nete
ein Detail zu sammeln, das
aus seinen Widersprüchen zu entfalten und
diese, heimlich oder offen, dem Vergleiche
preiszugeben, ihre besondere Vollkommenheit
rreicht und zu Ende führt. Fräulein Else —
das ist die Tochter eines späien, sich selbst auf¬
serenden Bürgertums, die, indem sie glaubt,
im die Reitung ihres Vaters zu kämpfen, der
ine Defraudation von Mündelgeldern be¬
angen hat, um ihre Keuschheit kämpft, und
ndem sie glaubt, um ihre Keuschheit zu
ampfen, mit ihren Trieben im Streite
liegt, und indem sie mit ihren Trieben
aber die Schichten von Impulsen und Mo¬
tiven liegen, steigend und fallend, über= und
untereinander, verqueren, vermengen sich in
ihr. So erscheint Elsens Bild im Umriß: ein
schöner, zärtlicher Adel und eine empfundene,
ast schon gewußte Nichtigkeit, die nach Selbst¬
vernichtung drängt und, seltsam, vielleicht
mit jenem identisch ist. „Fräulein
Fer
Eise“ ist eine „monologische Novelle“, die Tech¬
nit des — gewissermaßen motorisch weiterleiten¬
den — Selbstgesprächs, die Schnitzler schon ein
Vierteljahrhundert früher in „Leutnant Gustl“
angewendet hatte, ist hier neu wieder aufge¬
nommon. Etwa, könnte man sagen, wie der
Psychoanalytiker aus den vom Unbewußten
her heraufsteigenden Einfällen des Patienten
ein psychologisches Bild zusammensetzt, wird
hier aus der Vielfalt von Erinnerungen und
Assoziationen Figur und Umwelt heraus¬
gebildet. Freilich wäre die Technik der mono¬
logischen Novelle nicht überall verwendbar, sie
setzt Eharaktere voraus, die in der Reflexion
des Selbstgespräches nun auch wirklich leben,
im selbstan erischen Rückblick auf sich selbst,
oder Katastrophennaturen, die, in einer letzten
Erhöhung, der Traum, den sie von sich selber
träumen, bezaubert und sie zerstört, indem er
sie bezaubert. Arthur Schnitzler las an seinem
Abend persönlich jene Novelle vom „Leutnant
Gustl“ die technische Vorgängerin von „Fräu¬
ein Else, in der mit der Figur des kleinen
Leutnants nicht nur dessen eigene hypochon¬
drische Katastrophe (sie ist eine, trotz des mun¬
tern Ausgangs), sondern in scharfer Verkür¬
zung zugleich die Gesellschaftsschicht, der er an¬
gehört, mit früher Beherrschung der Mitel dar¬
gestellt wird.
„Fräulein Else“ also wurde von Elisabeth
Bergner gelesen. Eine große Rezitations¬
aufgabe, in der irgendwie die Impulse und
Ernegungen der großen Rolle stecken. Sie will
angefaßt, streng gearbeitet und in allen
Nuancen bestimmt und ausgewogen sein, soll
nicht Elsens Charakter in — bald nicht mehr
überblickbare — Einzelzüge aufgelöst werden.
Elisabeth Bergner scheint das mit Klar¬
heit empfunden zu haben, hielt sich un¬
verführt durch die schauspielerische Gelegenheit,
legte das Gewicht auf Gliederung und erzähle¬
rischen Fluß. Dabei vereinfachte sich Else
vielleicht allzu sehr, sie hat ja nicht nur
Unschuld, sondern auch böse Einsichten, sie weiß
in ihrer Verwirrung doch, wo sie steht, wie die
Welt aussieht, in der sie lebt. Aber wenn
Elisabeth Bergner sie gradliniger nahm, als sie
st, so gewann sie damit die Freiheit, sie so
schön vor uns aufwachsen zu lassen, sie über
das Psychologische hinaus so unmittelbar und
schicksalhaft zu machen, wie es in ihrem Vor¬
Leo Greiner.
trag geschah.
