I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 34

Fraeulein Else
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an nun n e e en
„Er lässt sich das heimliche Netz nicht überwerfen, weiss sie, „und es erschiene
mir als Verrat, ihn zu umschleichen“ — aber da sie die Bürgerlichkeit ringsum
zuweilen übermächtig werden sieht, erliegt sie doch der Ungeduld und wird
nungen um sich zieht“. Georg ist in seiner Liebe ihr nah und fern zugleich,
da er die frühe Seßhaftigkeit, um ihre Gefahren wissend, fürchtet. Von der Mar¬
chesa Leopardi freilich, einer mondänen Faschistin voll gebändigter Leiden¬
schaftlichkeit, fühlt er stärkeren Zauber ausgehen, ihr, weiss er, könnte er seine
Freiheit opfern, aber sie entgleitet ihm. Am wohlsten aber fühlt er sich in der
Nähe seiner Schwester Henriette, eines süßen und warmen, pflanzenhaften
Geschöpfes. Er kann, er darf sich nicht festsetzen; lern- und wagniswillig
(„seine Neugierde galt dem Menschen“'), muss er in Freiheit lernen, um an
der Welt zu wachsen und zu reifen. Und es ist ein Symbol dieser Freiheit,
dass er am Schluss verschwindet und verschollen bleibt. — Knapp, aber scharf
umrissen sind in dem Roman einige ständische Vertreter. Die schlesische Guts¬
besitzer- und Industriellenfamilie Huschek, mit der Georg befreundet ist: der
alte Huschek, der sich fragt: „Wo ist der Punkt, wo aus soliden Grundsätzen
Rückständigkeit wird?“; der junge Huschek, der von sich bekennen kann:
„Für die Schwarzen bin ich rot gefärbt, für die Roten weiss, welches Elend“.
Dann der Major von Regnitz, der deutschen Republik fremd und feind, im
Menschlichen ehrenwert, aber von der Geschichte schon überholter Typus,
der in tiefer Scham über die Enthüllungen vom Hofe des letzten Wilhelm
sagen muss: „Man hat das scheußliche Gefühl, treuer, einfacher, männlicher
und offen gesagt besser zu sein als die, deren Sache man führte“. Mit wenigen,
allzuwenigen Strichen ist Reynal umrissen, der wahrhaft geistige Mensch
(„kein Kleinbürger des Geistes“), erfüllt von asiatisch-herbheller Frömmigkeit,
die „aus der Sphäre der Gegensätze herausgetreten.
Flakes erzählende Werke hängen aufs innigste mit seinen kritischen zu¬
sammen, deren bedeutendste Das neuantike Weltbild und Die Unvollendbarkeit
der Welt sind. Darum ist es wohl erforderlich, seine geistige Einstellung über¬
haupt mit einigen Sätzen zu kennzeichnen. Er geht davon aus, dass alle Bin¬
dungen und Gültigkeiten unterwühlt sind, so dass nichts mehr unbezweifelbar,
unverbrüchlich in sich ruht. Töricht und unfruchtbar, diesen notwendigen
Schicksalsweg zu bejammern, noch törichter und gefährlicher und letzten
Endes hoffnungslos, finster-gewalttätige Rückkehr u predigen. Vorbei die
bürgerliche Harmonie der unbedingt-ewigen Wertungen. Der Relativität aller
Ordnungen allezeit gewiss, gilt es wagniswillige Lebensfrommheit sich zu er¬
ringen und alle Spannungen auszuhalten und zu bewältigen: unpathetischer
Heroismus. „Das Leben bejahen heißt nicht, es bürgerlich regulieren, sondern
gegen den Pessimismus des Religiösen behaupten. Flake kommt zu einer
dogmenlosen Religiosität, die keine romantische Umkehr zu irgend einem ab¬
getanen Absoluten zulässt — er ist über christliche Wertungen, christliche Hal¬
tung hinweg in eine neue, noch namenlose Sphäre getreten, für die „neuantik
ein vorläufiges, unzulängliches Wortsymbol ist, — zu einer Religiosität, welche
die allzu wirklichkeitsgläubige, optimistische Aufklärung, den selbstsicheren,
demutfeindlichen, die Dämonie des Lebens leugnenden Rationalismus dämpft.
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