I, Erzählende Schriften 33, Traumnovelle, Seite 18

33. Traunnovell
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Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLN N 4
Telsfon: Norden 3051
Ausschnilt aus:
Dresdner Neueste Nachrichten
5. Aug. 1926
Arthur Schnitzler: Traumnovelle
Verlag von S. Fischer (Berlin)
„Kein Traum ist völlig Traum.“ So sagt, leise
seufzend, Fridolin, der Wiener Arzt, zu seiner Frau,
(nachdem er die Odyssee seiner Seele gebeichtet hat,
chaotisches Erlebnis zweier Nächte, seltsamste Ver¬
kettung von Tag und Traum. Er sagt es als Axiom,
als Lehrsatz. Aber die Frau, unwissenschaftlich, ganz
Gefühl, ahnt, daß ihr Traum der gleichen Nacht ein
Leben gewesen ist, daß keine Wirklichkeit die ganze
Wirklichkeit ist. In dieser seinen Gegenüberstellung
männlichen und weiblichen Erlebens erkennen wir
den Dichter der „Dämmerseelen“. Fridolin und
Albertine sind solche Dämmerseelen. Was einem
jeden von ihnen Traum und Erleben ist, erinnert an
manches Motiy aus jener schönen, versonnenen, aus
verborgenen Tiesen schöpfenden Novellensammlung.
In dieser Erzählung verknüpsen sich der Traum der
Frau und wirklich erlebte Abenteuer des Mannes,
Tatsächliches und Phantastisches zu einem Kunstwerk
von seltsamem Reiz. Es ist der Schnitzler, wie er vor
Jahrzehnten war, der mit Grazie Menschlichstes zu
erfassen und zu gestalten wußte: Melancholie, Leiden¬
schaft, Triebe, Lüste, Sehnsüchte, Selbstvorwürfe;
jenen Zwiespalt des Intellektuellen, der auch in der
Emotion sich selbst beobachtet, kritisiert, ironisiert.
Wie eine Ballnacht das erregende Moment wird zu
einem kleinen Drama des erlebnisdurstigen Arztes,
ein Drama, dessen Szenen sich im eigenen Hause ab¬
spielen, dann am Totenbett eines Patienten, dessen
Tochter in plötzlicher Aufwallung die Liebe des Arztes
begehrt, dann in verwirrender Folge im Zimmer
einer Straßendirne, in einem mysteriösen Masken¬
geschäft, auf einem rätselhaften Fest, wo inmitten von
Nackttänzerinnen, semedrohenden Kavalieren hinter
Orgien der Tod lauert. Und tags darauf schmerzlich¬
ster Epilog: Bitterkeit und Trauer; in grellem Licht
der Erkenntnis tun sich Abgründe auf zwischen Mann
und Frau. Aber das Licht verlöscht, muß verlöschen;
Chaos wird gebändigt, wilder Trieb verbrängt;
lodernde Flaumen verglühen in Dämmerseelen. Ein
kurzer, schmerzlich erlebter Roman der verpaßten Ge¬
legenheiten, versäumter Liebeserlebnisse. Ein echter
—Anin..
Dr. Mux Golaschmiat
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N 4
Telefon: Norden 3051
Ausschnitt aus:
Berliner Börsenzeitung
22. Aug 1926
Traum und Wirklichkeit.
Von
Heinz Stroh.
Uns allen ist bekannt und eigene Erfahrung, daß inten¬
sive Wünsche, uns stark beschäftigende Gedanken und wirk¬
same Erschütterungen in den Schlaf, der doch Denken,
Fühlen und Empfinden ausschaltet, „mit' genommen wer¬
den. Wir alle sind nach „bösem" Traum schon einmal
„schweißgebadet“ aufgewacht; wir alle haben schon einmal
geliebte Schläfer beobachtet und deren Gesicht lebendig
daß wir den Inhalt eines
spiegeln gesehen, so
von
Traum kommt
ahnten. Kein
Traumes
nebenher; jeder Traum ist organisch hergeleitet
von einem Unterbewußtsein der Gedankengänge, das beim
Wachen hintenan gestellt schlummert, das den Schlafenden
So wird der
jedoch primär und auch allein beschäftigt.
Traum des Schläfers wahres Sein enthüllen. Gäbe es
die Möglichkeit, Träume — die bleischwer und ewig sich auf
den Schläfer legen und an der Uhr gemessen den Bruchteil
einer Sekunde nur dauern — zu sehen, die Kriminalistik
hätte die vielleicht stärkste und wahrscheinlich auch zuver¬
lässigste Unterstützung zur Aufklärung von Verbrechen.
