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31. Fraeulein Else
—
Untergang und Rettung. Nur ein Zufall entscheidet oft
darüber, ob diese Mädchen sich in eine Ehe flüchten können
oder ob sie sich verkaufen müssen. Daß heutzutage auch junge
Mädchen aus sogenannten „guten“ Häusern es nicht mehr
als Schande, es vielmehr als selbstverständliche Pflicht an¬
sehen, Beruf und Broterwerb zu haben, nimmt dem Sexual¬
problem manche Schwerfälligkeit und Tragik, doch gelöst ist
das Problem dadurch noch lange nicht. Fräulein Else, die
Tochter eines begabten, leider allzu leichtsinnigen Vaters,
muß den reichen Herrn Dorsday, der ihr nachstellt, um einen
bedeutenden Geldbetrag anbetteln. Denn nur dieses Geld
schützt den Vater vor dem Gefängnis. Der reiche Herr
Dorsday ist ein Virtuose galanter Abenteuer. Er will helfen.
Allein: auch er hat eine „Bitte“. Er wünscht Else nackt zu
ehen. Nur zu sehen. Nichts weiter. Else fühlt, wie sich der
Abgrund vor ihr öffnet. Hinunter in die schmutzige Tiefe, in
der man sie verachten darf, wird sie nimmermeht. Das weiß
sie. Ihre seelische Sauberkeit ersinnt den teuflischen Plan,
daß sie die Bedingung des reichen Herrn Dorsday erfüllt,
ihm nackt entgegentritt, im Klavierzimmer des Hotels, vor
allen Leuten. Und sich dann vergiftet.
Dann, nachher, auf ihrem Zimmer. ährend ihr
Cousin mit Frau Cissy flirtet. In dem Film jedoch, den Paul
Czinner für Elisabeth Bergner geformt hat, läßt er Fräulein
Else schon vergiftet in die Halle laufen, um sich Herrn Dors¬
day nackt zu zeigen. Filmisch und dramatisch betrachtet, hat
das Einiges für sich. Die Spannung zunächst, ob Fräulein
Else den Herrn Dorsday erreichen, ob sie seiner Bedingung
genügen kann, noch ehe das Veronal sie hinschleudert und
ähmt.
Filmisch und einer dramatischen Wirkung zuliebe hat
Paul Czinner die Voraussetzungen dieser Mädchentragödie
entrollt, hat den Luxus von Elses Elternhaus gezeigt,
als
leichtsinnig unbekümmerte Spielernatur ihres Vaters, der
der
Rechtsanwalt Mündelgelder an der Börse verspekuliert,
sich erschießen will, da ihm die Schande droht. Diesem Vater
gibt Albert Bassermann den Zauber seines Wesens, gibt ihm
die Tragik seiner edeln Züge und entschwindet bald aus dem
Film. Kurz nach dem Zusammenbruch und kurz nach der
Abreise Elses. Mit ihrer Tante und mit ihrem Cousin fährt
Else zum Wintersport nach St. Moritz. Diese Tante wird
pompös von Adele Sandrock gegeben. Doch sie hat eigentlich
nur die eine kurze Spielszene, in der sie den übergroßen Auf¬
cer) aug hier ga vertteien. Nach Dresem Gorscheng
wvand von Elses Vater abfällig kritisiert und erklärt, sie
volle mit seinen Finanzoperationen nichts zu tun haben.
Man sieht die Einkäufe, die Else für St. Moritz besorgt und
die sie durch einige Wiener Straßen führen. Man sieht ihre
Abreise vom Westbahnhof, sieht die wunderbare Schnee¬
landschaft des Engadin, Schlittschuhlaufen, Skisprünge,
Skjöring, Fünfuhrtee und Tanz im Hotel, dazwischen den
wilden Kurssturz und Börsenrummel in Wien. Aber es ent¬
steht bei aller erlesener Schönheit vieler Bilder dennoch der
Eindruck, der Film sei in seinem Streben, dramatisch zu
virken, viel epischer geworden, als Arthur Schnitzlers hoch¬
dramatische Novelle.
