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31. Fraeulein Else
Berliner Morgenpost
Ausschnitt aus der Nummer vom:
Arthur Schuißler-Abend
im Reichstag.
Der Verband Deutscher Erzähler
pflegt für seine Dichter=Abende gewöhnlich als
angestammten Schauplatz das Hertenhaus zu
wählen. Es war zu klein für den Andrang, der
dem jüngsten, Arthur Schnitzler, gewidmeten
Abend galt, dem Elisabeth Bergner ihre Mit¬
wirkung zu leihen versprochen hatte. Der Name
dieser Schauspielerin stellt ja doch höchste Er¬
füllung geistiger Genußfreudigkeit in sichere
Aussicht. Schlicht und doch niemals karg im
wechselnd bewegten Ausdruck, den feinsten Ge¬
fühlsschwingungen einer jungen Dame unserer
Zeit mit intensinstem seelischen Miterleben be¬
hutsam nachspürend, las sie Schnitzlers Mono¬
lognovelle „Fräulein Else“. Dieses skeptische
Kind des zwanzigsten Jahrhunderts wird vor
den Konflikt gestellt, durch Preisgabe ihrer
Neuschheit den Vater aus einer schwierigen,
durch seine Spielleidenschaft herbeigeführten
Situation zu retten. Sie geht, so gut wie
irgendein junges Mädchen anderer, früherer
unkom lizierterer Zeitläufte, an diesem Konflikt
zugrunde. Ihr schmerzloses Hinüberdämmern,
nachdem sie die letzte Konsequenz gezogen
und den freigewählten Tod gesucht hat, gewann
in der hinreißenden Wiedergahe durch Elisabeth
Bergner eine erschütternd stille Kraft mädchen¬
haften Märtyrertums.
Endlosei Beifall entlud sich danach seher die
weißgekleidete, vielgeliebte Künstlerin.
##thur Schnitzler selbst brachte den zweiten
Beitrag des reichen Abends. Seine (ältere) No¬
velle „Leutnant Gustl“, gleichfalls ein Meister¬
werk in der geschlossenen Form, der Konzen¬
tration des Stoffes, nahm in seinem sachlich
unaufdringlichen Vortrag #inz persönliches,
von äußerster Wahrheit erfülltes Leben an
Leutnant Gustl ist ein Typ, keine Individua¬
lität, Dünkel, Unbildung, Ueberheblichkeit und
Raufboldtum gewisser militärischer Kreise vor
dem Krieg treten hier erschreckend und unbe¬
schönigt klar zutage. Kein schönes Bild, aber
ein volles Kunstwerk!
Wieder dröhnte der Reichstagssaal lange
von dem Geprassel klatschender Hände, denn
dieser österreichische, deutsche Dichter und sein
gesamtes Werk steht jedem einzelnen nahe, der
ihn zu sehen und zu grüßen gekommen war.
zer.“
Berliner Börsen-Courier
b 1926
Arthur=Schnitzler=Abend.
Verband Deutscher Erzähler.
Zu einem Arthur=Schnitzler=Abend
atte der Verband Deutscher Erzähler diesmal
m Plenarsaale des Reichstages ein großes
Auditorium versammelt, das unter anderem
Schnitzlers Novelle „Fräulein Else“ von Elisa¬
brth Bergner hören wollte. „Fräulein
Else“ — man kennt diese Erzählung, auf ihre
Weise ein Bravour= und Meisterstück des
späten Schnitzler, in welchem die psychologische
Methode des Dichters, Querschnitte zu legen,
aus dem Detail zu sammeln, das Ungeordnete
aus seinen Widersprüchen zu entfalten und
nese, heimlich oder offen, dem Vergleiche
preiszugeben, ihre besondere Vollkommenheit
erreicht und zu Ende führt. Fräulein Else —
das ist die Tochter eines späten, sich selbst auf¬
##enden Bürgertums, die, indem sie glaubt,
im die Rettung ihres Vaters zu kämpfen, der
ine Defraudation von Mündelgeldern be¬
ungen hat, um ihre Keuschheit kämpft, und
ndem sie glaubt, um ihre Keuschheit zu
ampfen, mit ihren Trieben im Streite
liegt, und indem sie mit ihren Trieben
aber die Schichten von Impulsen und Mo¬
tiven liegen, steigend und fallend, über= und
untereinander, verqueren, vermengen sich in
hr. So erscheint Elsens Bild im Umriß: ein
schöner, zärtlicher Adel und eine empfundene,
fast schon gewußte Nichtigkeit, die nach Selbst¬
vernichtung drängt und, seltsam, vielleicht
„Fräulein
mit jenem identisch ist.
