I, Erzählende Schriften 31, Fräulein Else, Seite 289

1926
r
iguren,
iebeit
wurden.
ich Mann, Arthur Schnitzler, Jules Verne, Emile Zola u. a. in der Wirklichkeit.
pyramide, von deren Bänden ihn vielfach sein Name grüßte. De
Strogow.
Lacretelles „Silbermann“ war ins Ungarische übersetzt worden.
Der jüdische Antiquitätenhändler Silbermann kaufte sich das Buch,
koman.
Zu Jules Vernes Roman „Der Kurier des Zaren“.
und indem er es, von Seite zu Seite fieberhafter erregt, verschlang.
chdruck verboten.]
Vor
Nachdruck verboten.]
machte er eine erschütternde Entdeckung. Es war sein Leben.
das Leben des Budapester Antiquitätenhändlers
Alexej Wronskl.
Silbermann, das der französische Autor beschrieb.
abe ich ihn getroffen.
Das kleine russische Lokal in der sächsischen Stadt war ganz
Nicht nur seine Seele hatte de Lacretelle mit erschreckender Spür¬
leer; wir waren die einzigen Gäste. Der Kellner brachte die eben
bestellten Wodkas, stellte sie auf den Tisch und sotzte sich zu uns.
Mein Begleiter stellte ihn vor:
an, verstand meinen
1
„Strogow.“
Unrat.“
Strogow? Der Name kam mir merkwürdig bekannt vor. Ich
suchte vergeblich in meinem Gedächtnis — schließlich fragte ich:
ch Mann sehr
„Haben wir uns nicht schon einmal irgendwo kennengelernt?“
„Mich wohl nicht, lächelte mein Gegenüber, aber meinen
chen. Der Held
Namensvetter werden Sie kennen den „Kurier des Zaren“!“
t Professor am
Ah, nun wußte ich es. Jules Berne, der phankasiereiche
he. Er ist ein
Erzähler unserer Kinderzeit, der Philias Fogg in achtzig Tagen
Spitzbart. Ich
den Erdball umkreisen ließ und der uns in Michael Strogow, dem
liothek zeigte;
heroischen Gardeoffizier, den Abgott unserer Träume schenkte.
Exemplare
„Sie sind wohl nicht der Kurier des Zaren gewesen?“ meinte
ich; doch mein neuer Bekannter wurde plötzlich ernst:
ickt. Jährlich
„Ich war es.
— Ich war zwölf Jahre alt, als ich zum ersten¬
mal den Roman von Jules Berne in die Hände bekam. Ich las —

er gar Seiten,
ich verschlang alle die wunderbaren Abenteuer, die Taten des
ollen. Als ich
Helden — der meinen Namen trug. Und dies gab meinem Schick¬
ckt, und ich
sal die Richtung. Ich hatte nur noch den eieen Gedanke selbst
ervös in die
der Kurier des Zaren zu werden. Auch meine Schulkameraden
prüfend gemustert,
hatten das Buch gelesen; und sie behandelten mich, wie es dem
chi
nicht fassen.
Helden einer solchen Geschichte zukommt. Wenn wir Kolaken
Unrat! Da
spielten, war ich immer der befehlshabende General und führte
1U-
15
ind das Buch
meine kurzhosige Armee stets zum Sieg. Ich siegte auch über den
ich mir das bald
Widerstand meines Vaters, der aus mir durchaus einen Arzt
„Unrat“ an den
machen wollte. Ich wurde Kadett in der Junkerschule.
manchmal erklang
Dann kam der Krieg — und die Träume meiner Kindheit ver¬
Die falsche Mme. Bovary.
den Tätern; als
wirklichten sich: ich bin eine lebendige Romansigur, bin tatsächlich
Sie lebt in der Provence in Pertui als Besitzerin eines kleinen
uch noch einmal.
der Kurier des Zaren geworden. Alle die Abenteuer, die ich im
Gasthauses und hat mit dem — bekannten und längst verstordenen
keit zwischen
Kriege und während der Wirren des Bürgerkrieges erlebte, teilte
wirklichen Original Flauberts nicht das geringste zu tun.
vurde. Und als
ich mit vielen andern. Für mich behielten sie trotzdem eine be¬
Nichtsdestoweniger verehrt sie manchmal einem bevorangten
afen wollte, fiel
sondere Bedeutung. Für die andern waren diese Erlebnisse.
Sommergast die Volksausgabe von des Dichters Romon mit der
dnisloses Wesen —
Kämpfe, Gefahren. List und Gewalttat, Ueberfälle, Flucht, Sieg
originellen Widmung „Souvenir de Ame. Bovarg“.
zu meinem besseren
all dies war ihnen ein Ausnahmezustand, den meisten sogar ein
(Zeichnung von Rüdoif Schlichter)
meine Fehler er¬
Unglück. Ich nahm dies alles hin als die Erfüllung
abzustreifen ...
meiner ursprünglichen Bestimmung. Vieles davon

und Treffkraft analysiert, auch seinen Lebenslauf und den
hat Jules Derne richtig vorausgeahnt und lebensecht
ei mir: „Dieser Pro¬
geschildert.“
seines Vaters hatte er in allen wesentlichen Wendungen nachgezeich¬
licht auch der „aller¬
net. Wie war das möglich? Der Budapester Antiquitätenhändler
* „Strogow!“ rief der Wirt, und der Kellner eilte in die Küche.