Dieser Eindruck steigert und versteift sich, gerade
während die letzten stärksten Geschehnisse vorüberflitzen.
Schöne, wundervoll schöne Bilder hat uns das Kino reichlich
oft gebracht. Virtuose Leistungen der von virtnosen Regisseuren
gelenkten Kameramänner. Auch die Bilder dieses Films sind
wundervoll schön. Der Durchblick auf den Kehlmarkt durchs
Michaelertor, die Berge des Engadins, die Landschaften, die
am fahrenden Expreß vorübergleiten. Da hat ein virtuoser
Regisseur virtuose Photographen gelenkt. Ohne Zweifel
Doch um die entscheidenden dramatischen Momente hat er
uns verkürzt. Was man in diesem Film zu sehen begehrt, ist
Fräulein Else. Was man sehen will, nicht genug sehen kann
und nicht genügend zu sehen kriegt, ist Elisabeth Bergner,
die das Fräulein Else spielt. Keineswegs, wie Herr Dorsday
das verlangt. Keineswegs!
Dieser Dorsday wird von einem Künstler dargestellt,
der inzwischen gestorben ist. Von Steinrück. Hier auf der
Leinwand, agiert er als Lebender unter Lebendigen. Daß
nun auch die Nachwelt dem Mimen Kränze flechten kann,
gehört zu den Errungenschaften moderner Technik, die ja
viele „ewige" Wahrheiten umstürzt. Noch hat der Sprech¬
ilm alle Hindernisse nicht besiegt. Eines Tages wird er sie
alle überwunden haben, und von diesem Tage an wird kein
großer Künstler mehr verschwinden. Aber jetzt schon im
Anblick des toten, auf dem Filmstreifen fortlebenden Stein¬
rück, kann man feststellen, daß selbst diejenigen, die ihn
nie gehört haben, seine schwere, wie mit harten Fäusten
zugreifende Stimme zu vernehmen glaubten. So wuchtig,
o mit breitschultriger Leidenschaft und mühsam gezügelter
Genießergier durchbebt, so zwingend mächtig ist sein Spiel.
Elisabeth Bergner gibt ein kindliches Mädchen, oder,
wenn man will, ein Kind, das hie und da rührend zum
schieden.
Mädchen aufwacht. Sie hat de
sie wirkt hinreißend in der eind
völliges Preisgegebensein glau
hat die Gewalt leidenschaftliche
chütternde der in letzter Desper
löschenden Kräfte. Ob die Szen
Veronal nimmt, daran sie stir
oder nachträglich weggeschnitten
diese Szene fehlt, und sie wär
wäre ein Höhepunkt der Leistun
wesen. Daß sie bei Erhalt jener
und so heftig weint, ist wohl e
ielleicht ihr eigener Irrtum.
erstarren müssen, ganz still wa
Nur durch die allerknappsten
da jenes Zerschmettertsein wirkso
der Entschluß emporringt. Hefti
her in der Unterredung mit Do
Augenblick, in dem sie seine B
Und nachher fehlt wieder — obn
die Szene, in der sie sich
nackt vor Dorsday hin zu treten
der Prostituierung von ihr fernh
ie die Kleider ablegt und zum
Rettung. Dann der letzte Augen
Dorsdays und aller Leuted
nackten, jungfräulichen Leib
Himmel, man will ja im Publi
wirklich nackt sehen. Wenn sie
kehrt, wenn eine Großaufnahm
Mantel ihr von den Schultern
Dorsdays begreifendes Entsetzen
lung wäre in ihre höchste Erfül
uimnebelt sich die Leinwand sch
vielleicht beides, vielleicht auch
zu eifrigen Schere — und mar
Wirbel durcheinanderstürzender
einem Feueralarm. Sinnreich un
Sterben, das Schlußlild: die m
Berglandschaft in ihrer imposan
alles Menschenschicksal. Dieser F
Elisabeth Bergner so stark ist wie
ich auch hier wieder einmal zeig
ist, als die Filmmacher von heut
31. Fraeulein Else
—
Untergang und Rettung. Nur ein Zufall entscheidet oft
darüber, ob diese Mädchen sich in eine Ehe flüchten können
oder ob sie sich verkaufen müssen. Daß heutzutage auch junge
Mädchen aus sogenannten „guten“ Häusern es nicht mehr
als Schande, es vielmehr als selbstverständliche Pflicht an¬
sehen, Beruf und Broterwerb zu haben, nimmt dem Sexual¬
problem manche Schwerfälligkeit und Tragik, doch gelöst ist
das Problem dadurch noch lange nicht. Fräulein Else, die
Tochter eines begabten, leider allzu leichtsinnigen Vaters,
muß den reichen Herrn Dorsday, der ihr nachstellt, um einen
bedeutenden Geldbetrag anbetteln. Denn nur dieses Geld
schützt den Vater vor dem Gefängnis. Der reiche Herr
Dorsday ist ein Virtuose galanter Abenteuer. Er will helfen.
