stelle mehr ins Theater locken kann, das jetzt
Chansons und Kurzszenen gleichsam als
Kipfelgebäck zur Kaffeehausmelange genießt
und wenn man die lieben Leute fragt, war¬
um sie dem Klassikerabend untreu geworden
sind und sich zum anmutigen Gschnas be¬
kehren, dann heißt es: „Mein Gott — wer
hat heute das unbeschwerte Gemüt, um die
Entwicklung eines Seelenkonfliktes durch
fünf Akte zu überwachen!“ oder noch pro¬
aischer: „Wenn ich ins Kaffeehauskabarett
gehe, muß ich der Friseuse nichts zu ver
dienen geben und kann mein Abendkleid für
dessere Zeiten schonen!“
Da ahnt man einiges. Vor allem: daß
Kino und Kleinkabarett aus den gleichen
Profitquellen schöpfen, wenn auch diese be¬
scheidene Kleinkunst bei weitem nicht so
aus dem Vollen scheffelt, wie die Gro߬
industrie für Zelluloidträume,
Die Geburt des Kaffeehausbrettla
Wieso ein Souterraintheaterchen, solch
ein „Unterbrettl“ entsteht, mag manchen
interessieren. Da gibt es ein Kleinkabarett
im Café Dobner, das vielen seiner Kon
kurrenten den Rang ablauft. Fast könnte
man es das Burgtheater der Wiener Klein¬
kunst nennen. Es heißt „Literatur am
Naschmarkt“ und ist in den Kellerräumen
des Café Dobner beheimatet. Ein Herr
Martin Magner und ein Herr Stein
hatten sich zusammengetan — der letztere
mit höchst bescheidenem Kapital der Finan¬
cier des neuen Bühnchens, der andere zu¬
letzt Oberregisseur der städtischen Bühne in
Breslau; „Phäa“, „Komödie der Irrun¬
gen“ und „Fuhrmann Henschel“ waren
eine letzten Regieleistungen. Dann stapfte
die arische Ahnfrau auf hohem Kothurn über
die Bretter, der Mann, der jahrelang volle
Häuser gemacht hatte, sah sich aus gutem
Engagement gerissen und vor der Aussicht,
seine kleinen Ersparnisse in ein paar Mo
naten Untätigkeit zu vertun.
So entstand diese „Literatur am Nasch¬
markt“ aus einer trostlosen Situation und
ein bißchen Optimismus — ein paar Thea¬
So geht man eben in die Nationalbiblio¬
thek, stöbert „Die ergötzlichen Metamorpho¬
en des Herrn Knöller“ auf, eine verstaubte
answurstiade, die gebürstet und neu auf¬
poliert wird (Herr Knöller hat einen Taler,
und wenn er einem guten Freund diesen
Taler schenkt, dann kauft er ihm seine Ge¬
talt damit ab wie den Schatten des Schle¬
nihl und kann in die Haut des Beschenkten
kriechen. Zuletzt schenkt er das Geldstück
einem Sterbenden und wird mit knapper
Mühe vor dem Exitus gerettet).
Dann werden Strindberg=Parodien an¬
gefertigt — eine Familie voll köstlichsten
asses und dämonischester Boshaftigkeit
Professor Leid tritt auf. der Seelenforscher
aus der Talgasse, und ein — mit feinster
nspielung auf Herrn Professor Freud aus
der Berggasse, der den braven Schwejk von
der „Rederitis“ heilt. Eine feine Sache ist
auch Schnitzlers „Fräulein Else“, von Paul
Ralbeck als Monolog verarbeitet. Auch er¬
veist sich, daß sich aus „Des Knaben Wun¬
derhorn“ die schlagkräftigsten Chansons be¬
ziehen lassen.
