I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 178

31. Fraeulein Else

Extrail du jounal: Tagesanzeiger
Zürich
Adresse
Date
„Fräulein Else“
Premfere im Schauspielhaus
Erngt Lothaf hat aus der Novelle Fräulein
Elsevon AthurSchfitler eine siébengeteilte
Bildfölge difmatisiert,, die üüter der Regie von
L. Steckel zu einer effreulichen Aufführung ge¬
dieh." Ja, mehrräls erfreulich, wonn die beson
dère Leistung von Ellen Schwanneke in der Ti¬
telrolle (vom Spielstandpunkt aus) voll gewürdigt
wird. Die Frage, ob sich gerade -Fräulein Else¬
zur Umsetzung in ein Schauspiel eignet, darf auf¬
geworfen werden, weil Bilder da sind, die zur För¬
derung der Handlung eigentlich nicht sehr viel
beitragen. Mit der Szene des Rechtsanwalts und
seiner Frau wird die ganze spätere Folge voraus¬
genommen, und jetzt liegt es in der Hand von
Fräulein Else, die Züsel straff anzuspannen un
all das herauszuholen, was Schuitzlei feingelstig
in seine Novelle gegossen hat.
Ein edelgesinnter Rechtsanwalt geht in seiner
Mildtätigkeit weit über den Rahmen des Erlaub¬
en und vergreift sich an Treuhändergut. In kür¬
zester Frist muß eine Summe erlegt werden, sonst
ist der Anwalt ruiniert. Ein Antiquitätenhändler
von spätsinnlichem Gemüt gibt auf Verlangen der
schönen Tochter Else das Geld unter der, ach so
bekannten, erotischen Bedingung! Und will der
alte Galan auch nur sehen und nicht besitzen, so
wird das Banale dieser Bedingung nicht aus der
Welt geschafft. Die Gemütsverwirrung der Toch¬
er ist da. Sie will ihrem Vater heifen, und zu
gleicher Zeit widerstrebt ihr mit großem Ekel das
Ansinnen des alten Galans. Jetzt nimmt sie das
Modepulver Veronal in zusammengesparten Do¬
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sen und fällt vor Dorsday, dem Antiquitätenhänd¬
er — im Transparent gesehen — hin. Im Zim¬
mer auf offener Szene stirbt sie, nachdem der¬
Händler an den Vater das Geld telegraphisch gé¬
schickt hat. Die Lösung der Konflikte ist da.
Der tiefere Sinn des Schauspiels geht gegen¬
lber den feinen Nuancen der Novelle, aus der die
fanatische Gerechtigkeitsliebe Schnitzlers hell
herausleuchtet, verloren, Aber das durch die
Regie flott herausgearbeitete Zusammenspiel und
lie guten und schmissigen Leistungen der Haupt¬
rollenträger führen dennoch zu einer Aufführung,
lie das Publikum mit starkem Beifall quittierte.
Erwin Kalser und Ellen Schwanneke zeigen
ein scharfgezeichnetes Bild von Begehrlichkeit
und Vaterliebe, zwei Mischungen, die dramatisiert
für kurze Zeit spannend wirken. Sorgsam betreut
Martha Hartmann die Tantenrolle. Hoffnung¬
spendend steht Traute Carlsen ihrem geplagten
Ehemann, den Kurt Horwitz besonders in der im¬
provisierten Verteidigungsrede gut pointiert, zur
Seite. Auch der Vetter, den Emil Stöhr eifer¬
suchtgefüllt herausschält, muß da sein, wenn
seine Mission eigentlich im Stück nur sehr ver¬
worren erfüllt wird. Die Anstandsdame Ciss)
vird von Josy Holsten mit Grazie durch die Hand¬
ung geführt, viel mehr adrette Erscheinung als
agierende Notwendigkeit. Die Bühnenbilder zeig¬
en sorgfältige und gewissenhafte Aufmachung
besonders die Hotelhalle und der Dinersaal. Das
Geschwätz in diesem Bild wirkt fröhlich-operet¬
tenhaft.
Aber trotzdem glaubt man schließlich
ler ernsten zFräulein Elsez. Denn sie scheidet
für die Rettung ihres Vaters und die Rettung
hrer Ehre aus dem Leben. Heute wäre eine solche
Tochter im Wirrwarr der Welt wohl selten zu
finden. Und diese eine Ueberlegung genügt, um
sich das Stück anzusehen.
H.
Exirat du journal: Neue Züricher Nachrichte
Adresse
Zürich
Daie
—Zürcher Schauspielhaus.