ane
*
8 „K
pf“ einiges gelernt
war niemals in Paris gewesen. Wie also konnte dieser Franzose
Jules Berne war in vielen Dingen ein Prophet. Aber der¬
nen wäre?“
ihn erraten? So vollständig erraten — bis in die vergeffenen
Amerikaner Goldstrom reiste in dreißig Tagen um die Erde —
Regungen seiner Pubertätsjahre, bis in seine Worte und Gesten
und auch das eine konnte der Dichter nicht vorausahnen, was auch
hinein?
schlecht in seinen hervischen Roman gepaßt hätte: Daß der Kurier
Mit seiner aufwühlenden Entdeckung und seiner quälenden Frage
hnämigem Ronan.
des Zaren seine Laufbahn als Kellner in einem kleinen sächsischen
rannte der Antiquitätenhändler zur Zeitung, zum Uebersetzer. Man
Lokal beschließen würde.
suchte ihn zu beruhigen; sprach von ewiger, unvermeidlicher Wieder¬
[Rachdruck verboten.]
kehr des gleichen Leidenszuges in Judenschicksalen aller Zeiten und
Lorz
Sy.
Souvarine.
Länder. Silbermann sah das ein. Was er nicht einsehen und
cretelles „Silbermann“ war
nicht zugeben konnte, war, daß es sich bei solch erstaunlich minu¬
Zu Emile Zolas Roman „Germinal“
anzösischen Romanerfolge der Nach¬
tiöser Uiebereinstimmung einer Reihe von Einzelheiten noch
Von
(Nachdruck verboten.]
einer guten deutschen Uebersetzung
um Zufall handeln könne. Er konnte einfach nicht glauben, daß
eutschland über einen engen Kreis
Hans Jacob.
der Franzose ihn, Silbermann, nicht irgendwann, irgendwo persön¬
en. Die Geschichte der beiden Sil¬
Der eine Souvarine ist ein Kind der Tichterphantasie. Emile
lich gekaum habe: er hätte sonst sein Geheimnis nicht dechiffrieren
erzählen, ist aber viel zu merk¬
Zola schreibt im „Germinal“:
können. Niemals, niemals habe er irgendeinem Menschen davon
sie unterdrücken wollten. Hier ist
nserer Zeit in einem Menschen
gesprochen, wie er zu der Mutter seines Freundes gestanden
„Souvarine war der jüngste Sohn einer adeligen Familie in
ur lebendig geworden, sondern hat
habe . . . und dieser Franzose sagte es klipp und klar. Auch sein
Tula. In Sankt=Petersburg, wo er Medizin studierte, hatte die
dieses Menschen einen tiefen Ein¬
Gesicht, seine Erscheinung seien in seiner Jugend genau so gewesen.
sozialistische Strömung, die damals die ganze russische Jugend
wie de Lacretelle sie beschreibe; mit alten Lichtbildern könne er es
fortgerissen, ihn dazu bewogen, ein Handwerk, und zwar das eines
Lacretelle — aus dem Kreise
beweisen. Auf dem Gymnasium habe er in genau derselben Haltung
Mechanikers, zu erlernen, um sich unter das Volk zu mengen, es
spielt etwa in den Jahren 1894
gegen die kompakte Majorität seiner Mitschüler kämpfen müssen,
kennenzulernen und ihm brüderlich beizustehen. Von diesem
s=Affäre und könnte als das
wie der Held des Romans. Er habe die ungarischen Klassiker be¬
Handwerk lebte er jetzt, nachdem er infolge eines vereitelten An¬
ances breiter „Histoire contem¬
geistert und überzeugend deklamiert und habe ungarischer Schrift¬
schlages auf das Leben des Kaisers geflohen war. Um diesen
as Problem Franzose= Jude ist
steller werden wollen. Und aus denselben Erwägungen, die den Roman¬
Anschlag auszuführen, hatte er einen Monat hindurch im Keller
rmel einer Kinderfreundschaft zu¬
helden in seine resignierte Wahl treiben, sei auch er nicht Schrift¬
eines Obsthändlers gelebt, eine Mine quer unter der Straße an¬
Protestant, erzählt von seiner lei¬
steller, sondern Antiquitätenhändler geworden. Daß er damals
gelegt, Bomben geladen, in der fortwährenden Gefahr, samt dem
gestärkten, von Anfang an melan¬
richtig gewählt, daran habe er bisweilen gezweifelt, nun aber, da
Hause in die Luft zu fliegen.“
ahme an seinem Klassenkameraden
er sich als Romanfigur erblickt und erkannt, da er seine Motive von
Der andere Souvarine ist keine Phantasiegestalt — er ist vom
en Kampf um diese Freundschaft
damals, und zwar alle der Reihe nach, durchschaut und zerlegt und
Weibe geboren. Boris Souvarine stammt aus Rußland.
Jungen, gegen seine Eltern, gegen
gebilligt gefunden habe, nun bezweifle er nicht mehr, daß es
Er floh vor der Gewaliherrschaft der Zaren, kam nach Frankreich,


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