I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 275


box 5/4
31. Fraeulein Else
C# # n n —
Ausschnitt aus:
vom: 20. JAll 1937
Seite 11. Nr. 13.292.
Illustrierte Kronen=Zeitung.
Mittwoch, 20. Jänner 1937.
GUMMI-SCHNFESCHU
SCHWARZ
Alter Schauspieler wird „junges großes Talent“.
ODER
BRAUN:
Präsidenten Homma des Ringes der Bühnen¬
Wien hatte im letzten Herbst eine große
VARM GE¬
künstler gerichteten, wahrscheinlich nicht ganz frei¬
FÜTTERT¬
Theatersensation: ein junges großes Talent
willig geschriebenen Brief
ALLE
wurde entdeckt und engagiert, bald aber
GROSSEN•
gab der „Tiroler Bauer“ zu, mit dem bekannten
FÜR DAMEN
entlarvt. „Entlarvt“ als ein tüchtiger, alter
Schauspieler Leo Reuß identisch zu sein
Schauspieler, der schon an vielen großen
und erzählte, daß er sich dieses Tricks be¬
Selaiffmnan
dient habe, um in Wien ein Engage¬
deutschen Bühnen gearbeitet und sich einen
U. TABOKSTRASSE 48
ment zu finden. Er habe jahrelang in
guten Namen gemacht hatte, dem es aber
Berlin gearbeitet, könne aber jetzt im
dann ebenso gegangen war wie vielen
nationalsozialistischen Deutschland nicht auftreten
haben nationalsozialistische Zeitungen meine
anderen Künstlern: er fand kein Engagement
und habe daher versucht, in Oesterreich unterzu¬
Fähigkeiten anerkannt. Mit Rücksicht
kommen. Als ihm das nicht gelang, ließ er
mehr und kam dann in Not. Der Hunger
auf die Verhältnisse bin ich dann nach Oester¬
sich von dem Verwalter des Gutes „Sonnberg“,
reich. Ich habe überall alles Mögliche versucht,
brachte ihn auf eine Idee: da das Theater
Kaspar Altenberger, die Personaldokumente
habe mich bemüht, irgend eine Stel¬
den routinierten Schauspieler nicht mehr ver¬
geben, ließ sich einen Bart wachsen und
lung, und sei sie noch so gering, zu
wenden konnte, so sollte es ein großes, junges
legte als Kaspar Altenberger die Prüfung beim
bekommen. Es ist mir ausnahmslos nicht
Ring der Bühnenkünstler ab.
Talent bekommen. Der Theaterlöwe legte
gelungen. Ich bin
Bald erfuhr man weitere Einzelheiten. Durch
seinen Namen ab, ließ sich einen Bart wachsen
in eine furchtbare feelische Gemütsstimmung
zu
Empfehlung Max Reinhardts kam er
und wandelte sich zum Bauernburschen mit
geraten und bekam derartige Minderwertigkeits¬
Direktor Lothar. Weder Helene Thim
gefühle, daß ich mir sagte, der Erfolg war nur
dem großen Talent zur Bühne. Und es ge¬
noch Max Reinhardt, mit denen Leo Reuß
an meinen Namen geknüpft. Ich habe daher
lang. Das „große Talent vom Land“ wurde
Berlin zehn Jahre lang in Verkehr ge¬
diese Komödie ins Werk gesetzt, um dahinter
entdeckt, den Mächtigen im Bühnenreich vor¬
tanden war, noch auch der Vorsitzende der
zu kommen, ob ich ein guter Schau¬
Prüfungskommission des Ringes der Bühnen¬
pieler bin oder nicht. Ich habe mir ge¬
gestellt und engagiert. Der Künstler
künstler, Dr. Emil Geyer, unter dessen Direk¬
dacht, ich werde als unscheinbarer Land¬
konnte sich wieder sattessen. Aber das Glück
tion Leo Reuß nach dem Krieg in Wien auf¬
mann beim Ring der Bühnenkünstler meine
dauerte nicht lange. Freunde und Kollegen
getreten war, und auch nicht Direktor Röb¬
Prüfung machen. Da werde ich sehen, ob man
beling, der in Hamburg von Leo Reuß den
von früher erkannten den Schauspieler, der
mich als Schauspieler anerkennt oder
„Jedermann“ inszenieren und spielen ließ, er¬
Bart und das Leugnen halfen nichts. Der
nicht.
kannten den langjährigen Freund.
Richter: Und da haben Sie die fremden
kleine Betrug wurde zu einem Riesenskandal
Dokumente vorgewiesen?
Polizeilich als Altenberger gemeldet.
aufgebauscht, der gestern sein gerichtliches
Angekl.: Ja, nur da. Ich wor in einer
Da Reuß sich auch polizeilich unter dem
Nachspiel hatte.
furchtbaren Sitnation, und sie war
alschen Namen Altenberger gemeldet
um so größer, als ich im Kriege österreichischer
hatte, wurde gegen ihn die Anklage wegen
Leo Reuß, angeklagt wegen Falschmeldung.
Offizier gewesen bin und jetzt
Uebertretung der Meldevorschrif¬
in Oesterreich nirgends unterkommen konnte.
War das gestern ein Leben in dem sonst
ten erhoben.
so stillen Bezirksgericht Hietzing! Zahllose
Der Angeklagte gibt dann an, daß er
Künstlerlos von heute.
Schauspieler sind da, auch Theaterdirektoren,
die Prüfung am 23. Dezember 1936 ablegte.
Ueber weitere Fragen des Richters ver¬
Journalisten, Photographen.
