I, Erzählende Schriften 32, Die Frau des Richters. Novelle, Seite 4

32. Die Frau des Richters
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Sieran des Rachten


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ß=Russen und Ruthenen, die Tschechen es gibt ultra=akademische Kritiker, die glauben, die Romantik den Namen Boudeljac für seine eigene Ironie verdient,
Deutschen, Ungarn und Italiener zu ver= zu bekämpfen, während sie doch, ohne es recht zu wissen, noch liebt die Dame mit dem rotbesteinten Ring. Er hat sie ge¬
tief in sie verstrickt sind. Bei uns, ich gestehe es mit wahrem blegentlich nur kurz auf der Straße getroffen und gesprochen,
k jede im geringsten von der ihren ab¬
Schrecken, liegen Menschen wegen ihrer politischen oder wirt=kennt weder ihren Namen noch ihr tieferes Wesen; weiß ganz
keinung. Europa ist von seiner Romantik
allein, daß sie den roten Stein trägt und daß er sie unerbittlich
schaftlichen Anschauungen im Gefängnis. „Und dennoch kann
hen und gefährlichen Historismus ver¬
und schicksalmäßig lieben muß. Aber er sieht sie nie mehr; er
man mit gutem Gewissen sagen der Geist Whitmans ist nicht
kankreich lehnt Anatole France ab und
ist zu schen, fast möchie man behaupten: zu schicksalsgläubig,
tot. Im Gegenteil, er ist lebendiger denn je! Die besten und
hen Volksverderber. Die noch jüngeren
um von sich aus eine ermeute Begegnung listig und entschlossen
einflußreichsten unserer neueren Schriftsteller, welche die Bau¬
Romantiker aus den Gräbern steigen und
zu erzwingen. List und Entschlossenheit sind nicht seine Sache.
steine für die Zukunft Amerikas bereithalten und zusammen¬
sen, zersetzenden, analytischen Geist des
tragen, wissen nichts von der Geschichtsfreudigkeit oder der Aber er schreibt Briefe; richtet sie über die Adresse einer Dame,
chts= und linksradikalen Führer der
nationalistischen Romantik im europäischen Sinne, sie treten die jene kennen soll: Briefe, die nicht Antwort finden, Briefe,
stehen einander gut. Beide glauben an
he enbert i
e eine ganze innere Biographie erzählen; Briese, die den
lgschaft und den Ordnungsstaat wie an
iun des Lebens, des Dichtens und Trachtens einer Welt
verstricken sich in Ideologien wie in
örtern und erklären sollen — und namentlich der Boudeljac¬
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Fast jedermann ist auf sonderbare Arti¬
Dr. Man Goldschmidt
jen Welt. Denn diese Briefe, die von Arbeit, Liebe, Kritik,
man kriegerisches Heidentum mit falscher
Büro für Zeitungsausschnitte
calität und Schein und von der fragwürdigen Existenz des
gepaart. Die Mitteleuropäer liebäugeln
Telefon: Norden 3051
teraten handeln, sind alle nur Erklärung der Liebe und Ver¬
BERLIN N4
n ihrer eigenen geistigen Kraft nicht mehr
irung der Geliebten. Es sind schriftlich niedergelegte Selbst¬
vom Westen her ein freier, reinigender
Ausschnitt aus:
spräche von der Straße, vor dem Spiegel, unter Bäumen;
sichten der Schwermut; ohne die Romantik der Selbstver¬
m der Romantik breitet sich natürlich
Fpankfurter Zeitung
überung; aber voll von der Ironie der Selbsterklärung. In
hesterton und Belloc in England, an die
chen Spannungen treibt uns diese Korrespondenz einer trau¬
ern, die den Ton der mystischen Nord¬
en Lösung zu. Erst die sterbende Geliebte schreibi mit un¬
in aller Unschuld versuchen, die Roman¬
2 1, Dez 1925
serem Stift die einzige, kurze, letzte Antwort, die auch ihre
von Haß und Blut auch in unsere Mitte
schwiegene und heilig gehaltene Liebe gestent. Der Schrift¬
nd verhältnismäßig harmlos. Ein kurzer
ller Boudeljac erhält als Erbe den Ring mit rotem Sicin:
etwa würde meine Freudin Mrs Austin
die einzige Erfüllung, die ihm von seiner Peregrina und un¬
krikanischen Tradition der Freiheit und
sterblichen Geliebten kam. Seins poetische Lebensfaulheit wird
lichten, würde sie zu Thoreau und Whit¬
Novellen.
gekrönt mit der Märtyrerglorie der Nichtersüllung. Die Sehn¬
ch ist unsere neuere junge Literatur davon
sucht ist ewig in ihm und singt eine lächelnde Elegie. Wäre er
Rudolf Schneider — Arthur Schnitzler
st schlechthin frei, von Vernunft getragen,
Er. —
parfümiert, er müßte Pierrot heißen. So aber heißt er
Albrecht Schaeffer — Oskar Jeklinek.
kös im besten Sinne; es gibt ihresgleichen
Bondeljac — und es ist gut so.
Haß und die peinlich historische Gebärde
10
Von Bernhard Diebold.
och gefährlicheren romantischen Einflüsse
II.
vom Leibe. Sie trägi ein Element vom
Solche Meisterschaft, wie sie Arthur Schnitzlei in seiner
Fieldings reife,
hrhunderts in sich
Novelle „Fräulein Elie“ darlegte, darf man auch von einem
Da die Romane in Briefen momentan nicht in Mode sind,
keit und Humes klaren und beglückend
Meister nicht als Regel verlangen. Und wenn die keine Er¬
muß es mit Rudolf Schneiders Brief=Novelle „Ring
esunden Menschenverstand. Selbst wenn
zählung „Die Frau des Richter s“ (die im Proppiken¬
mit rotem Stein“ eine besondere Bewandinis haben.
sich der Technik der Expressionisten be¬
Verlag in Berlia als ein angenehm gedrucktes Büchlein
(Erschienen zuerst in der „Frankfurter Zeitung“ und nun als
ner Rice in dem Roman „Die Additions¬
erschien) auch hohe Qualitälen in der Stoffausbreitung, Auf¬
Buch der Haessel=Reihe, Verlag Haessel in Leipzig.) Man
tige Absicht ist nicht weniger lauter und
reihung der Gesch-hnisse und Inszenierung der Hauptbüber
liebt in unserer Generation die literarische Direktheit; man
1 jeden Aberglauben und jeden Versuch,
tastet nicht, sondern man greift zu; man verkehrt durchaus nicht zeigt, so sind ihre Menschen doch nicht so subitl nach Mut und
lagworten zu benebeln, nieder, die Frei¬
in Briefen, sondern gleich von Person zu Person: und meini Nerven durchgentbeitet, wie es die subtile Sitnation, in die se
Friede, ist ihr Banner.
es so feelisch wie körperlich. Schneider aber weiß noch um die Schnitzler brachte, dringend verlangte Ein Richter, gerecht
suche ich meinen liberalen Freunden in
Werbung aus der Ferne, um die Scham des Ausdruckes und aus Bürokratie aber seige aus Schwäche und verlagen aus
ht nach Amerika zu deuten. Ich gehe ohne
genug häßliche Dinge in Amerika. Es die Demut vor der Liebe. Sein trauriger und in seiner Sehn= kleinlicher Eitel'eit verscherzt sich auf die släglichste Art seine
ur=Klaner wie drüben die Hakenkreuzler, sucht zugleich auch etwas zu belächelnder Romanheld, der Würde und sein Weib. Dieser haltlose Mann ist scelisch hörig