Germania, Berlin
Feb. 1926
Arthur=Schnitzler=Abend. Diesmal hat der Verband
Deutscher Erxühler seine Gäste in den großen Plenarsaol
des Reichstages geladen. Und daß er recht hatte, bewies das
vollbesetzte Haus. Aber es wartete auch aller ein seltener Genuß;
Elisabeth Bergner las die Novelle vom „Fräulein
Else“, jene aus einem einzigen Selbstgespräch aufgebaute er¬
schütternde Begebenheit in irgendeinem Hotel, in dem eine
Neunzehnjährige sich für ihren Vater so seltsam opfert. Es ist
ein überaus feines Meisterstück aus Sprachkunst, Menschen¬
kenntnis und Traurigkeit.
Und die Schauspielerin wußte
schwebende Zartheit, weiblichste Verängstigung und dämmrige
Melancholie zu mischen zu einer Verlebendigung, die in allen
sichtliche Wirkung hinterließ. Immer und immer wieder wurde
sie herausgeklatscht. — Dann nahm der Dichter selbst das Wort
und las seinen „Leutnant Gustl“ diese sanfte Ironie auf
einen Ehrwütigen. Was Schnitzler an Vortragsvermögen ab¬
geht, ersetzt sein Wiener Humor, der Reihe für Reihe die warme
Färbung des singenden Dialektes unterschwingt. Auch er konnte
den reichen Dank seiner Hörer, unter denen sich hohe Gäste
befanden, entgegennehmen.
H. Behm.
Berliner Allgemeine Zeitung
an M
Arthur Schnitzler-A
Rei
Der Verband Deutscher Erzähl¬
pflegt für seine Dichter=Abende gewöhnlich als
angestammten Schauplatz das Herrenhaus zu
wählen. Es war zu klein für den Andrang, der
dem jüngsten, Ar.fur Schnitzler, gewidmeten
Abend galt, dem Elisabeh Bergner ihre Mit¬
wirkung zu leihen versprochen hatte. Der Name
dieser Schauspielerin stellt ja doch höchste Er¬
füllung geistiger Genußfreudigkeit in sichere
Aussicht. Schlicht und doch niemls karg im
wechselnd bewegten Ausdruck, den feitsten Ge¬
fühlsschwingungen einer jungen Dame unserer
Zeit mit intensivstem seelischen Miterleben be¬
hutsam nachspürend, las sie Schnitzlers Mono¬
lognovelle „Fräulein Else“. Dieses skeptische
Kind des zwanzigsten Jahrhunderts wird vor
den Konslikt #estellt, durch Preisgabe ihrer
Keuschhei den Vater aus einer schwietigen,
durch seine Spielleidenschaft herbeigeführten
Situation zu retten. Sie geht, so gut wie
irgendein junges Mädchen anderer, früherer
unkomplizierterer Zeitläufte, an diesem Konflikt
zugrunde. Ihr schmerzloses Hinüberdämmern,
nachdem sie die letzte Konsequenz gezogen
und den freigewählten Tod gesucht hat, gewann
in der hinreißenden Wiedergabe durch Elisabeth
Bergner eine erschütternd stille Kraft mädchen¬
haften Märtyrertums.
Endloser Beifall entlud sich danach über die
weißgekleidete, vielgeliebte Künstlerin.
Arthur Schnitzler selbst brachte den zweiten
Beitrag des reichen Abends. Seine (ältere) No¬
velle „Leutnant Gustl“, gleichfalls ein Meister¬
werk in der #eschlossenen Form, der Konzen¬
tration des Stoffes, nahm in seinem sachlich
unaufdringlichen Vortrag ganz persönliches,
von äußerster Wahrheit erfülltes Leben an.
Leutnant Gustl ist ein Typ, keine Indinihua¬
lität, Dünkel, Unbildung. Ueberheblichkeit und
Raufboldtum gewisser militärischer Kreise vor
dem Krieg treten hier erschreckend und unbe¬
schönigt klar zutage. Kein schönes Bild, aber
ein volles Kunstwerk!