Dann kommt es zur Groffnungsvorstel¬
lung — sie wird ein voller Erfolg. Man
hätte es nicht für möglich gehalten, der
afetier strahlt, die Melange fließt in Strö¬
men, und da die weiteren Vorstellungen der
ersten nicht nachstehen, baut sich für jeden
Teilhaber an diesem „Kabarett=Kollektiv“
eine Durchschnittsgage von 200 Schilling
auf.
Viel ist das nicht, kaum genug, um ein
kleines Kabinett zu bezahlen und in der
„Wök“ zu dinieren und doch spricht sich
iese Verdienstmöglichkeit herum und ein
und der andere von den postenlosen Schau¬
pielern aus der Umgegend klettert die
Treppen hinab, sieht gönnerhaft den Pro¬
ben zu und fragt den Direktor — förmlich
zum Spaß, mit gutmütigem Schmunzeln
ragt innerlich zitternd, ob er denn nicht
auch mitmachen könne.
Nein, sagt Direktor Magner mit jener
Bestimmtheit, die nicht grausamer ist als
ehen die meisten Tatsachen des ramponier¬
ten Theaterlebens — nein, mein lieber
Freund, das können wir nicht machen. Denn
Sie sind schon seit drei Jahren ohne En¬
gagement und da wäre es allzu schwer,
Sie zu aktivieren für diesen Betrieb, der
springlebendig bleiben muß, hoffnungsfroh
und elastisch.
Regisseur: Die gute Laune
„Denn von unserer guten Laune“ meint
der Herr Kleinkunst=Bühnendirektor, „leben
wir und wer lange darüber nachdenkt, was
er noch vor zwei Jahren gewesen ist und
was er hätte werden können, wer den
Kopf nach rückwärts dreht und nicht nach
vorne zum Publikum, der ist für die „Lite¬
ratur am Naschmarkt“ verloren.“
Der gleichen Meinung sind die beiden
jungen Herren, die da oben auf der kleinen
Bühne proben, auf zwei fahrbaren Holz¬
childkröten sitzend, zwei buntbemalte
Häuptlinge von der Südsee, die sich im be¬
sten Nestroy=Wienerisch unterhalten. Der
Chansons und Kurzszenen gleichsam als
Kipfelgebäck zur Kaffeehausmelange genießt
und wenn man die lieben Leute fragt, war¬
um sie dem Klassikerabend untreu geworden
sind und sich zum anmutigen Gschnas be¬
kehren, dann heißt es: „Mein Gott — wer
hat heute das unbeschwerte Gemüt, um die
Entwicklung eines Seelenkonfliktes durch
fünf Akte zu überwachen!“ oder noch pro¬
aischer: „Wenn ich ins Kaffeehauskabarett
gehe, muß ich der Friseuse nichts zu ver
dienen geben und kann mein Abendkleid für
dessere Zeiten schonen!“
Da ahnt man einiges. Vor allem: daß
Kino und Kleinkabarett aus den gleichen
Profitquellen schöpfen, wenn auch diese be¬
scheidene Kleinkunst bei weitem nicht so
aus dem Vollen scheffelt, wie die Gro߬
industrie für Zelluloidträume,
Die Geburt des Kaffeehausbrettla
Wieso ein Souterraintheaterchen, solch
ein „Unterbrettl“ entsteht, mag manchen
interessieren. Da gibt es ein Kleinkabarett
im Café Dobner, das vielen seiner Kon
kurrenten den Rang ablauft. Fast könnte
man es das Burgtheater der Wiener Klein¬
kunst nennen. Es heißt „Literatur am
Naschmarkt“ und ist in den Kellerräumen
des Café Dobner beheimatet. Ein Herr
Martin Magner und ein Herr Stein
hatten sich zusammengetan — der letztere
mit höchst bescheidenem Kapital der Finan¬
cier des neuen Bühnchens, der andere zu¬
letzt Oberregisseur der städtischen Bühne in
Breslau; „Phäa“, „Komödie der Irrun¬
gen“ und „Fuhrmann Henschel“ waren
eine letzten Regieleistungen. Dann stapfte
die arische Ahnfrau auf hohem Kothurn über
die Bretter, der Mann, der jahrelang volle
Häuser gemacht hatte, sah sich aus gutem
Engagement gerissen und vor der Aussicht,
seine kleinen Ersparnisse in ein paar Mo
naten Untätigkeit zu vertun.
