I, Erzählende Schriften 34, Spiel im Morgengrauen. Novelle, Seite 37

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34. Spiel inEEG
paar Stunden mehr verlieren kann, als er besitzt, und so
sein Leben verwirkt. Er zeigt uns, daß der Herr Leut¬
nant verlieren kann nicht muß; denn wäre der Zug
nach Wien nicht eine halbe Minute zu früh abgefahren,
so hätte der Herr Leutnant noch ein paar tausend Gulden
im Ueberfluß gehabt, sich eine Uniform, Ferien und man¬
ches mehr gestatten dürfen. Ja, hätte unser „Heid“ noch
ein wenig mit dem Erschießen gezögert, so hätte er wie¬
der weiterleben dürfen; denn der brave, alte Onkel Wit¬
ram eilt am Ende mit den notwendigen elftausend Gul¬
den herbei. Doch Schnitzler zeigt uns, daß der Herr
Leutnant, der immer sagt: „Da kann man nun nix
machen“ seinen Untergang verdient. Ein weichlicher
Dr. Max Goldschmidt
Kerl, der die Ehre mancher Schönen zerstörte, der sich
am Ende gar, in seiner Zwangslage, dazu verstünde,
Büro für Zeitungsausschnitte
seine Ehre an eine der von ihm leichtfertig Verlassenen
SBRLIN N4
Teleion: Norden 3051
zu verkaufen, um den ist es, wie hübsch und gemütlich
und umgänglich er auch sei, nicht zu sehr schade.
War es der Zufall, der, bei aller inneren Notwendi
Ausschnitt aus:
keit, den Tod des Spielers veranlaßte, so ist es de
Stuttgarter Neues Tagblatt
fall, der dem Kameraden, dem wahrscheinlich Be
Ernsthafteren, als Familienvater ans Leben Ve
teten, die Rettung bringt; denn hätte sich nicht im
Augenblick die Visitenkarte im Ofen gefunden, so
##ein ihm seine tausend Gulden nicht überbringen
20 Juni 4025
Das Tempo geht stets im gleichen, leichten?
Schritt, allegro, ma non troppo, andante, nie
leinmal vielleicht vivace, als der Leutnant, ho
Das neueste Buch
sein Geld verliert, doch auch da, in der Intens
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stens, nicht stärker als mezzoforte. Die Atm
von Arthur Schnitzler:)
behaglich, es wird geraucht, gibt guten Weir
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schöne Frauen, fast auf jeder Seite des Buches, m
er¬
Von Dr. Fellx Wittmer
fährt reizvolle Anekdoten. Weil diese Anekdoten, an sich
Mit einer Inhülksangabe dieser an die frühe Novelle
schon unterhaltend, dazu dienn, die Befriedigung einer
„Leutnant Gustl“ erinnernden Spielerzählung würde
vom Verfasser geweckten Azgierde, die Lösung eines
man dem Verfasser ein großes Unrecht zufügen, denn die
von ihm „geschürzten Knotens“ uns noch ein wenig vor¬
an sich brutalen Begebenheiten werden erst durch die feine
zuenthalten, bleiben wir in Spannung. Doch nur in
Zeichnung dieses großen Menschenkenners ergreifend,
Spannung! Nicht in Aufregung!
durch die Art ihrer Anordnung und Beziehung bedeutsam
Die Sprache, ein wenig lyrisch, einfach sachlich,
und poetisch.
weniger absichtlich als die eines Thomas Mann, entbehrt,
Schnitzler schildert uns nicht das ganze Milieu der
wie das Ganze, stärkerer Schwankungen. Das Schönste
Spieler wie etwa Dostojewsky in seinem gleichnamigen
steht vielleicht zwischen den Wörtern, im Verschwi
Roman, gibt auch nicht etwa eine psychoanalytische Deu¬
wie oft bei Rudolf G. Binding und beim Grafen Eduard
tung des vom Spiel Besessenen wie Zweig in seinen
von Keyserling, wie, als wesentlicher Gestaltungsfaktor,
„Vierundzwanzig Stunden aus dem Leben einer Frau",
neuerdings bei Alfred Neumann.
er zeigt uns nur, wie ein netter, aber reichlich belang¬
Es ist sehr hübsch, daß Hans Meid den Einband¬
loser Leutnant der alten Doppelmonarchie, der in der
entwurf dieses „Spiels im Morgengrauen“ in Grau ge¬
ehrenwerten Absicht, seinen Freund zu retten, das Spiel
zeichnet hat, denn es ist ein Spiel in Grau, mit ein paar
versucht, durch Anspannung und Alkohol erhitzt, in ein
schmucken, charmanten, nicht scharf und doch warm leuch¬
Arthur Schnitzler:
larauen.“ S. Fischer, Bersin 154, im Morgen=tenden Farbflecken darin. Es ist reizvoll, daß er mit
Ispitzer Feder zeichnete, wie der Verfasser.