I, Erzählende Schriften 33, Traumnovelle, Seite 26

Traunnovell
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Wwan
Andtan
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A
seiner Nähe leben zu dürfen. Er verläßt
Schnitzlers neue „Traumnovelle“
sie verwirrt und gerät in ein langes Ge¬
spräch mit einem Straßenmädchen dieser
Von Paul Stefan.
sonderbaren Nacht. Er ist ritterlich
gegen das arme Wesen und sie vergilt
rst vor wenigen Wochen konnte ich
es ihm mit einer Warnung vor allem
in der „Bühne“ ein neues Drama
weiteren. Dann aber, dann stößt er in
L von Schnitzler, den „Heg 2un1
einem Kaffechaus (man glaubt, auch
Teiher“ anzeigen, und schon liegt aber¬
dieses Kaffeehaus zu kennen) auf einen
mals ein neues Werk des mehr als
alten Bekannten, ein verbummeltes, pol¬
sechzigjährigen Dichters als Buch vor,
nisches Klaviergenie. Und dieser Mann
nachdem es schon in einer Zeitschrift
verrät alsbald, daß er in einer geheimen
viel tausend Leser ergriffen und er¬
Gesellschaft zu einer tollen Orgie Musik
schüttert hat. Diesmal ist es eine Er¬
machen müsse. Der Arzt drängt sich mit
zählung von der unheimlichen Sicherheit
ihm in den geheimnisvollen Wagen, der
und Meisterschaft, wie sie diesem Dichter
ihn abholt. leiht sich mitten in der Nacht
etwa seit den „Dämmerseelen“ ganz
ein Maskenkostüm aus, man fährt hinaus
allein zu eigen ist — niemand weiß alles
ins Liebhartstal — das fest verschlossene
das so genau, niemand empfindet so
Haus muß in der Nähe des Wilhelminen¬
stark, niemand vermag so wunderbar
berges liegen — ein Losungswort öffnet
das Uneingestandene lebendig zu machen.
die Türe, sehr, sehr vorsichtig wird das
Zuletzt war es an der Erzählung von
Fest beschrieben (denn Beschreibungen
„Fräulein Else“ zu merken. Hier waltet
solcher Feste zeigen, wenn nicht der
ein Gebeimnis. Hat dieser große Dichter
Dichter Schnitzler sich der Mühe unter¬
und Mensch die Gabe des zweiten Ge¬
zieht, wie schal das Fest oder die Be¬
sichtes? Oder ist er bloß Psychologe in
schreibung wird) — und dann wird der
dem Sinn jener neuen Sehule, über die
Eindringling erkannt. Es entsteht eine
am 70. Geburtstag Siegmund Frends vor
furchtbare Szene, die hochmögenden
kurzem so viel Lehrreiches gesagt
Herrschaften verstehen keinen Spaß.
worden ist? Aber das sind Deutungen,
drohen... Auf dem Höhepunkt der Szene
Deutungsversuche.. Kunst und Künst¬
setzt sich eine schöne Frau für den Arzt
lerschaft spricht für sich, spricht primär.
ein. er darf das Hans verlassen, aber die
Schnitzler hat in der neuen Traufs¬
Frau ist nach dem Gesetze dieses Hauses
novelle mit der zartesten Hand, einer
einem dunklen Geheimnis verfallen: Ge¬
frauenhaft zarten Hand einen Schleier
heimnis bleibt ja alles in dieser Er¬
entfernt; ein Traum enthüllt sich, eine
zählung. Es ist fast Morgen, des Arztes
Wirklichkeit wird so stark und über¬
Alltag beginnt. Beginnt damit, daß nun
lebendig. daß zuletzt nur Flucht in den
auch seine Frau einen Traum erzählt
Traum übrig bleibt.
