I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 40

Else
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eretenenenetenenen enenesene a
second empire“. Es ist ein meisterlicher Roman, der weitaus beste Heinrich
Manns, ein klar und streng gebautes Werk, in dem alles Einzelgeschehen, alle
beunruhigenden Einzelreize der farbigen Sonderwelten dem Ganzen, der Idee
eingeordnet sind: reife Frucht einer hohen Willensdisziplin, da eine ursprüng¬
lich analytisch-diskursive Natur sich zur Gestaltenschau erzieht und die dia¬
lektische Idee zum Bilde zwingt; ein Werk höchster Sprachzucht, dessen Dialog
herrisch konzentriert, geistig überwahr und zugleich sinnlich, dessen Prosa
ohne Lyrismen, unerbittlich in der logischen Leidenschaft und farbenstark ist
und einen Rhythmus voll expressiver Wucht und kühner Übersteigerungen hat
es ist, neben der freilich ganz anderen Prosa Thomas Manns, die beste
nachnietzschische.
In letzter Ironie gegen die bürgerliche Zivilisation, dem Kommenden leiden¬
schaftlich dienend, stellt Heinrich Mann die tief unechte und menschenfeind¬
liche wilhelminische Epoche dar, die Epoche militaristisch-industriellen Ge¬
waltrausches und schamlosesten, die Volksseele verfälschenden und vergif¬
tenden Widergeistes, die Epoche bitterer Unfruchtbarkeit und Hoffnungslosig¬
keit in allen Triumphen und Orgien des Erwerbs und Genusses, der Gier und
Lüge: Leerlauf und Abtanz und das Chaos am Ende, da die Zeit erfüllt ist.
Klaus Terra und Wolf Mangolf, die beiden in Liebeshass verbundenen Freunde,
jener aus großbürgerlicher, ewiger Ordnung gewisser, dieser aus kleinbürger¬
licher Sphäre herkommend, sind die Zwanzigjährigen von 1890, pathetisch und
voll bedrängter Leidenschaftlichkeit, Mangolf jedoch schon ein wenig wirklich¬
keitsnäher, nüchterner als der hochfliegende Terra. Früh streben sie über die
Bürgerlichkeit hinaus, über die sie beide sich im klaren sind, Terra noch schau¬
dernd, Mangolf schon realistisch-gefasst. Man höre das kontrapunktische,
unbedingte Gespräch der Zwanzigjährigen (sie wechseln immer wieder solche
Repliken, ihr Leben lang, in immer „unerbittlicherer“ Freundschaft):
Mangolj: „Wer die Macht hat, dem glaubt man.
Terra: „Dann darf es keine Macht geben.
Mangolf: „Sie ist aber da. Und jeder will sie mitgenießen.
Terra: „Du sinnst Verrat.
Mangolf: „Du schwörst auf die Vernunft. Aber das Unvernünftige sitzt
in uns allen viel tiefer, und in der Welt bewirkt es viel mehr.
Terra: „Sauber muss es aussehen in so einem.
Mangolf: „Ich verachte deine Sauberkeit. Das Wissen erwirbt sich erst in
Abgründen, die nicht sauber sind. Was weißt du vom Leiden.
Und jeder weissagt dem andern, dass er schlimm enden werde: der eine wegen
seiner vergewaltigten, der andere wegen seiner unbefleckten Vernunft. Mit
Augen voller Glut und Hass stehen sie einander gegenüber — wie einst ihre
Urgroßväter, sie wissen es, da einer den andern (in dem kurzen Vorspiel des
Romans) um des Geldes willen erwürgte: ihnen aber, den jungen Radikalen,
ist es um den „Geist“ zu tun. Sie geraten auseinander. Mangolf, der sich von
seiner Jugendliebe, der Schwester des andern, getrennt hat („Erfolg haben
ist seine Losung, es ist die Losung eines ganzen Geschlechtes), kämpft sich
nach oben, in einem jahrelangen, zähen, rechnenden, heuchlerischen, hass¬
und selbsthassvollen Kampf hinaus über das Gelichter. Fern, ausgemerzt der
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