I, Erzählende Schriften 34, Spiel im Morgengrauen. Novelle, Seite 11

im Mordengrauen
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34. Spiel im Hergengraden

W
Wir wären nicht bei Schnitzler, wenn nicht aus dem zu bringen. Der Leutnant
zu helfen wäre, das spürt man gleich, wenn er diesem, wohl
trotz mancher Erfahrung,
Karten= ein Liebesspiel würde, und zuletzt erscheint diese ganze
durch viele Erlebnisse haßerfüllten Manne durch eine Spiel=,
Frau, die im Vormittag
Lebenskomödie, symbolhaft gefaßt, als ein Spiel mit tödlichem
eine „Ehrenschuld", verfallen sollte. Eine Mauer des Hasses
am Abend nicht gerade ein
Ausgange, wenn es ein tückischer Zufall will. „Wir spielen
ist um diesen Mann.
Geliebte wird, die sich der
alle, wer es weiß, ist klug“, wie es in den Anfängen
Nun beginnen sie zu spielen.
Rückhalt gibt, als hätte
Schnitzlers hieß. Jetzt weiß er: das Schicksal spielt mit uns
In dieser Nacht — man fühlt es magisch — wird um
diese Bitte um ein Darleh
aber wir merken es nicht. Auch dieser junge Leutnant Willi
anderes als um Banknoten hasardiert: Ein Menschenleben,
Als sie nach dem Rc
merkt es nicht, daß er nun selbst in eine Komödie mit
dies ist der Einsatz. Schatten des Unterganges wehen durch
ihm beschieden sein soll, vom
tödlichem Ausgange... keise... unentrinnbar . .. hinüber¬
diesen Raum, wie der Morgen dämmert. Zunächst aber
zimmer, da die Reveille ges
gleitet.
gewinnt Willi, wie man immer gewinnt, wenn man zuletzt
läßt sie ihm eine Banknot
Am Morgen weiß er nur eines: Er ist ein verlorener
alles, das Leben sogur, verlieren soll. Doch einstweilen hat er
nur 1000 Gulden — und
Mann, wenn er nicht bis zum übernächsten Tag, nur so
gewonnen. Er könnte die tausend Gulden zahlen und würde
Mund eine Frauenbeichte.
lang wird ihm Frist gegeben — die Ehrenschuld begleicht.
sogar noch einmal so viel und noch mehr für sich zurück¬
fach die Poldi hieß, nach
Nun gibt es für den Leutnant Kasda, der lieber von eigener
behalten.
ein schnödes Geldgeschenk,
Hand fiele, als schimpflich den Dienst verließe, nur eine
Er hastet zur Bahn, da fährt ihm der Zug davon, welche
solcherart wie eine Dirne
Hoffnung: sich von dem reichen Onkel die Summe zu be¬
neue dämonische Schicksol########g. Und er muß — un¬
so etwas vergißt eine Frau
schaffen.
weiterspielen, es ist,
entrinnbar zieht es ihn in das La¬“
ihn wie einen Zuhälter g
Dieser Onkel, der jetzt auf den Plan der Geschichte
als ob ihn dieser Konsol telepathisch bannen würde. Die
fachen von damals. Nun bi
tritt, ist wieder eine österreichische, eine altösterreichische Er¬
leidenschaftliche Erregung des Spielers, wie er gewinnt, ver¬
Nicht bloß darum, weil e
scheinung, Schnitzlerisch gefärbt. Ein Sinnierer, der nur
liert, immer mehr, zuletzt eine für ihn unerhört große
Anzeige des Konsuls an
unter Büchern lebt, ist dieser Herr Wilram, vor der ganzen
Summe, elftausend Gulden, die er jetzt diesem Dämon, dem
verhindern vermag, sonde
Welt hält er aus einer gewissen Scheu geheim, daß er schon
Konsul, schuldet, das Naturtriebhafte des durch die Spielwut
immer tiefer fallen wird.
verheiratet, aber von seiner, um so viele Jahre jüngeren
verwirrten und entfesselten Ich in solchen Augenblicken,
Mannes, ein neues Sch
Frau, mit der ihn ein glühend=sinnliches Band zu verbinden
bezeichnend für Schnitzler, mit ärztlicher
wird hier, so
mächtig an.
scheint, halb geschieden lebt, daß er sein Vermögen in eine
Exaktheit der Beobachtung und zugleich dichterisch tiefem
Natürlich schickt Leop
Leibrente umgewandelt hat und daß diese im übrigen äußerst
Erfassen gezeigt. Es gibt eine Literatur über den Spielteufel
aber sie kommen zu spät
geschäftstüchtige Frau die Geldverwaltung allein besorgt.
in seinen mannigfaltigsten Gestalten und Wandlungen, von
es ihm auf dem Turf erga
Willi sucht sie auf, er ahnt bereits, daß es die nämliche
jenem innigen Drama des indischen Fürsten, der seine Frau
ein Gegenspiel erwartet. Al
Leopoldin= Lebus ist, mit der er, da sie noch nicht Geschäfts¬
verspielte, bis zu Gogols „Spielerkomödie", zu Dostojewski,
Dämmer, warum der Ko
und Ehefrau war, einmal eine heiße Nacht duschlebt hat.
der von dieser Leidenschaft so brünstig besessen wpar, sie in den
Leutnant, gegen den er ke
Und sie ist es wirklich, die Poldi. Aber wie hat sie sich ge¬
„Spielern“ so wahr gezeichnet hat, bis zi Molnar, der die
alles, was ihm die Gesel
wandelt! Noch immer von jugendlich=sinnlichem Reiz, ist sie
nächtlichen Spielrunden in den ungarischen Schlössern bei
genommen.
dabei von nüchternster Geschäftsberechnung. Wer das
dem Schimmer der Kerzen so packend geschildert und Stefan
Dies ist Schnitzlersn
Naturell wienerischer Frauen kennt, weiß, wie glücklich
Zweigs „Vierundzwanzig Stunden aus dem Leben einer
einherschreitend, im Aufbe
diese Gestalt erfaßt ist, daß sinnliche Innigkeit sich mit
Frau“ — Schnitzler hat durch sein „Spiel im Morgengrauen“
dramatischen Spitzen geste
kühlem Lebenssinn so oft bei der Wie erin verbindet.
diese Literatur um ein bedeutsames Kapitel bereichert.
von düsterer Glut, virtuos
Sie erkennt ihren Geliebten der inen Nacht sofort, nimmt
Die Karten haben den Spieler enttäuscht. Bleich
wie „Fräulein Else“.
dämmert der Morgen herauf. Was wird ihm dieser Morgen sachlich sein Anliegen, ihm die verspielten 11.000 Gulden vorzu¬
strecken, entgegen und verspricht, ihm am Abend selbst Bescheid: Form. ...
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