Interessant ist auch, feststellen zu können, daß der Traum
„dichtet“ in des Wortes ursprünglicher Bedeutung „dicht
macht", indem er Gedanken weiter spielt und Wirklichkeit
werden läßt, Wünsche, die sehr verborgen und halb uneinge¬
standen sind, zur Erfüllung bringt und — heißt Dichter
nicht auch Prophet sein?! — von gegebenen Tatsachen aus¬
gehend, diese steigert und zeigt, was aus dem schon vor¬
handenen Status werden und sich ereignen könnte. Nichts
scheint mir falscher zu sein als der Satz „Träume sind
Schäume". Wenn man den Traum schon mit einem Wort
definieren soll, dann bleibt einem wahrscheinlich nur dieses
feststellende Wort zu sprechen übrig, das durchaus zum fest¬
stehenden werden kann, „Träume sind Dämonen!“
Es ist selbstverständlich, daß das Laszive, was um die
Dinge „schwebt", die Dichter reizen und anregen mußte.
Und seit Freud am Werke ist, gewann auch ein größeres
Publikum für die Dinge Interesse.
Die genialste Schilderung eines Traumes, der aus
Angst und Schuldbewußtsein wurde, steht in Leonhard
Franks letzter Novelle „Karl und Anna. Dieser
Traum beginnt in dem Augenblick, da ein Brief durch den
Türschlitz geschoben wird, und ist mit dem Fallen desselben
auf den Fußboden beendet. In diesem Zeitraum wird ein
Leben durchlebt, Tragik durchkostet und ein Schrei ge¬
boren. Wie Frank den Traum, losgelöst vom Dasein und
dennoch fest verbunden mit allem Geschehen, in die Er¬
zählung hineingewirkt hat, ist von gewaltiger dichterischer
Dimension. Hier könnte und müßte der einsetzen, welcher
Träume klären und zu entwirren sich zur Aufgabe ge¬
setzt hat.
Schnitzler läßt in seiner „Traumnovelle“
den Satz drucken: „und kein Traum ist völlig Traum“
Ein Satz tief wie ein Brunnen und klar wie Quellwasser,
gefunden aus schmerzlich=süßem Erlebnis, geschöpft aus
dem bitter=wehen Wissen um das Leben und Kreisen der
Gedanken; ein Satz, der durch das melancholisch lächelnde,
zart schimmernde Werk dieses leisen und virtuosen Dichters
bestätigt wird. In dieser Novelle (im S. Fischer Verlag,
Berlin, erschienen) gehen Traum und Wirklichkeit, Wahrheit
und Wunschleben in einander über, verweben sich, lösen
sich, fließen zusammen. Und über allem liegt ein Schleier,
der die Geschehnisse ein wenig entrückt und dämmrig macht,
der sie in einem Nebel verschwimmen läßt und der die Wirk¬
lichkeit ganz unreal und alles sehr, sehr keusch und zart
uns vorzaubert. In diesen Seiten lebt Wien und der be¬
rauschende Duft einer blühenden Phantastik steigt auf, in
der Feste gefeiert werden, Gefahren drohen und Frauen
anmutsvoll vorüberschweben. Wie Schnitzler jede einzelne
Frau zeichnet, sie vom Schicksal gepackt werden läßt und ihr
Leben vor uns ausbreitet, ist subtilste Erzählungskunst.
Wer so flimmernd zu schreiben vermag, ist jung! Durch
die „Traumnovelle“ geistert ahnungsvoll das Leben, von dem
wir alle etwas kennen und das heiß und innig umarmt,
das, einfach, geliebt werden muß — trotz der (und gerade
wegen der) Schmerzen, die es bringt.
Während Schnitzler vom Traum und traumhaften
Geschehen in seiner Novelle ausging, benutzt Vicki Baum
die reale Begegnung zum Werden eines Traums, der das,
was werden könnte, zeigt. Auf wenigen Seiten erzählt die
Dichterin in der Novelle „Tanzpause" (Fleischhauer
& Spohn Verlag, Stuttgart) das Leben einer jungen Frau,
die im Ballsaal ihren ersten Liebhaber auf sich zuschreiten
sieht, der sie zu einem Tanz auffordern will. Dieses Zu¬
sammentreffen erschüttert sie so, daß sie auf Sekunden die