Wieder dröhnte der Reichstagssaol lange
von dem Geprassel
klatschender Hände, denn
dieser österreichische,
deutsche Dichter und sein
ein Detail zu sammeln, das
aus seinen Widersprüchen zu entfalten und
diese, heimlich oder offen, dem Vergleiche
preiszugeben, ihre besondere Vollkommenheit
rreicht und zu Ende führt. Fräulein Else —
das ist die Tochter eines späien, sich selbst auf¬
serenden Bürgertums, die, indem sie glaubt,
im die Reitung ihres Vaters zu kämpfen, der
ine Defraudation von Mündelgeldern be¬
angen hat, um ihre Keuschheit kämpft, und
ndem sie glaubt, um ihre Keuschheit zu
ampfen, mit ihren Trieben im Streite
liegt, und indem sie mit ihren Trieben
aber die Schichten von Impulsen und Mo¬
tiven liegen, steigend und fallend, über= und
untereinander, verqueren, vermengen sich in
ihr. So erscheint Elsens Bild im Umriß: ein
schöner, zärtlicher Adel und eine empfundene,
ast schon gewußte Nichtigkeit, die nach Selbst¬
vernichtung drängt und, seltsam, vielleicht
mit jenem identisch ist. „Fräulein
Fer
Eise“ ist eine „monologische Novelle“, die Tech¬
nit des — gewissermaßen motorisch weiterleiten¬
den — Selbstgesprächs, die Schnitzler schon ein
Vierteljahrhundert früher in „Leutnant Gustl“
angewendet hatte, ist hier neu wieder aufge¬
nommon. Etwa, könnte man sagen, wie der
Psychoanalytiker aus den vom Unbewußten
her heraufsteigenden Einfällen des Patienten
ein psychologisches Bild zusammensetzt, wird
hier aus der Vielfalt von Erinnerungen und
Assoziationen Figur und Umwelt heraus¬
gebildet. Freilich wäre die Technik der mono¬
logischen Novelle nicht überall verwendbar, sie
setzt Eharaktere voraus, die in der Reflexion
des Selbstgespräches nun auch wirklich leben,
im selbstan erischen Rückblick auf sich selbst,
oder Katastrophennaturen, die, in einer letzten
Erhöhung, der Traum, den sie von sich selber
träumen, bezaubert und sie zerstört, indem er
sie bezaubert. Arthur Schnitzler las an seinem
Abend persönlich jene Novelle vom „Leutnant
Gustl“ die technische Vorgängerin von „Fräu¬
ein Else, in der mit der Figur des kleinen
Leutnants nicht nur dessen eigene hypochon¬
drische Katastrophe (sie ist eine, trotz des mun¬
tern Ausgangs), sondern in scharfer Verkür¬
zung zugleich die Gesellschaftsschicht, der er an¬
gehört, mit früher Beherrschung der Mitel dar¬
gestellt wird.
„Fräulein Else“ also wurde von Elisabeth
Bergner gelesen. Eine große Rezitations¬
aufgabe, in der irgendwie die Impulse und
Ernegungen der großen Rolle stecken. Sie will
angefaßt, streng gearbeitet und in allen
Nuancen bestimmt und ausgewogen sein, soll
nicht Elsens Charakter in — bald nicht mehr
überblickbare — Einzelzüge aufgelöst werden.
Elisabeth Bergner scheint das mit Klar¬
heit empfunden zu haben, hielt sich un¬
verführt durch die schauspielerische Gelegenheit,
legte das Gewicht auf Gliederung und erzähle¬
rischen Fluß. Dabei vereinfachte sich Else
vielleicht allzu sehr, sie hat ja nicht nur
Unschuld, sondern auch böse Einsichten, sie weiß
in ihrer Verwirrung doch, wo sie steht, wie die
Welt aussieht, in der sie lebt. Aber wenn
Elisabeth Bergner sie gradliniger nahm, als sie
st, so gewann sie damit die Freiheit, sie so
schön vor uns aufwachsen zu lassen, sie über
das Psychologische hinaus so unmittelbar und
schicksalhaft zu machen, wie es in ihrem Vor¬
Leo Greiner.
trag geschah.
