I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 166

31. Fraeulein Else
„WV
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Nr. 10.080. Seite 14.
stand fast gänzlich verarmt ist und außer¬
dem 150.000 arbeitslose Familien¬
erhalter ein kümmerliches Dasein führen
müssen. Hiezu gesellen sich noch die im allge¬
meinen zu hohen Preise der täglichen, zur Er¬
nährung lebensnotwendigen Bedarfsartikel, die
wieder eine außergewöhnlich geringe Nutzen¬
spannung im Kleinhandel bedingen, wodurch der
Ertrag des Handelsbetriebes einen Tiefstand er¬
reicht hat, der zur Deckung der durch die ver¬
schiedenen Abgaben und Lasten erhöhten Regien
m den meisten Fällen kaum mehr ausreicht. Von
diesem Gesichtswinkel aus sind diese Zeilen auf¬
ufassen, welche nur den Zweck verfolgen, zunächst
den Abgebauten die nüchternen Tat¬
achen des wahren Sachverhaltes im Klein¬
handel vor Augen zu halten, dieselben vor dem
Zustram zum Handel zu warnen, gleichzeitig aber
sie vor dem drohenden Verlust ihrer
leßzten Reserven (Abbausummen) zu
chützen. Richard Diestler, Kommerzialrat, erster
Vorsteher der Genossenschaft der Handelslente
in Wien.“
Filine der Woche.
„Eesrordia“=Vorstellung im Busch=Kino.
„Fräulein Elfe.“
Die berühmte Schnitzlersche Novelle
„FräuleinElielwär zur Verfilmung be¬
sonders geeignet, denn in ihr wird die Vor¬
stellungswelt eines Menschen in seltener, auf¬
egender Bildhaftigkeit abgerollt.
Der zer¬
nurbende Seelenkampf eines jungen Mädchens,
das von Kindesliebe und Keuschheit erfüllt, nur
durch schwerstes Opfer den leichtsinnigen Vater
vor Verhaftung und Schande, wenn nicht gar
vor dem Selbstmord bewahren kann. Geld muß
sie schleunigst beschaffen, und zwar von dem
alten Wüstling Dorsday, der sein Entgelt dafür
beansprucht. Er verlangt zwar nicht, sie zu be¬
sitzen, aber er will sich an dem Anblick ihrer
Nacktheit berauschen. Else ist dem Ansturm ihrer
Empfindungen nicht gewachsen, muß daran zu¬
runde gehen. Sie begehl Selbstmord und führt
noch in ihrer letzten Stunde, besessen von den
Gedanken, die in ihrem Kopfe toben, die Szene
einer Wehnwitzigen auf. — Allererste Darsteller
des deutschen Films wurden aufgeboten, damit
die Novelle gleichwertig auf der Leinwand be¬
ebt wird. Elisabeth Bergner, die wunder¬
bare Spezialistin für seelisch Zersplitterte. Noch
umspielt ein konventionelles, ein wenig furcht¬
sames Lächeln ihren Mund, noch bewegt sie ein
wenig übermüng Kopf und Schultern. Aber
schon steigt tiefe Trauer in ihren Augen auf,
chon zucken ihre Hände nervös und fiebrig.
Schon strafft Entschluß ihren Körper zu ent¬
schiedener Gebärde und wieder erbebt sie in
ingstvollem Ueberlegen, in Erkenntnis von Hilf¬
osigkeit und Schwäche. Albert Bassermann
st der Vater, der Spekulant, der bedenkenlos
Ründelgelder veruntreut, voll optimistischer
hantasie und einer Leidenschaftlichkeit, die in
der Ratlosigkeit des Weltfremden ihren Nach¬
lang findet. Seine Augen blitzen, seine Zärtlich¬
keit ist nervös. Er spielt in Hoffnung und Ver¬
zweiffung einen Fiebernden, ein fieberndes
großes Kind. Steinrücks interessant charakte¬
risierter Dorsday ist gleicherweise abstoßend und
Mitleid erregend. Den künstlerischen Mittelpunk
des Films bildet eine ganz unerhörte Szene.
Else eilt Dorsday nach, ihm ihre Bitte um Geld
vorzuttagen. Und immer, sobald sie in seiner
Nähe ist und er sich ihr zuwendet, dreht sie sich
rasch um, um davonzugehen, besinnt sich bald
aber wieder eines anderen und folgt seinen
Schritten. Langgezogene Szene, die trotzdem noch
auf das Zehnfache ausgedehnt werden dürfte
ohne dadurch weniger zu fesseln. Hier tritt der
ganze innere Widerstreu auf das Erschütterndste
zutage. Regisseur Pau! Czinner hat mit
solchen Darstellern leichte Arbeit gehabt. Man
kann ihm durchaus nicht vorwerfen, daß er um
einer unkünstlerischen Ansicht willen das Niveau
des Films herabgedrückt hätte. Auch hat er durch
prächtige Landschafts= und Wintersportauf¬
nahmen um die in der Schweiz sich abspielend¬
4—
Ilustrierte Kionen=Zeitung.