Allein: auch er hat eine „Bitte“. Er wünscht Else nackt zu
ehen. Nur zu sehen. Nichts weiter. Else fühlt, wie sich der
Abgrund vor ihr öffnet. Hinunter in die schmutzige Tiefe, in
der man sie verachten darf, wird sie nimmermeht. Das weiß
sie. Ihre seelische Sauberkeit ersinnt den teuflischen Plan,
daß sie die Bedingung des reichen Herrn Dorsday erfüllt,
ihm nackt entgegentritt, im Klavierzimmer des Hotels, vor
allen Leuten. Und sich dann vergiftet.
Dann, nachher, auf ihrem Zimmer. ährend ihr
Cousin mit Frau Cissy flirtet. In dem Film jedoch, den Paul
Czinner für Elisabeth Bergner geformt hat, läßt er Fräulein
Else schon vergiftet in die Halle laufen, um sich Herrn Dors¬
day nackt zu zeigen. Filmisch und dramatisch betrachtet, hat
das Einiges für sich. Die Spannung zunächst, ob Fräulein
Else den Herrn Dorsday erreichen, ob sie seiner Bedingung
genügen kann, noch ehe das Veronal sie hinschleudert und
ähmt.
Filmisch und einer dramatischen Wirkung zuliebe hat
Paul Czinner die Voraussetzungen dieser Mädchentragödie
entrollt, hat den Luxus von Elses Elternhaus gezeigt,
als
leichtsinnig unbekümmerte Spielernatur ihres Vaters, der
der
Rechtsanwalt Mündelgelder an der Börse verspekuliert,
sich erschießen will, da ihm die Schande droht. Diesem Vater
gibt Albert Bassermann den Zauber seines Wesens, gibt ihm
die Tragik seiner edeln Züge und entschwindet bald aus dem
Film. Kurz nach dem Zusammenbruch und kurz nach der
Abreise Elses. Mit ihrer Tante und mit ihrem Cousin fährt
Else zum Wintersport nach St. Moritz. Diese Tante wird
pompös von Adele Sandrock gegeben. Doch sie hat eigentlich
nur die eine kurze Spielszene, in der sie den übergroßen Auf¬
cer) aug hier ga vertteien. Nach Dresem Gorscheng
wvand von Elses Vater abfällig kritisiert und erklärt, sie
volle mit seinen Finanzoperationen nichts zu tun haben.
Man sieht die Einkäufe, die Else für St. Moritz besorgt und
die sie durch einige Wiener Straßen führen. Man sieht ihre
Abreise vom Westbahnhof, sieht die wunderbare Schnee¬
landschaft des Engadin, Schlittschuhlaufen, Skisprünge,
Skjöring, Fünfuhrtee und Tanz im Hotel, dazwischen den
wilden Kurssturz und Börsenrummel in Wien. Aber es ent¬
steht bei aller erlesener Schönheit vieler Bilder dennoch der
Eindruck, der Film sei in seinem Streben, dramatisch zu
virken, viel epischer geworden, als Arthur Schnitzlers hoch¬
dramatische Novelle.
