstocktheit und
und in die Oper, begünstigt sogar das steigende
Hohn, sondern Feindschaft und Vorwurf. Uind
Wohlgefallen Herrn Wohlscheins an der zu¬
gleichzeitig wird sie sich des größten Leids, der
zeiten immer noch anmutigen Erscheinung. The¬
furchtbaren Tragik ihres Lebens bewußt: Daß
rese empfindet das Zusammensein mit den
sie ihrem Sohn gegenüber schuldig ist, weit sie
freundlichen sorglosen A##enschen, vor allem mit
ihn in der Stunde seiner Geburt tot gewünscht
Thilde, als das einzige Glück ihres Daseins,
hatte.
aber dann heiratet das geliebte Illädchen einen
„Gewünscht —? Nur gewünscht?“ Dafür
reichen Holländer. So einsam fühlt Therese
mußte sie nun zu jeder Sühne bereit sein, zu
sich jetzt, so müde und bedroht, daß sie Wohl¬
Opfern jeder Art, zu schwereren, als sie je ge¬
scheins Geliebte wird, daß sie bereit ist, ihn zu
bracht.
heiraten.
„Arme Therese, was hast di auf dich ge¬
Endlich hat sie jemanden, der für sie sorgt.
nommen! Mehr und mehr wird Franz zur
Herr Wohlschein ist ein älterer Herr, etwas
Schande. Noch mehr, zum zerstörenden Prin¬
gewöhnlich, aber nett, verschafft ihr die tausend
zip, zum Dämon ihres Lebens.
Annehmlichkeiten und Erleichterungen des Da¬
Wie er nur aussah in seinem billigen, gar
seins, die für eine Frau so wichtig sind. Sie
nicht mehr knabenhaft zugeschnittenen Anzug
braucht nicht mehr zu sparen, kann sich hübsch
mit den großkarierten Beinkleidern, dem zu
anziehen und erhält ein Telephon. Zu Pfing¬
kurzen Rock, dem rot umränderten Taschen¬
sten soll die Hochzeit sein.
tuch, wie bleich und wie verworfen und dabei
In diese aufgeheiterte Gegenwart gespenstert
nicht unhübsch das Gesicht!“
unheimlich und bedrohlich die Vergangenheit
Ein Minderwertiger, ihrem Wesen fremd
hinein. Therese weilt mit Wohlscheins im
und verhaßt und doch ihr Sohn, verknüpft durch
Waldwirtshaus — es ist derselbe Garten, in
Bande des Bluts, der Pflicht, des Mitleids
dem sie mit Kasimir einst gesessen, vielleicht der¬
und des Schuldgefühls.“
selbe Tisch, derselbe Stuhl. Sie besucht mit