ICasseemillel,


Tragödie einen schönen Rahmen geschlungen.
kitschi
Trotzdem ist der Film nicht ganz das geworden,
wird
vas er hätte werden können, und dies ist die
die
Schuld des Regisseurs. Er hat Unterlassungs
lusd
ünden begangen, hat es verabsäumt, Elses
eine
Visionen in ihrem wildesten Durcheinander auf¬
vähle
zuzeigen. Man hätte sehen müssen, wie es sich
von E
in Elses Kopf malt: der Vater mit dem Revolver
pielend. Die Mutter mit verweinten Augen dem
Briefträger entgegeneilend, von der Tochter be¬
ruhigende Nachricht erwarlend. Und dazwischen
menf
Dorsdays gierige Augen, sein widerlich lächeln¬
en,
1
der Mund. Und wieder der Vater, in der Zelle,
einige
im Sträflingskittel. Dann das Geld, das er¬
aufget
ösende Geld, das Dorsday aufzählt. Sie sieht
vird.
nur das Papier, dann endlich auch die Hände,
deren sinnlicher Griff ihr wieder Ekel einflößt.
Das alles hätte Czinner in packenden Bildern
aben
eigen müssen. Doch statt in Elses Gehirn hat er
tur v#
nur in ihr Gesicht geleuchtet. Auch darin war
zu üb
viel von dem inneren Drama zu lesen. Denn
Der Z
Fräuleln Else war ja Elisabeth Bergner
ten au
kunft,
„Der Leutnant Ihrer Majestät.“
Luftsch
Der Zar macht zwar seibst gerne Seiten¬
Kamer,
prünge, ist aber nichtsdestoweniger nicht ange¬
Meter:
lehm berührt, als er erfährt, daß die Zarin ähn¬
überge
liche Neigungen hat wie er. Ein Leutnant ist ihr
will ni
Erwählter, eben der „Leutnant Ihrer Majestät“
mentes
er sie als einst auf die vom Gatten hintergan¬
weil er
jene Herrscherin in der Offizierskneipe Spott¬
ich.
3
lieder gesungen wurden, glühend verteidigt hat,
reporte
was sie — versteckte Zeugin der Szene — zur
lpacher
Ziebe entflammte. Fast ist die Zarin ertappt, da
änzer,
indet sich, rettender Engel, eine Hofdame, die sich
endste,
vorschieben, kompromittieren läßt. Der Zar be¬
gezeigt
fiehli dem Leutnant, sie zu heiraten. Aus der er¬
kum be¬
zwungenen Verbindung wird endlich eine wirk¬
Kampf,
liche Herzensehe.
— Der von J. und L. Flec
ie ihm
inszenierte Film lehnt sich in mancher Einzelheit
Ferne 1
an Schwarz „Ungarische Rhapsodie an, ist auch
bravour
onst nach mehr oder weniger bewährten Mustern
ällig #
zurechtgemacht. Hübsche Palastausstattung und
es noch
altbekanntes winterliches Rußland. Der schau¬
Entführ
spieterische Besteindruck ist nicht der durch Feit¬
das
ruck angekündigte Iwan Petrowitsch, ehen¬
ustige
dwenig Agnes Esterhazy, sondern die noch
vird,
U
inbekannte Lilian Ellis als Hofdame, ein rei¬
hr Par
zendes Filmsonbrettchen, das trotz Blondheit und
Badg:
ganz andersartiger Erscheinung ein wenig an
genen E
Clara Bow erinnert. Spitzbubenhaft, warm zeigt
ie im Bildbericht von einem Schlittenunfall, den
ie erlitten hat, daß ihr mimisches Können zu
Gra
allergrößter Hoffnung berechtigt.
nesgewe
macht de
„Chicago um Mitternacht.“
Kampf
Ihr Vater hat den Mord begangen, dessen
varen
I1
hr
Geliebter beschuldigt wird. Sie weiß nicht,
jede Hoft
daß er ihr Vater ist, arbeitet daher ungemischten
virklich
Gefühls daran, den Verbrecher zu überführen,
Menschen
läßt sich an das Lokal der Bande, die er anführt,
fahren ve
als Tänzerin anwerben, um im Einvernehmen
Eindring!
mit der Polizei die Detektivin zu spielen. Bald
Jerge al
aben die Gauner sie als Spitzel entlarbt, sie soll
chließt, 5.
inen furchtbaren Foltertod sterben, doch der
Dolcharti
Mörder erfährt noch rechtzeitig, wen er zu Tode
Sonne zu
nartern will. Er verhilft ihr zur Flucht, wird
gleichmäß
kurz darauf im Kampf mit eindringenden Poli¬
Wartende
zisten von einer Kugel getroffen und stirbt, nicht
abgestürzt
ohne vorher seine Tat gestanden zu haben und zu
bergen. C
itten daß der Tochter verheimlicht bleibe, wer er
hm das
hr jei. — Revueartige Szenen nehmen in diesem
er sein
Sensationsfilm einen breiten Raum ein. Die
Mit eine
Tänzerin schwebt als kitschiger Engel von noch
einmal d