I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 42

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gehetzter Anwalt, bewirbt sich auf Veranlassung des Reichskanzlers, der in den
einzelnen Parteien seine Freunde sitzen haben will, um ein Reichstagsmandat
und spricht als frei-konservativer Abgeordneter bald über den „wesenlosen,
verwirrenden und schwächenden Begriff der Freiheit, der politischen Freiheit
und von der „Unvermeidbarkeit des kommenden Krieges, der das herrlichste
Erlebnis unseres Volkes werden muss . Der Krieg! Graf Lannas betont immer:
„Das Kaiserreich ist der Friede“, und hört sich selbstgefällig den „Staatsmann
der Zivilisation“ nennen. Er gebärdet sich bürgerlich, nicht militaristisch
die Flotte freilich muss ausgebaut werden, und im Reichstag rechnet er, großer
Staatsmannn, mit England ab, mit englischer Hinterlist, die Deutschland in ein
Bündnis locken will. Ein Skeptiker, der zäh um die Macht kämpft und sich für
besonders schlau und gewandt hält, sieht er über das Land völlig klar: Erfolg
ist die Losung, und wo man nicht dabei ist, ist es schon ein Misserfolg. Will
er sich an der Macht halten, muss er Erfolge suchen, obwohl er die Konse¬
quenzen voraussieht und fürchtet. Man fordert heraus und schreckt vor dem
Ernstfall zurück: das ist das System Lannas. Unterstaatssekretär Mangolf darf
sagen: „Unsere Politik? Keine Ahnung. Ihr Kurs wird immer planloser, je
näher man steht. Ihr Geheimnis ist aber, dass sie kein Ziel hat. Wer dies heraus
hat, den befördert mein Chef. Ein Ziel jedoch gibt es: jeder will sich an der
Macht halten und immer mächtiger werden. Mangolf, lebensfroh sich gebend,
aber innerlich von Machtrausch zerwühlt, ausgehöhlt von Ehrgeiz, scheuen
Hass in den Augen, intrigiert, um Staatssekretär zu werden: welche ertötenden
Berechnungen, Schmeicheleien, Hinterlisten! Er wird hinaufkriechen, wenn
er sich nicht hinaufkämpfen kann. Und Terra? Terra, der einst dem Kriegs¬
industriellen Knack zugerufen hat: „Sie verkaufen Ihre menschenfreundlichen
Erzeugnisse mit gleicher Bereitwilligkeit an fremde Diplomate wie an inlän¬
dische Generäle“, wird Syndikus der Unternehmungen Knacks und Leiter
seines Spionage- und Bestechungsbureaus. „Das ist das Ende meiner Geistes¬
kämpfe“, sagt er mit großem dramatischen Akzent, und „wir sind, was wir
übrigens mit ihr vorhaben, Nutznießer der bestehenden Gesellschaftsordnung

Diese Gesellschaftsordnung ist die militaristisch-schwerindustrielle, jene Ord¬
nung, welche die Kinder- und Frauenarbeit nicht eingeschränkt wissen will
aus Achtung vor der Selbstbestimmung des Menschen, welche die Ablehnung
einer Militärvorlage im Reichstag ein „Versagen des nationalen Gewissens
nennt und welcher der alldeutsche Verband den neuen deutschen Geist re¬
präsentiert. Graf Lannas, herausfordernd und vor dem Ernstfall zurück¬
schreckend, sieht, ohnmächtig und skeptisch, die Kriegsindustrie die Herrm
des Staates werden. „Es ist eine junge Schichte“, sagt er zum Abgeordneten
Terra. „Von unserer Skepsis hat sie noch nichts. Sie glaubt unbedingt an ihr
Geld, — während wir schon nicht mehr ganz an unsere Macht glauben. Erweiß,
übrigens nicht sonderlich berührt davon, dass der Feudalismus bald stürzen
wird; aber was dann kommt, wird noch viel schrecklicher sein. (Was er vor¬
aussagt, den „Industrie-Absolutismus, Demokratie genannt“, hat Heinrich
Mann in der kürzlich veröffentlichten Groteske Kobes zum expressionistischen
Bilde gezwungen. Er gibt dari, stark zusammengedrängt, den Mythos von den
überlebensgroßen Wirtschaftshyänen, deren Wahl- und Wahrspruch lautet:
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