31.
box 5/4
Fraeulein Else
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Ahue resstrne Zeitung, esshere
vom: -6 JAN. 1937
Theater und Kunst.
„Fräulein Eise“.
Die Novelle vom „Fräulein Else“ ist
nun 10 Jahre alt. Der reife Arthux Schnitzler,
der Meister der Seelenanalyse bot schon damals,
als von Gedankenmontage, von Gefühlssinmulani¬
tät noch keine Rede war, ein ärztlich ebenso ge¬
naues, als künstlerisch großartiges Bild von dem
Wirrwarr der Empfindungen in der Soele
Die
in den Gedanken eines jungen Mädchens,
ch
Tochter des Wiener Rechtsanwaltes befindet
in Sonmartino di Castrozza, in den Dolomiten
und um sie herum ist die Wiener Vorkriegsgesell¬
schaft, die Welt der Leichtlebigkeit, der Erotik der
plätschernden Konversation und der erschreckend¬
sten Plattheit. Else aber ist ein Schnitzlerisches
Wesen, subtil, feinfühlig; nicht nur körperlich, son
dern auch seelisch jungfräulich. Sie geht an ihrer
menschlich begreiflichen Ueberempfindlichkeit, an
der seelischen Scham zugrunde.
Aus diesem Thema wurde ein Film für Eli¬
sabeth Bergner gemacht. Der Kunstart entspre¬
chend, mußte das Leise kaum Ausgesprochene sicht¬
bar gemacht, das unendlich Komplizierte verein¬
facht werden. Die Menschen, die bisher nur in
ihrer etwas verzerrten Spiegelung in der Mäd¬
chenseole lebten, wurden augenfällig, plastisch. Der
Vater, der Lüstling erschien höchst persönlich; aus
dem Monolog wurde eine Unterhaltung. Auch die
von einam der feinsten Wiener Literaten, von
Ernst Lothar stammende Bühnenbearbeitung
mußte notgedrungen etwas greifbarer werden,
aber dies geschah auf eine so delikate, zarie Weise,
daß der Geist Arthur Schnitzlers nicht verloren
ging. Dieselbe Gesellschaft, die im „Weiten Land
m „Einsamen Weg“ die Anlässe und Stichwörter
gab, sie umlauert nun auch das Fräulein Else, nur
muß der Zuschauer diesmal einen großen Teil der
Seelenanalyse selbst vornehmen. Dies ist das
größte Lob, das man diesen 7 Bildern zollen kann,
ie haben den Geist Arthur Schnitzlers. Ja es ist
ogar eine Art dramatischer Spannung in den
Vorgängen, freilich eine Spannuna, die gar nichts
mit der Theatertechnik zu tun hat: sozusagen ein
elisches Atemanhalten. Menschlichkeit und Wahr¬
heit strahlen von der Bühne und dazu eine schon
historisch gewordene, aber nicht minder lebendig
gestaltete Gesellschaft. Wo bleibt hinter diesen
knapven Szenen die sonst so gangbare, heutige
englische oder ungarische Dramatik? Wie hinter
dem Gemälde eines Künstlers das geschickte Fir¬
menschild eines Handwerkers!
Das Ensamöle des Theaters in der Josef¬
stadt spielt das Stück unter der Leitung Hans
Thimigs auch in diesem Sinne. Unter seinen
Händen wird das Wien Schnitzlers, Hoffmanns
thals und Lothars bildhaft. Eine schöne einheit¬
liche Aufführung — wiewohl nicht jeder Darsteller
dem Idcal der Figur entspricht. Rose Strad¬
ner z. B. ist zu robust, zu real für die Else; was
natürlich nicht hindert, daß sie in Erscheinung und
Erlebnis eine ganz großartige schauspielerische
Leistung bietet. Auch Herr Brandhofer, der
eine ganz starke, eindringliche schauspielerische
Persönlichkeit ist, biegt sich den reichen Antiquitä¬
tenhändler ein wenig um; aber auch er wirkt
menschlich mächtig. Frida Richard ist vielleicht
die einzige, die das schillernde Wesen der Wiene¬
in der Vorkriegszeit trifft. Hans Homma ist
großartig und ergreifend, aber vielleicht doch ein
ganz klein wenig zu schauspielerisch.
Die Aufführung, auch hier auf das Sorgfäl¬
tigste gefeilt, fand den ergreifendsten Widerhall;
als die seelische Spannung nachließ, brach der
Dank des Publikums in elementarer Weise hervor
box 5/4
Fraeulein Else
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Ahue resstrne Zeitung, esshere
vom: -6 JAN. 1937
Theater und Kunst.