So entstand diese „Literatur am Nasch¬
markt“ aus einer trostlosen Situation und
ein bißchen Optimismus — ein paar Thea¬
So geht man eben in die Nationalbiblio¬
thek, stöbert „Die ergötzlichen Metamorpho¬
en des Herrn Knöller“ auf, eine verstaubte
answurstiade, die gebürstet und neu auf¬
poliert wird (Herr Knöller hat einen Taler,
und wenn er einem guten Freund diesen
Taler schenkt, dann kauft er ihm seine Ge¬
talt damit ab wie den Schatten des Schle¬
nihl und kann in die Haut des Beschenkten
kriechen. Zuletzt schenkt er das Geldstück
einem Sterbenden und wird mit knapper
Mühe vor dem Exitus gerettet).
Dann werden Strindberg=Parodien an¬
gefertigt — eine Familie voll köstlichsten
asses und dämonischester Boshaftigkeit
Professor Leid tritt auf. der Seelenforscher
aus der Talgasse, und ein — mit feinster
nspielung auf Herrn Professor Freud aus
der Berggasse, der den braven Schwejk von
der „Rederitis“ heilt. Eine feine Sache ist
auch Schnitzlers „Fräulein Else“, von Paul
Ralbeck als Monolog verarbeitet. Auch er¬
veist sich, daß sich aus „Des Knaben Wun¬
derhorn“ die schlagkräftigsten Chansons be¬
ziehen lassen.
Dann kommt es zur Groffnungsvorstel¬
lung — sie wird ein voller Erfolg. Man
hätte es nicht für möglich gehalten, der
afetier strahlt, die Melange fließt in Strö¬
men, und da die weiteren Vorstellungen der
ersten nicht nachstehen, baut sich für jeden
Teilhaber an diesem „Kabarett=Kollektiv“
eine Durchschnittsgage von 200 Schilling
auf.
Viel ist das nicht, kaum genug, um ein
kleines Kabinett zu bezahlen und in der
„Wök“ zu dinieren und doch spricht sich
iese Verdienstmöglichkeit herum und ein
und der andere von den postenlosen Schau¬
pielern aus der Umgegend klettert die
Treppen hinab, sieht gönnerhaft den Pro¬
ben zu und fragt den Direktor — förmlich
zum Spaß, mit gutmütigem Schmunzeln
ragt innerlich zitternd, ob er denn nicht
auch mitmachen könne.
Nein, sagt Direktor Magner mit jener
Bestimmtheit, die nicht grausamer ist als
ehen die meisten Tatsachen des ramponier¬
ten Theaterlebens — nein, mein lieber
Freund, das können wir nicht machen. Denn
Sie sind schon seit drei Jahren ohne En¬
gagement und da wäre es allzu schwer,
Sie zu aktivieren für diesen Betrieb, der
springlebendig bleiben muß, hoffnungsfroh
und elastisch.
Regisseur: Die gute Laune
„Denn von unserer guten Laune“ meint
der Herr Kleinkunst=Bühnendirektor, „leben
wir und wer lange darüber nachdenkt, was
er noch vor zwei Jahren gewesen ist und
was er hätte werden können, wer den
Kopf nach rückwärts dreht und nicht nach
vorne zum Publikum, der ist für die „Lite¬
ratur am Naschmarkt“ verloren.“
Der gleichen Meinung sind die beiden
jungen Herren, die da oben auf der kleinen
Bühne proben, auf zwei fahrbaren Holz¬
childkröten sitzend, zwei buntbemalte
Häuptlinge von der Südsee, die sich im be¬
sten Nestroy=Wienerisch unterhalten. Der