Eise“ ist eine „monologische Novelle“, die Tech¬
nit des — gewissermaßen motorisch weiterleiten¬
den — Selbstgesprächs, die Schnitzler schon ein
Vierteljahrhundert früher in „Leutnant Gustl
angewendet hatte, ist hier neu wieder aufge¬
nommen. Etwa, könnte man sagen, wie der
Psychegnalytiker aus den vom Unbewußten
her heraufsteigenden Einfällen des Patienten
ein psychologisches Bild zusammensetzt, wird
hier aus der Vielfalt von Erinnerungen und
Assoziationen Figur und Umwelt heraus¬
gebilget. Freilich wäre die Technik der mono¬
logischen Novelle nicht überall verwendbar, sie
setzt Charaktere voraus, die in der Reflexion
des Selbstgespräches nun auch wirklich leben,
im selbstqnälerischen Rückblick auf sich selbst,
oder Katastrophennaturen, die, in einer letzten
Erhöhung, der Traum, den sie von sich selber
träumen, bezaubert und sie zerstört, indem er
sie bezaubert. Arthur Schnitzler las an seinem
Abend persönlich jene Novelle vom „Leutnant
Gustl“, die technische Vorgängerin von „Fräu¬
lein Else, in der mit der Figur des kleinen
Leutnants nicht nur dessen eigene hypochon¬
drische Katastrophe (sie ist eine, trotz des mun¬
tern Ausgangs), sondern in scharfer Verkür¬
zung zugleich die Gesellschaftsschicht, der er an¬
gehört, mit früher Beherrschung der Mitel dar¬
gestellt wird.
„Fräulein Else“ also wurde von Elisabeth
Bergner gelesen. Eine große Rezitations¬
aufgabe, in der irgendwie die Impulse und
Erregungen der großen Rolle stecken. Sie will
angefaßt, streng gearbeitet und in allen
Nuancen bestimmt und ausgewogen sein, soll
nicht Elsens Charakter in — bald nicht mehr
überblickbare — Einzelzüge aufgelöst werden.
Elisabeth Bergner scheint das mit Klar¬
heit empfunden zu haben, hielt sich un¬
S
31. Fraeulein Else
Berliner Morgenpost
Ausschnitt aus der Nummer vom:
Arthur Schuißler-Abend
im Reichstag.
Der Verband Deutscher Erzähler
pflegt für seine Dichter=Abende gewöhnlich als
angestammten Schauplatz das Hertenhaus zu
wählen. Es war zu klein für den Andrang, der
dem jüngsten, Arthur Schnitzler, gewidmeten
Abend galt, dem Elisabeth Bergner ihre Mit¬
wirkung zu leihen versprochen hatte. Der Name
dieser Schauspielerin stellt ja doch höchste Er¬
füllung geistiger Genußfreudigkeit in sichere
Aussicht. Schlicht und doch niemals karg im
wechselnd bewegten Ausdruck, den feinsten Ge¬
fühlsschwingungen einer jungen Dame unserer
Zeit mit intensinstem seelischen Miterleben be¬
hutsam nachspürend, las sie Schnitzlers Mono¬
lognovelle „Fräulein Else“. Dieses skeptische
Kind des zwanzigsten Jahrhunderts wird vor
den Konflikt gestellt, durch Preisgabe ihrer
Neuschheit den Vater aus einer schwierigen,
durch seine Spielleidenschaft herbeigeführten
Situation zu retten. Sie geht, so gut wie
irgendein junges Mädchen anderer, früherer
unkom lizierterer Zeitläufte, an diesem Konflikt
zugrunde. Ihr schmerzloses Hinüberdämmern,
nachdem sie die letzte Konsequenz gezogen
und den freigewählten Tod gesucht hat, gewann
in der hinreißenden Wiedergahe durch Elisabeth
Bergner eine erschütternd stille Kraft mädchen¬
haften Märtyrertums.
Endlosei Beifall entlud sich danach seher die
weißgekleidete, vielgeliebte Künstlerin.
##thur Schnitzler selbst brachte den zweiten
Beitrag des reichen Abends. Seine (ältere) No¬
velle „Leutnant Gustl“, gleichfalls ein Meister¬
werk in der geschlossenen Form, der Konzen¬
tration des Stoffes, nahm in seinem sachlich
unaufdringlichen Vortrag #inz persönliches,
von äußerster Wahrheit erfülltes Leben an
Leutnant Gustl ist ein Typ, keine Individua¬
lität, Dünkel, Unbildung, Ueberheblichkeit und
Raufboldtum gewisser militärischer Kreise vor
dem Krieg treten hier erschreckend und unbe¬
schönigt klar zutage. Kein schönes Bild, aber
ein volles Kunstwerk!