Germania, Berlin
Feb. 1926
Arthur=Schnitzler=Abend. Diesmal hat der Verband
Deutscher Erxühler seine Gäste in den großen Plenarsaol
des Reichstages geladen. Und daß er recht hatte, bewies das
vollbesetzte Haus. Aber es wartete auch aller ein seltener Genuß;
Elisabeth Bergner las die Novelle vom „Fräulein
Else“, jene aus einem einzigen Selbstgespräch aufgebaute er¬
schütternde Begebenheit in irgendeinem Hotel, in dem eine
Neunzehnjährige sich für ihren Vater so seltsam opfert. Es ist
ein überaus feines Meisterstück aus Sprachkunst, Menschen¬
kenntnis und Traurigkeit.
Und die Schauspielerin wußte
schwebende Zartheit, weiblichste Verängstigung und dämmrige
Melancholie zu mischen zu einer Verlebendigung, die in allen
sichtliche Wirkung hinterließ. Immer und immer wieder wurde
sie herausgeklatscht. — Dann nahm der Dichter selbst das Wort
und las seinen „Leutnant Gustl“ diese sanfte Ironie auf
einen Ehrwütigen. Was Schnitzler an Vortragsvermögen ab¬
geht, ersetzt sein Wiener Humor, der Reihe für Reihe die warme
Färbung des singenden Dialektes unterschwingt. Auch er konnte
den reichen Dank seiner Hörer, unter denen sich hohe Gäste
befanden, entgegennehmen.
H. Behm.
Berliner Allgemeine Zeitung
an M
Arthur Schnitzler-A
Rei
Der Verband Deutscher Erzähl¬
pflegt für seine Dichter=Abende gewöhnlich als
angestammten Schauplatz das Herrenhaus zu
wählen. Es war zu klein für den Andrang, der
dem jüngsten, Ar.fur Schnitzler, gewidmeten
Abend galt, dem Elisabeh Bergner ihre Mit¬
wirkung zu leihen versprochen hatte. Der Name
dieser Schauspielerin stellt ja doch höchste Er¬
füllung geistiger Genußfreudigkeit in sichere
Aussicht. Schlicht und doch niemls karg im
wechselnd bewegten Ausdruck, den feitsten Ge¬
fühlsschwingungen einer jungen Dame unserer
Zeit mit intensivstem seelischen Miterleben be¬
hutsam nachspürend, las sie Schnitzlers Mono¬
lognovelle „Fräulein Else“. Dieses skeptische
Kind des zwanzigsten Jahrhunderts wird vor
den Konslikt #estellt, durch Preisgabe ihrer
Keuschhei den Vater aus einer schwietigen,
durch seine Spielleidenschaft herbeigeführten
Situation zu retten. Sie geht, so gut wie
irgendein junges Mädchen anderer, früherer
unkomplizierterer Zeitläufte, an diesem Konflikt
zugrunde. Ihr schmerzloses Hinüberdämmern,
nachdem sie die letzte Konsequenz gezogen
und den freigewählten Tod gesucht hat, gewann
in der hinreißenden Wiedergabe durch Elisabeth
Bergner eine erschütternd stille Kraft mädchen¬
haften Märtyrertums.
Endloser Beifall entlud sich danach über die
weißgekleidete, vielgeliebte Künstlerin.
Arthur Schnitzler selbst brachte den zweiten
Beitrag des reichen Abends. Seine (ältere) No¬
velle „Leutnant Gustl“, gleichfalls ein Meister¬
werk in der #eschlossenen Form, der Konzen¬
tration des Stoffes, nahm in seinem sachlich
unaufdringlichen Vortrag ganz persönliches,
von äußerster Wahrheit erfülltes Leben an.
Leutnant Gustl ist ein Typ, keine Indinihua¬
lität, Dünkel, Unbildung. Ueberheblichkeit und
Raufboldtum gewisser militärischer Kreise vor
dem Krieg treten hier erschreckend und unbe¬
schönigt klar zutage. Kein schönes Bild, aber
ein volles Kunstwerk!
Wieder dröhnte der Reichstagssaol lange
von dem Geprassel
klatschender Hände, denn
dieser österreichische,
deutsche Dichter und sein