Traunnovelle
box 5/7
33. A
Dr. Max Goldschmidt
3
Büro für Zeitungsausschulte
Teision: Nordan 8051
*
BBRLIN N4
„nneregesen ee eateenesenet Aunennenenen
Prager Tagllan
heneeeen
1 9. Juni 1926
eeicge
Siöt es gute neue Bücher?
Von Max Brod.
Es gibt vor allem einen neuen Schnint Die
„Traumnopelle“. Im Verlag S. Fischer. Wie n##ndn
soroft del Samitzler erleben wir das zarte Seelen.
leben eines Arztes. Wien, den Fasching.
den be¬
zaubernden Herzschlag des halben Abenteuers. Ein
Arzt (sein Name „Fridolin“ ist das
zu
in diesem Buch fühl, endacht anmu
einem Sterbenden gerufen. An des
und nachher, da en keine Lust hat. na
gehen, gerät er in allerlei Verlockling. Di
210
treue, die er herbeisehnt, bietet sich ihm in selt¬
Dr. Max Goldschmidt
samen Gestalten, von denen man ahnt, daß sie
Traum sind. Zum Schluß erfährt man überrascht.
Garo für Zeitungsauschnite
BERLIN N 4
daß er Wirklichkeit erlebt, seine Frau dagegen die
Untreue nur geträumt hat. Szenen von unverlier¬
Telefon: Norden 3051
barer Grazie der Erotik, freilich nicht so stark und
geradlinig wie Schnitzlers vorläufig letztes Genie=!
stück vom „Fräulein Else“.
Neue Kurcher Zeitung, Atrich.
2 0 Juni 1926
die sich in ihrem Traum enthüllt hatte. Wie sein
Erzählende Literatur.
ist die Randbemerkung des Erzählers: — der Arzt
Schnitzlers „Traumnovelle“
merkt während dieser Gedanken, daß er die Finger
seiner Frau umfaßt gehalten und daß er, wie er
E. K. Es ist nicht verwunderlich, daß in der
auch gewillt war, die Frau zu hassen, für diese
Nähe Freuds zwar nicht mehr geträumt wird
vertianten Finger eine schmerzlich gewordene
als anderswo, aber doch mehr Traumdeuter an
Zärtsichleit empfand. Und so schlummern sie neben
dem Werke sind, das ihre Urväter im Morgen¬
einander ein. Um sieben Uhr erhebt er sich leise
lande so gerne und dichterisch schön geübt haben.
neben der Schlafenden und liquidiert sozusagen
Schnitzlers „Traumnovelle“, die nicht etwa in Ab¬
die nicht fertig gediehenen Erlebnisse der vorigen
hängigkeit von Freudschen Lehren entstanden ist,
Nacht. Auch all dies Wirkliche ist wieder wie ge¬
atmet aber zweifellos die Luft, in der Freuds
borgt aus Träumen: Das Wiederfinden jener
Lehre so leidenschaftlich=einseitig, oder man möchte
Frau, die er gestern geliebt und die er heute als
auch einmal sagen, so hemmungslos prosperieren
Leiche im Anatomiesaal findet. Spät kehrt er heim
konnte. Dies ist Schnitzlers spannender Vorwurf:
und er, der glaubte, alle Zeichen seines nächtlichen
Ein Arzt kommt von einem Krankenbesuch, in
Abenteuers ausgetilgt zu haben, findet auf seinem
einer Grundstimmung schwermütigen Zaubers,
Polster die Maske vom Vorabend, gleichsam von
wie einem schweren Erlebnis entronnen, um erst
seiner Frau hingelegt als milde Warnung und
recht ins Abenteuerliche zu glissieren. Was er er¬
Bereitwilligkeit des Verzeihens. — Der Schluß
lebt, scheint unwirklich. Besuch in einer Masken¬
komme dem Schönsten gleich, was ich von Schnitz¬
leihanstalt mit zweifelhaften Vorgängen; als
ler kenne: wie in den beiden Gatten Träume und
Mönch maskiert dringi er in ein Haus ein, wo
Begebenes zerfließen, die gewöhnliche Wirklichkeit
Orgien sonderbarster Form zu erwarten sind. Har¬
die Erschütterung der Phantasie heilt und zudeckt.
moniumklänge, Nonnen und Mönche, verschleierte
Eine Novelle, deren Kontrapunktik vollendet,
Schönheiten, süßes Gist aller Art. Es geht wie in
eine Novelle, die den Traum so bestürzend wahr
einem lüsternen Traume zu; er wird, da er die
wiedergibt wie das wirkliche Leben und umge¬
Parole nicht kennt, auf absonderliche Art hinaus¬
kehrt das wirklich Geschehene, als wär's ein be¬
befördert. Eine Fean stirbt um seinetwillen eines stechender Traum.
(S. Fischer, Berlin.)
mysteriösen Todes. — Nach Hause zurückgekehrt,
findet er seine Frau aus einem Traum erwachend
vor, den sie ihm erzählt. Er ist geträumte Untreue
in der blendendsten Form. Wie reagiert der Mann
auf diese Untreue, die zwar nur geträumt, aber
so frech und vollständig geträumt wurde, daß ihn
der Traum als solcher erbittern muß? Nichtig und
lächerlich erscheinen ihm neben solchem Traum
seine wirklichen Erlebnisse, und er schwört sich,
sie alle zu Ende zu erleben, sie ihr dann treulich zu
berichte und so Vergeltung zu üben an der Frau,
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33. A
Dr. Max Goldschmidt
3
Büro für Zeitungsausschulte
Teision: Nordan 8051
*
BBRLIN N4
„nneregesen ee eateenesenet Aunennenenen
Prager Tagllan
heneeeen
1 9. Juni 1926
eeicge
Siöt es gute neue Bücher?