Also jetzt zurück in den Verhandlungssaal
ichert er, daß ihm hauptsächlich darum zu
Der Saalaufseher ruft den Namen des An¬
des Bezirksgerichtes Hietzing.
tun war, sein Talent anerkannt zu
geklagten zur nächsten Verhandlung aus: Leo
Der Angeklagte gibt an, im Jahr 1891 in
ehen.
Reuß, wegen Falschmeldung.
ge¬
Angekl.: Es wäre mir nichts daran
Dolina (Galizien) geboren und staatenlos
Ein eleganter Mann mit blondem Vollbart
zu sein. Im Alter von drei Jahren kam er nach
legen, zu verhungern, aber dann als Schau¬
und leicht angegrautem Haar tritt ein und
Wien, besuchte hier das Gymnasium, maturierte
spieler.
geht zur Anklagebank. Und es wird der Fall er¬
in Währing und besuchte auch in Wien die
Die Beichte beim Anwalt.
örtert, eine Komödie traurig und toll, so un¬
Hochschule. Den Krieg machte er als
Rechtsanwalt Dr. Zitter gibt an, daß
ehört, daß die Amerikaner daraus einen Film
Deutschmeister mit und trat nach dem
Reuß vor der Premiere einen Brief dei
drehen wollen. Schon verhandeln sie mit dem
Krieg in Wien im Komödienhaus und in
ihm hinterlegte, der erst nachher zu öffnen war.
Ang.klagten, damit er in dem, in „seinem“
der Neuen Wiener Bühne auf. Dann
Der Schauspieler kam auch nach der Premiere zu
Film die Hauptrolle spiele.
kam er nach Deutschland, wo seiner schönen
ihm in die Kanzlei und gestand ihm, werer
Karriere die neuen Gesetze des Dritten Reiches
Aber beginnen wir, ehe wir über die Ver¬
war. Der Brief wird dem Richter vorgelegt und
ein Ende machten.
handlung berichten, mit der Vorgeschichte dieser
der Richter stellt fest, daß auch darin Reuß er¬
Künstlertragödie.
Aus Reis wird Reuß, dann Altenberger.
klärte, daß er aus seelischer Gedrückt¬
heit zu diesem Mittel gegriffen habe, um sich
Tiroler Bauer mit dem Bart als
Der Aigeklagte steht stramm vor dem
selbst zu beweisen, daß er ein Schauspieler sei.
Richter und antwortet mit leiser, aber fester
Richter: Sehen Sie ein, daß Sie un¬
Theaterstar.
richtig gehandelt haben?
Richter: Heißen Sie Reis oder Reuß? —
Angekl.: Ich sehe ein, daß ich trotz meiner
Im Spätherbst brachte das Theater in
Angekl.: Reis. Aber mein Künstlername
schweren Situation unrichtig gehandelt habe. Ich
der Josefstadt die Dramatisierung von
ist Reuß.
möchte nur noch erwähnen, daß
Novelle „Fräulein
Artur Schuitzlexs
Ueber Befragen gibt er an, daß er ein
ich selbst die Sache aufgedeckt habe
Else“ insder Beärbeitung von Hofrat Doktor
Monatseinkommen von tausend Schilling habe
Lothar. Unter den Künstlern fiel der Dar¬
und daß ich mich unmittelbar darnach sofort
und im Hotel „Fürstenhof“ auf dem Neubau¬
steller des Dorsay auf, ein, wie die Kritiker
umgemeldet habe.
gürtel wohne.
schrieben, neuer Künstler. Dieser Dar¬
Damit ist das Beweisverfahren geschlossen.
steller, der
Richter: Wann sind Sie in den Besitz der
Verteidiger Dr. Wolfgang Polaczek ver¬
Dokumente des Herrn Altenberger ge¬
auf dem Theaterzettel als
wies darauf, daß man hier wohl einen un¬
kommen?
widerstehlichen Zwang annehmen könne,
Kaspar Brandhofer
Angekl.: Anfang 1936. Ich habe sie aber
da die seelische und materielle Not des Ange¬
aufschien, war, wie man erfuhr, ein Tiroler
klagten bestimmt als größeres Uebel im Sinne
nur bei der Gesellschaft des „Ringes der Bühnen¬
Bauer, der in Wirklichkeit Kaspar Altenberger
des Gesetzes zu betrachten ist, als die Gesetzes¬
künstler“ vorgelegt. Sonst habe ich sie nie ver¬
hieß und der zum erstenmal im Leben auf der
wendet.
verletzung durch die Falschmeldung.
Bühne stand.
Richter: Dort haben Sie eine Prü¬
100 Schilling bedingt.
fung abzulegen gehabt?
einen schönen blonden Vollbart, den er um
Der Richter erkannte den Angeklagten im
Angekl.: Ja, diese Prüfung habe ich
keinen Preis opfern wollte,
Sinne der Anklage schuldig und verurteilte ihn
als Altenberger abgelegt.
bedingt zu 100 Schilling Geldstrafe.
und die Wiener wußten nicht, was ihnen mehr.
In der Urteilsbegründung heißt es, daß eine
Richter: Erzählen Sie uns, warum
imponieren solle: der Bauer, der so gut
seelische Gedrücktheit nie so weit gehen dürfe,
Sie das. gemacht.haben. ..
Theater spielte, oder seine Treue zum
daß ein Gesetz verletzt werde.
Bart,
Angekl.: Ich war sechzehn Jahre lang
Angekl. Reis=Reuß=Altenberger=Brandhofer;
ununterbrochen schauspielerisch tätig. Ich hatte
Einige Wochen nach der Premiere aber gab¬
Ich nehme die Strafe an.¬
großen Erfolg; sogar im Dritten Reich
es eine neue Sensation: In einem an den