„Fräulein Eise“.
Die Novelle vom „Fräulein Else“ ist
nun 10 Jahre alt. Der reife Arthux Schnitzler,
der Meister der Seelenanalyse bot schon damals,
als von Gedankenmontage, von Gefühlssinmulani¬
tät noch keine Rede war, ein ärztlich ebenso ge¬
naues, als künstlerisch großartiges Bild von dem
Wirrwarr der Empfindungen in der Soele
Die
in den Gedanken eines jungen Mädchens,
ch
Tochter des Wiener Rechtsanwaltes befindet
in Sonmartino di Castrozza, in den Dolomiten
und um sie herum ist die Wiener Vorkriegsgesell¬
schaft, die Welt der Leichtlebigkeit, der Erotik der
plätschernden Konversation und der erschreckend¬
sten Plattheit. Else aber ist ein Schnitzlerisches
Wesen, subtil, feinfühlig; nicht nur körperlich, son
dern auch seelisch jungfräulich. Sie geht an ihrer
menschlich begreiflichen Ueberempfindlichkeit, an
der seelischen Scham zugrunde.
Aus diesem Thema wurde ein Film für Eli¬
sabeth Bergner gemacht. Der Kunstart entspre¬
chend, mußte das Leise kaum Ausgesprochene sicht¬
bar gemacht, das unendlich Komplizierte verein¬
facht werden. Die Menschen, die bisher nur in
ihrer etwas verzerrten Spiegelung in der Mäd¬
chenseole lebten, wurden augenfällig, plastisch. Der
Vater, der Lüstling erschien höchst persönlich; aus
dem Monolog wurde eine Unterhaltung. Auch die
von einam der feinsten Wiener Literaten, von
Ernst Lothar stammende Bühnenbearbeitung
mußte notgedrungen etwas greifbarer werden,
aber dies geschah auf eine so delikate, zarie Weise,
daß der Geist Arthur Schnitzlers nicht verloren
ging. Dieselbe Gesellschaft, die im „Weiten Land
m „Einsamen Weg“ die Anlässe und Stichwörter
gab, sie umlauert nun auch das Fräulein Else, nur
muß der Zuschauer diesmal einen großen Teil der
Seelenanalyse selbst vornehmen. Dies ist das
größte Lob, das man diesen 7 Bildern zollen kann,
ie haben den Geist Arthur Schnitzlers. Ja es ist
ogar eine Art dramatischer Spannung in den
Vorgängen, freilich eine Spannuna, die gar nichts
mit der Theatertechnik zu tun hat: sozusagen ein
elisches Atemanhalten. Menschlichkeit und Wahr¬
heit strahlen von der Bühne und dazu eine schon
historisch gewordene, aber nicht minder lebendig
gestaltete Gesellschaft. Wo bleibt hinter diesen
knapven Szenen die sonst so gangbare, heutige
englische oder ungarische Dramatik? Wie hinter
dem Gemälde eines Künstlers das geschickte Fir¬
menschild eines Handwerkers!
Das Ensamöle des Theaters in der Josef¬
stadt spielt das Stück unter der Leitung Hans
Thimigs auch in diesem Sinne. Unter seinen
Händen wird das Wien Schnitzlers, Hoffmanns
thals und Lothars bildhaft. Eine schöne einheit¬
liche Aufführung — wiewohl nicht jeder Darsteller
dem Idcal der Figur entspricht. Rose Strad¬
ner z. B. ist zu robust, zu real für die Else; was
natürlich nicht hindert, daß sie in Erscheinung und
Erlebnis eine ganz großartige schauspielerische
Leistung bietet. Auch Herr Brandhofer, der
eine ganz starke, eindringliche schauspielerische
Persönlichkeit ist, biegt sich den reichen Antiquitä¬
tenhändler ein wenig um; aber auch er wirkt
menschlich mächtig. Frida Richard ist vielleicht
die einzige, die das schillernde Wesen der Wiene¬
in der Vorkriegszeit trifft. Hans Homma ist
großartig und ergreifend, aber vielleicht doch ein
ganz klein wenig zu schauspielerisch.
Die Aufführung, auch hier auf das Sorgfäl¬
tigste gefeilt, fand den ergreifendsten Widerhall;
als die seelische Spannung nachließ, brach der
Dank des Publikums in elementarer Weise hervor