Dieser Eindruck steigert und versteift sich, gerade
während die letzten stärksten Geschehnisse vorüberflitzen.
Schöne, wundervoll schöne Bilder hat uns das Kino reichlich
oft gebracht. Virtuose Leistungen der von virtnosen Regisseuren
gelenkten Kameramänner. Auch die Bilder dieses Films sind
wundervoll schön. Der Durchblick auf den Kehlmarkt durchs
Michaelertor, die Berge des Engadins, die Landschaften, die
am fahrenden Expreß vorübergleiten. Da hat ein virtuoser
Regisseur virtuose Photographen gelenkt. Ohne Zweifel
Doch um die entscheidenden dramatischen Momente hat er
uns verkürzt. Was man in diesem Film zu sehen begehrt, ist
Fräulein Else. Was man sehen will, nicht genug sehen kann
und nicht genügend zu sehen kriegt, ist Elisabeth Bergner,
die das Fräulein Else spielt. Keineswegs, wie Herr Dorsday
das verlangt. Keineswegs!
Dieser Dorsday wird von einem Künstler dargestellt,
der inzwischen gestorben ist. Von Steinrück. Hier auf der
Leinwand, agiert er als Lebender unter Lebendigen. Daß
nun auch die Nachwelt dem Mimen Kränze flechten kann,
gehört zu den Errungenschaften moderner Technik, die ja
viele „ewige" Wahrheiten umstürzt. Noch hat der Sprech¬
ilm alle Hindernisse nicht besiegt. Eines Tages wird er sie
alle überwunden haben, und von diesem Tage an wird kein
großer Künstler mehr verschwinden. Aber jetzt schon im
Anblick des toten, auf dem Filmstreifen fortlebenden Stein¬
rück, kann man feststellen, daß selbst diejenigen, die ihn
nie gehört haben, seine schwere, wie mit harten Fäusten
zugreifende Stimme zu vernehmen glaubten. So wuchtig,
o mit breitschultriger Leidenschaft und mühsam gezügelter
Genießergier durchbebt, so zwingend mächtig ist sein Spiel.
Elisabeth Bergner gibt ein kindliches Mädchen, oder,
wenn man will, ein Kind, das hie und da rührend zum
schieden.
Mädchen aufwacht. Sie hat de
sie wirkt hinreißend in der eind
völliges Preisgegebensein glau
hat die Gewalt leidenschaftliche
chütternde der in letzter Desper
löschenden Kräfte. Ob die Szen
Veronal nimmt, daran sie stir
oder nachträglich weggeschnitten
diese Szene fehlt, und sie wär
wäre ein Höhepunkt der Leistun
wesen. Daß sie bei Erhalt jener
und so heftig weint, ist wohl e
ielleicht ihr eigener Irrtum.
erstarren müssen, ganz still wa
Nur durch die allerknappsten
da jenes Zerschmettertsein wirkso
der Entschluß emporringt. Hefti
her in der Unterredung mit Do
Augenblick, in dem sie seine B
Und nachher fehlt wieder — obn
die Szene, in der sie sich
nackt vor Dorsday hin zu treten
der Prostituierung von ihr fernh
ie die Kleider ablegt und zum
Rettung. Dann der letzte Augen
Dorsdays und aller Leuted
nackten, jungfräulichen Leib
Himmel, man will ja im Publi
wirklich nackt sehen. Wenn sie
kehrt, wenn eine Großaufnahm
Mantel ihr von den Schultern
Dorsdays begreifendes Entsetzen
lung wäre in ihre höchste Erfül
uimnebelt sich die Leinwand sch
vielleicht beides, vielleicht auch
zu eifrigen Schere — und mar
Wirbel durcheinanderstürzender
einem Feueralarm. Sinnreich un
Sterben, das Schlußlild: die m
Berglandschaft in ihrer imposan
alles Menschenschicksal. Dieser F
Elisabeth Bergner so stark ist wie
ich auch hier wieder einmal zeig
ist, als die Filmmacher von heut