Von Max Brod.
Es gibt vor allem einen neuen Schnint Die
„Traumnopelle“. Im Verlag S. Fischer. Wie n##ndn
soroft del Samitzler erleben wir das zarte Seelen.
leben eines Arztes. Wien, den Fasching.
den be¬
zaubernden Herzschlag des halben Abenteuers. Ein
Arzt (sein Name „Fridolin“ ist das
zu
in diesem Buch fühl, endacht anmu
einem Sterbenden gerufen. An des
und nachher, da en keine Lust hat. na
gehen, gerät er in allerlei Verlockling. Di
210
treue, die er herbeisehnt, bietet sich ihm in selt¬
Dr. Max Goldschmidt
samen Gestalten, von denen man ahnt, daß sie
Traum sind. Zum Schluß erfährt man überrascht.
Garo für Zeitungsauschnite
BERLIN N 4
daß er Wirklichkeit erlebt, seine Frau dagegen die
Untreue nur geträumt hat. Szenen von unverlier¬
Telefon: Norden 3051
barer Grazie der Erotik, freilich nicht so stark und
geradlinig wie Schnitzlers vorläufig letztes Genie=!
stück vom „Fräulein Else“.
Neue Kurcher Zeitung, Atrich.
2 0 Juni 1926
die sich in ihrem Traum enthüllt hatte. Wie sein
Erzählende Literatur.
ist die Randbemerkung des Erzählers: — der Arzt
Schnitzlers „Traumnovelle“
merkt während dieser Gedanken, daß er die Finger
seiner Frau umfaßt gehalten und daß er, wie er
E. K. Es ist nicht verwunderlich, daß in der
auch gewillt war, die Frau zu hassen, für diese
Nähe Freuds zwar nicht mehr geträumt wird
vertianten Finger eine schmerzlich gewordene
als anderswo, aber doch mehr Traumdeuter an
Zärtsichleit empfand. Und so schlummern sie neben
dem Werke sind, das ihre Urväter im Morgen¬
einander ein. Um sieben Uhr erhebt er sich leise
lande so gerne und dichterisch schön geübt haben.
neben der Schlafenden und liquidiert sozusagen
Schnitzlers „Traumnovelle“, die nicht etwa in Ab¬
die nicht fertig gediehenen Erlebnisse der vorigen
hängigkeit von Freudschen Lehren entstanden ist,
Nacht. Auch all dies Wirkliche ist wieder wie ge¬
atmet aber zweifellos die Luft, in der Freuds
borgt aus Träumen: Das Wiederfinden jener
Lehre so leidenschaftlich=einseitig, oder man möchte
Frau, die er gestern geliebt und die er heute als
auch einmal sagen, so hemmungslos prosperieren
Leiche im Anatomiesaal findet. Spät kehrt er heim
konnte. Dies ist Schnitzlers spannender Vorwurf:
und er, der glaubte, alle Zeichen seines nächtlichen
Ein Arzt kommt von einem Krankenbesuch, in
Abenteuers ausgetilgt zu haben, findet auf seinem
einer Grundstimmung schwermütigen Zaubers,
Polster die Maske vom Vorabend, gleichsam von
wie einem schweren Erlebnis entronnen, um erst
seiner Frau hingelegt als milde Warnung und
recht ins Abenteuerliche zu glissieren. Was er er¬
Bereitwilligkeit des Verzeihens. — Der Schluß
lebt, scheint unwirklich. Besuch in einer Masken¬
komme dem Schönsten gleich, was ich von Schnitz¬
leihanstalt mit zweifelhaften Vorgängen; als
ler kenne: wie in den beiden Gatten Träume und
Mönch maskiert dringi er in ein Haus ein, wo
Begebenes zerfließen, die gewöhnliche Wirklichkeit
Orgien sonderbarster Form zu erwarten sind. Har¬
die Erschütterung der Phantasie heilt und zudeckt.
moniumklänge, Nonnen und Mönche, verschleierte
Eine Novelle, deren Kontrapunktik vollendet,
Schönheiten, süßes Gist aller Art. Es geht wie in
eine Novelle, die den Traum so bestürzend wahr
einem lüsternen Traume zu; er wird, da er die
wiedergibt wie das wirkliche Leben und umge¬
Parole nicht kennt, auf absonderliche Art hinaus¬
kehrt das wirklich Geschehene, als wär's ein be¬
befördert. Eine Fean stirbt um seinetwillen eines stechender Traum.
(S. Fischer, Berlin.)
mysteriösen Todes. — Nach Hause zurückgekehrt,
findet er seine Frau aus einem Traum erwachend
vor, den sie ihm erzählt. Er ist geträumte Untreue
in der blendendsten Form. Wie reagiert der Mann
auf diese Untreue, die zwar nur geträumt, aber
so frech und vollständig geträumt wurde, daß ihn
der Traum als solcher erbittern muß? Nichtig und
lächerlich erscheinen ihm neben solchem Traum
seine wirklichen Erlebnisse, und er schwört sich,
sie alle zu Ende zu erleben, sie ihr dann treulich zu
berichte und so Vergeltung zu üben an der Frau,