war nicht sein eigenes Erlebnis
Wie schon oft, zeigt Schnitzler ein
Traum? — einen Traum, der sie ihm
paar Tage. fast nur Stunden aus dem
für den Augenblick fremd, die schöne
Leben eines Arztes. Es ist ein Mann in
Unbekannte, die sich für ihn opferte,
noch jungen Jahren, glücklich ver¬
völlig zu seiner Herrin macht. Patienten,
heiratet, wie man das gewöhnlich nennt,
Klinik, ärztliches Handwerk. Dann eilt
Vater eines Kindes, mit zufriedenstellen¬
der Mann, um das Haus hinter dem
der Praxis und der Möglichkeit einer
Liebhartstal zu suchen. Er scheint es
wissenschaftlichen Laufbahn... Dieser
gefunden zu haben, da wird ihm ein Brief
Mann hat mit seiner anscheinend auch
überreicht: zweite Warnung. In der
noch jungen, hübschen, eleganten Frau,
Zeitung liest er von dem geheimnis¬
einer kameradschaftlichen Frau, eines
vollen Selbstmord einer Baronin D. Das
der großen Maskenfeste besucht, und da
muß die Unbekannte sein. Eine Jagd
ist ihm. nun etwas vilerfahren, was
nach dieser Spur beginnt. Zuletzt findet
eine Vergangenheit oder ein anderes
er nächtlich im Seziersaal eine Leiche.
Leben in ihm befreit hat. In ihm und in
die vor ein paar Stunden diese Frau
der Frau. Die beiden sprechen von dem
vorgestellt haben könnte. Und kehrt
Maskenfest, und er erfährt, wie wenig
nach Hause zurück. Spricht mit seiner
gefehlt hätte, daß diese Frau in irgend¬
Frau. Beide sind wieder beieinander
einer Vergangenheit und vielleicht noch
geborgen. Und getrauen sich nicht zu
heute einem andern Mann gehörte.
sagen: für immer.
Er aber — er wird zu einem herzkranken
Das ist die Traumnovelle. Ich habe sie
Patienten gerufen. Als er in die ge¬
zu erzählen versucht oder vielmehr ver¬
heimnisvolle Schreyvogelgasse kommt
sucht, dem Leser nahezulegen, was sie
die Novelle spielt so sehr in dem um¬
vielleicht ist, was sie über die Worte
friedeten Wien Schnitzlers, daß man ein¬
und Ereignisse hinaus noch enthält.
zeine Straßen und Häuser zu erkennen,
Aber gerade hier ist ein solcher Versuch
ihre Luft zu atmen glaubt — ist der alte
fast zu schwierig. Das Buch hat nur
Hofrat schon tot, seine Tochter aber, ein
hundertsechsunddreißig Seiten. S. Fischer
schönes, blondes Wesen, verlobt, wirkt
sich dem Arzt zu Füßen und ficht, in Verlag.
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DIE BUHNE
Annz Jieburg
Men hört aus Groz, daß hervor¬
ragende österreichische Operetten¬
komponisten nunmehr die Grazer
Theater als Uraufführungstheater
betrachten wrürden, an erhöhter
Bedeutung.
Wenn die Grazer Operette, der
der neue Direktor Korl Lustig¬
Prean besonderes Interesse zuzu¬
wenden verspricht, auch heute
schon vollkommen Wiener Niveau
hält, verdankt sie dies in erster
Linie der Primadonna des En¬
sembles Anny Sieburg. Anny Sie¬
burg, die im Herbste 1925 auf dem
kleinen Umwege über Buenos
Aires, Brünn und die bömischen
Weltbäder nuch Graz gekommen
war, errang sich in kurzer Zeil
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G

nicht nur die führende Stellung
im Ansehen der kunstverstündigen
Kreise, sondern mehr noch die
dominicrende Position im Herzen
der Grazerinnen und Grazer. Doher
wurde ihr Reengagement für die
kommende Spielzeit mit ungeteil¬
ter Freude begrüßt.
Anny Sieburg gehört nicht nur
zu den schönsten Frauen der öster¬
reichischen Operetlenwelt, son¬
dern ist vor allem auch als Sän¬
derin, deren Stimme an Kultur und
Umfung zur Oper weist (singt sie
loch mit Leichtigkeit eine San¬
tuzza), in die vorderste Reihe zu
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stellen. Aber Anny Sieburg
auch eine Tanzkünstlerin von
Rung und eine Dame von Welt, die
sich zu kleiden versieht. Geistige,
künstlerische Kräfte sind in dieser
imposanten Frau mit den reizend¬
sten äußerlichen Qualitäten in
schönster Harmonie vereint. Un¬
vergessen werden in Graz ihre
Leistungen als Mariza, als Nadja
Nadjakoiska im „Orlou“, als Tere¬
sind und als Kaiserin bleiben. Ihr
Weg führt unzweifelhaft empor zu
den ersten Großstadtbühnen.