Wieder dröhnte der Reichstagssaal lange
von dem Geprassel klatschender Hände, denn
dieser österreichische, deutsche Dichter und sein
gesamtes Werk steht jedem einzelnen nahe, der
ihn zu sehen und zu grüßen gekommen war.
zer.“
Berliner Börsen-Courier
b 1926
Arthur=Schnitzler=Abend.
Verband Deutscher Erzähler.
Zu einem Arthur=Schnitzler=Abend
atte der Verband Deutscher Erzähler diesmal
m Plenarsaale des Reichstages ein großes
Auditorium versammelt, das unter anderem
Schnitzlers Novelle „Fräulein Else“ von Elisa¬
brth Bergner hören wollte. „Fräulein
Else“ — man kennt diese Erzählung, auf ihre
Weise ein Bravour= und Meisterstück des
späten Schnitzler, in welchem die psychologische
Methode des Dichters, Querschnitte zu legen,
aus dem Detail zu sammeln, das Ungeordnete
aus seinen Widersprüchen zu entfalten und
nese, heimlich oder offen, dem Vergleiche
preiszugeben, ihre besondere Vollkommenheit
erreicht und zu Ende führt. Fräulein Else —
das ist die Tochter eines späten, sich selbst auf¬
##enden Bürgertums, die, indem sie glaubt,
im die Rettung ihres Vaters zu kämpfen, der
ine Defraudation von Mündelgeldern be¬
ungen hat, um ihre Keuschheit kämpft, und
ndem sie glaubt, um ihre Keuschheit zu
ampfen, mit ihren Trieben im Streite
liegt, und indem sie mit ihren Trieben
aber die Schichten von Impulsen und Mo¬
tiven liegen, steigend und fallend, über= und
untereinander, verqueren, vermengen sich in
hr. So erscheint Elsens Bild im Umriß: ein
schöner, zärtlicher Adel und eine empfundene,
fast schon gewußte Nichtigkeit, die nach Selbst¬
vernichtung drängt und, seltsam, vielleicht
„Fräulein
mit jenem identisch ist.
Eise“ ist eine „monologische Novelle“, die Tech¬
nit des — gewissermaßen motorisch weiterleiten¬
den — Selbstgesprächs, die Schnitzler schon ein
Vierteljahrhundert früher in „Leutnant Gustl
angewendet hatte, ist hier neu wieder aufge¬
nommen. Etwa, könnte man sagen, wie der
Psychegnalytiker aus den vom Unbewußten
her heraufsteigenden Einfällen des Patienten
ein psychologisches Bild zusammensetzt, wird
hier aus der Vielfalt von Erinnerungen und
Assoziationen Figur und Umwelt heraus¬
gebilget. Freilich wäre die Technik der mono¬
logischen Novelle nicht überall verwendbar, sie
setzt Charaktere voraus, die in der Reflexion
des Selbstgespräches nun auch wirklich leben,
im selbstqnälerischen Rückblick auf sich selbst,
oder Katastrophennaturen, die, in einer letzten
Erhöhung, der Traum, den sie von sich selber
träumen, bezaubert und sie zerstört, indem er
sie bezaubert. Arthur Schnitzler las an seinem
Abend persönlich jene Novelle vom „Leutnant
Gustl“, die technische Vorgängerin von „Fräu¬
lein Else, in der mit der Figur des kleinen
Leutnants nicht nur dessen eigene hypochon¬
drische Katastrophe (sie ist eine, trotz des mun¬
tern Ausgangs), sondern in scharfer Verkür¬
zung zugleich die Gesellschaftsschicht, der er an¬
gehört, mit früher Beherrschung der Mitel dar¬
gestellt wird.
„Fräulein Else“ also wurde von Elisabeth
Bergner gelesen. Eine große Rezitations¬
aufgabe, in der irgendwie die Impulse und
Erregungen der großen Rolle stecken. Sie will
angefaßt, streng gearbeitet und in allen
Nuancen bestimmt und ausgewogen sein, soll
nicht Elsens Charakter in — bald nicht mehr
überblickbare — Einzelzüge aufgelöst werden.
Elisabeth Bergner scheint das mit Klar¬
heit empfunden zu haben, hielt sich un¬
S