I, Erzählende Schriften 33, Traumnovelle, Seite 3

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Schnitzlers „Traumnovelle“.
Arthur Schnitzlers neustes Werk.
Genau am siebzigsten Geburtstag Siegmund Freuds erscheint (im
Verlag S. Fischer, Berlin) Schnitzlers neuestes Büchlein „Traum¬
novelle“, — bewußt oder unbewußt eine Huldigung des Dichters
für den weitberühmten Landsmann, Stadtgenossen und Berufs¬
gefährten. Freud versuchte Traumdeutung zur Wissenschaft zu erheben
zur rationellen Befreiung von einer der furchtbarsten Menschheits¬
geißeln: von der lebenslänglichen Marterung der Irdischen durch die
unfaßbaren Mächte des Unterbewußtseins.
Schnitzler, der Arzt, formt die Theorie des Arztes Freud zu einer
Novelle, deren Held wiederum ein Arzt ist.
Viele zeitgenössische
Schriftsteller nutzten für ihre Produktion Freuds Lehre ... viele,
ohne die Theorie zu epischem Geschehen. zur Menschgestaltung formen
zu können ... manche mit erbarmungslosem und düsterwühlendem
Fanatismus. Schnitzler gab mit seelenkundigem Auge und virtuoser
Hand ein zartes, klares, rundes Gebilde. Schicksal zweier Menschen
entströmt wild und zerstörerisch einem Punkt, durch eine Nacht und
einen Tag, um in der nächsten Nacht, friedsam und geordnet, sich zum
Kreis zu schließen, der als Ueberwundenes entschwebt.
Jener Punkt bedeutet in der Ehe des Arztes und seiner Frau die
Grenze, da liebendes Zusammenleben träge Gewohnheit zu werden
droht. Nach einer beglückten Liebesnacht brechen verwirrend und
vernichtend aus den beiden Bürgerlichen zugleich alle nicht gelebten —
verdrängten — Möglichkeiten ihres Liebesdaseins. Er taumelt, während
nächtlicher Heimkehr von einem Gestorbenen, durch viele romantische
Frauen=Abenteuer, deren keines er ausgenießen darf. Sie träumt
indessen: wie sie den Mann preisgibt. tausendfach betrügt und aus
Kreuz schlagen läßt. In der Wirklichkeit und in der Unwirklichkeit
fügten sie sich alle Scheußlichkeiten zu, tobien sich ihre romantisch¬
ungezügelten Instinkte los und frei. Sodaß sie am Morgen in tief
bewußter Feindschaft und Fremdheit sich in die Augen schaudern.
Bis im klaren Tag der Mann, als er seine dunklen Erlebnisse zu
Ende leben will. nicht wieder in das Labyrinth der Abenteuer zurück¬
findet, überall Rüchternheit und Wesenloses aufstöbert, wo er ent¬
rückende Entzückungen wähnte. Er trifft, aus den Verwirrungen der
Wirklichkeit heimkehrend, die Frau gleichfalls heimgekehrt aus den
Verwirrungen verräterischen Traums. Sodaß sie sich im Glanz der
bewußten, selbstgeschaffenen Wirklichkeit glücklich wiederfinden für
alle Zeit.
Wunderschön und mit einer Sicherheit, die als graziöse Leichtig¬
keit erscheint, wandelt sich in dieser rasch hinrauschenden Novelle die
Wirklichkeit verworrener Abenteuer ins Traumhaft=Unwirkliche und
die Unwirklichkeit des Traums zu niederschmetternder Wirklichkeit.
Welche Ausschweifung wiegt schwerer: die der nichtwirklich ge¬
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wordenen Wirklichkeit, oder die des als krasse Wirklichkeit gelebten
Traums? Pirandellos verschmitzte Augen steigen auf.
Aber Schnitzler ist entschiedener als Pirandello, der dramatisch
virtnos erkenntniskritische Probleme aufrührt, bloßlegt und als unbe¬
antwortete Frages Publikum einhämmert. Kurt Pinthus.
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