I, Erzählende Schriften 33, Traumnovelle, Seite 17

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mit soviel Mile-und-ein##sein zu sagen, daß uns dieser
Zigeuner in der Soutane als etwas ganz Neues erscheint. Wie
rührend ist nicht das „Malerleben“, die traurige Lebensgeschichte
des Weimaraner Malers Buchholz, des Künstlers, dem such das
unerläßliche Mindestmaß von Lebenstüchtigkeit versagt ist, und
der sich endlich erhägt, weil ihm zwei Radirungen von
der Jury zurückgewi sen werden! „Die Ruhelosen“ sind
sdurch die Größe ihres Ahn¬
Goethes Nachkommen,
herrn vom grünen Plan des Lebens Verdrängten, sie.
weiche den ungeheuren von der Natur ihrem Großvater gewährten
Kräftevorschuß, nun mit der eigenen Schwäche bezahlen müssen.
„Der Schreckensmann“ ist Camille Desmoulin, dessen klein.:
Lebensroman auf dem Hintergrund der schrecklichen Schicksals¬
tragädie seiner Zeit erscheint, halb burlesk, halb pastoral-mniriert
und mit dem tragischen Tode von Bürger und Bürgerin Desmoulin
endend. „Der Briefschreiber“ endlich ist Bisruarck, der Bismarck,
wie er aus seinen privaten Brie bekannt ist, nicht der eiserne
Kanzler, sondern der humorvolle und trinkfeste, der weltschmerz¬
lerische und mystische Bismarck, der große deutsche Mensch, und
der zärtliche Gatte, Vater und Bruder. Linzen hat alle diese
Schicksale, die er vor uns entrollt, selbst mitgelebt oder nachgelebt;
das fühlt man; er will sie uns nicht als Historiker, sondern als
Diehter vermitteln und dar um ist dieser Zug der Gestalten eigent¬
lich eine Reihe von kleinen, in ihrer Menschlichkeit und Natürlich¬
keit ergreifenden Romanen.
Arthur Schnitzler, Traumnovelle. Berlin (S. Fischer) 1926.
Schon der itel dieserseignärtigen Novelle verrät die vielerlei
Beziehungen von Traum und Dichtung in wunderbarer Weise und
beschäftigt uns auf so besendere Art, wie ein Traum in seiner
magischen Verbindung von Naturalismus und Romantik uns be¬
gleiten, ja verfolgen kann. Kunstvoll verschlungene Grenzen und
Wege von Wunsch, Traum und Wirklichkeit, Symbole voller Poesie
und kühler Prosa führt uns Schnitzler in meisterhaftem, an Klei
gemahnendem Stile. Der Dichter und Psychologe deckt mit
Kunst und Menschenkenntnis die Verwachsungen von Bew
und Unbewußtem auf. Gelebte Wirklichkeit ist nicht folgeri¬
auch Wahrheit und umgekehrt. Es gibt Stellen in dem Buche, die
neben E. Th. A. Hoffmann bestehen können. Diese kleine Novelle
ist ein großes Kunstwerk. Wilde, gewagteste Situationen, Lust¬
exzesse, wie sie nur die triebhafte Liebesrauschspannung des
den
Traumes kennt, spielen in erschreckender Traumrealitä
Rahmen der Erzählung und schalten sittliche Wertung
den Menschen aus. Schnitzler löst die Tragik des E
allem Naturalismus in Traumgegebenheiten auf und
so die Wirkung auf den Leser; bei dieser aufschließe
forschung reichen sich der Dichter und der Heilkundige
Wir sehen, welche gefährliche Verrückung der. Wertgrundsätze
das Unbewußte hervorrufen kann, und wie es in uns aussehen
kann, wenn, alle Schleier reißen, die, seien sie auch noch so dünn,
Menschliches, Allzumenschliches wohltätig verbüllen. Welche
Gefahr, das allein zum Maß aller Dinge des Lebens machen zu
wollen! Wir dürfen über den abgründigen Wegen, die uns der
Dichter führt, diese seine verkleidete Warnung nicht übersehen.
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Das ist mit ganz großer, ausgereifter Kunst durchgeführt und kann
nicht genug bewundert werden, mit einer Kunst, die in ihrer offen¬
sichtlichen Bewußtheit eine großo Steigerung in sich schließt. Es
erweist sich in diesem echt Schnitzlerischen Meisterwerk, daß die
nur geträumten Sünden der Frau so gewichtig sein können, wie die
fast durchlebten des Mannes. „Was sollen wir tun?“ fragt der
Held nach seiner Beichte, und der Dichter antwortet durch die
Frau: „Dem Schicksal dankbar sein, glaube ich, daß wir aus allen
Abenteuern heil davongekommen sind — aus den wirklichen und
aus den geträumten“. Und weiter: „ich ahne, daß die Wirklichkeit
einer Nacht, ja daß nicht einmal die eines ganzen Menschenlebens
zugleigh auch seine innerste Wahrheit bedeutet.“ Leontion.
Dorothea Hollatz: Der Suchen