Fräuleln Eise.
Ein Schauspiel nach Schnitzler
von Ernst Lothar.
Ellen Schwanneke ist wieder da, ein wirklicher Ge¬
winn für unser Schauspiel, das in ihrem Fach über
keine so überragende und differenzierte Kraft ver¬
fügt. Ihre Jungmädchengestalten sind noch in be¬
ster Erinnerung; umso mehr bedauert man, daß zu
ihrem Wiederauftreten in Zürich kein anderes Stück
gewählt werden konnte, als diese frisch von der Wie¬
ner Uraufführung bezogene, nach übler Mache rie¬
hende Geschichte von einem Mädchen aus guter Fa¬
milie, das seinen Vater, einen tüchtigen Rechtsan¬
walt, in schlimmer Lage weiß, da er über ein ihm
treuhändig anvertrautes Depot für kurze Zeit
glaubte verfügen zu dürfen und von einem Gegner
tun zur Zahlung gedrängt wird. Um einer Verhaf¬
tung vorzubeugen, wird die Tochter von ihrer Mut¬
ter gedrängt, sich an einen Freund des Hauses zu
weniden, um die nötige Summe zu erhalten. Es
kommt, wie es nach allen Erwartungen kommen
muß: zwischen Kindespflicht und gefährdeter Ehre
wird ein unmöglicher Kompromiß geschlossen; Else
erfüllt die unmoralische Bedingung und vergiftet sich
mit Veronal.
Schnitzler, der die hart an und über der zulässi¬
gen Grenze von Sitte und Anstand gehenden The¬
men bevorzugte und eine angefaulte Gesellschafts¬
chicht in seinen Werken weniger kritisch als lebevoll
childerte, hütete sich immerhin, diesen Stoff zu dra¬
matisieren. Was in der Novelle noch psychologisch
verfeinert sich ausnimmt, das wird nun in diesem
von posthumer Hand gedrechselten siebenbildrigen
Theaterstück in plumper Art breitgewalzt. Trotzdem
bleibt auch jede äußere Sensation aus, denn der Be¬
#arbeiter läßt sich viel zu früh in die Kartensehe
schon nach dem zweiten Bild wird der weitere Ver¬
auf und das Ende sichtbar. Die Kinowalze dieses
Reißers, der einer sein möchte und keiner ist, läuft
leer. Sie läuft leer zum größten Teil auch für un¬
sere Darsteller. Wohl bewundert man diese pracht¬
volle Menschendarstellerin Schwanneke, der das
Leichte und Schwere mit gleicher Treffsicherheit von
den Lippen fließt und die manchmal an die junge
Bergner erinnert in der Frische und Echtheit ihres
Spiels; man ließ sich auch von dem sorgsam abge¬
dämpften, in seiner Vieldeutigkeit raffiniert ausge¬
klügelten Spiel Kalsers als Geldgeber überzeugen.
Aber in den andern Rollen schimmerten die brüchi¬
gen Stellen dieses Wiener Bilderbuches hartnäcki¬
ger durch, als es ihren Inhabern auf der Bühne
lieb sein möchte, wenn sie auch alle ihr bestes gaben.
Der Vollblutkünstler Horwitz trug die unmögliche
Figur, des Vaters, der am Frühstückstisch seine eigene
Verkeidigung ausprobiert, mit Mut und Anstand zu
Grabe, während Traute Carlsen als schwache Mut¬
ter, Marta Hartmann als geschwätzige Tante, Josy
Holsten als eleganter Hotelgast und Emil Stöhr als
treuherziger verliebter Junge alles taten, um das
nach verschiedenen Seiten zweifelhafte Geschehen mit
dem Mantel einer von Steckel wohlausgewogenen
Aufführung zu decken.
Theater-und Konzerte.
Stadttheater. Heute Samstag abend wird Paul
Burkhards diesjähriger großer Operettenerfolg „3
X Georges“ wiederholt. Am Sonntag nachmittag
zum letztenmal Verdis Oper „Fallstaff“. Sonn¬
tag abend Wiederholung der Operette „Grete im
Glück“ von Victor Reinshagen. Das Weihnachts¬
närchen „Hampelpeters Abenteuer“ wird zusam¬
men mit der „Puppenfee“ heute Samstag 3 Uhr
wiederholt, und ferner alle Mittwoch und Samstag
im Dezember, sowie am Heiligabend. — „Heid!“
kommt noch einmal zurück ins Stadttheater Zürich,