I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 8

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30. Casanovas Heinfahrt
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schnitt Su#er Mitcheilungen Wien.
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- In der Erzählung Cafa¬
#novas beimlahrii Ariur A
ganzi seinem Fac#wasser. Paul Schrecken¬
sbach hat einen Lebenstoman aus der
Reformationszeit geschaffen: Michael
Mepenburg: Cirölische Heimatkunft ent¬
saltet Hans Schrott=Fiechtl in seinen,
Komanen: Der Bauer auf der Stang'l.
und Wettertennen.
und Inselligenz=Biare
Heimfahrt“ (soeben bei S. Fischer, Berlin. erschienen).
Man wird sie viel lesen. Casanovas Name verbürgt
Erotik. Auch Schnitzler verbürgt sie. Die Novelle ist
in noch klassisizierenderem Stil und mit noch größerem
Gefallen an Sexualpsychologte geschrieben als die letzte
Erzählung Schnitzlers „Doktor Grädler, Badearzt“, in
der beides elen Rinlich wie erfolgreich war. Nicht
Sinnlichkett, sondern Geilheit ist ihr Inhalt. Fatl,
weil ihn ein gewisser Geist umfunkelt, ihn zu erheben
schein“, Sogar eine gewisse Melencholie. Das gro߬
artige Abenteurerleben, zusammengepreßt in ein Ab¬
schiedserlebnis, entbüllt seine klägliche Leere. Dennoch
satal auch durch das Bekenntnis, das hindurchschim¬
mert: Sorge um das Glück pbysischer Genußtauglich¬
keit im Alter. Das Ressentiment in den Armen des
##end und
Mädchens: „War er nicht ein Gott —?
Alter nur eine Fabel, von Menschen erfungen?“ Ein
Ressentiment das in der Anspannung. Erregung des
Gesechtes wiederkehrt: „Bin ich nicht ein Gott? Wir
belde nicht Götter?“ Eigentlich lächerlich. Der ver¬
kalkende Meister der Liebessviele imponiert sich bedürf¬
lig selbst. — Das Fatalste bleibt jedoch, zu sehen, wie
Schnitzler, ein Dichter von überlegener Kultiviertbeit,
Verfasser so lebendiger Zuruse, wie sie in seinem
„Grünen Kakadn“, seinem „Jungen Medardus“ stehen.
den engen Kreis erotischer Problematik nicht durch¬
zubrechen ermag und sich nicht scheut, heute mit
Casanova herbstlich zu erglühen, wie er einst mit Ana¬
tol avrilhafte Triebe tellte. Um es banal zu sagen:
die Welt hat ändere Sorgen. Sie verzichtet zwar nicht
auf den unverwüstlichen Eros, aber die Zeit fordert
von Dichtern ein anderes sittliches Pathos, als es ge¬
sellschaftliche Lieblinge von der Art Casanovas wecken.
Fraskturter Nachrichten,
##e kennzeichnend, daß Schnitler endlich an diesen
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#o##leinden Hochstapler. Frauenhelden und Ppahlhans
und Intelligenis Tatt
gelangen mußte! Casanova war die versonisizierte
Gier. Die Unersättlichkeit im Lieben wie im Essen
Gllehrt Schnidler an der Gestalt hervor. Ausgezeichnet.
Frankturt a. M.
Der Blick der Gierigen ist diebisch, er stieblt, was ihnen
gefällt, und ihnen gefällt, was ihnen das Leben ange¬
Casanovas Heimfahrt. Alt, schäbig geworden, aber
nehm zu machen verspricht. Der Gedanke der Gie¬
toch immer lüstern, erlebt Casanova noch einmal eine
rigen ist Verrat, denn er kennt keln Idaul und nichts
Tlebesnacht. Er ist unterwegs nach Venedig, seiner
Gemeines und wird stets Persönliches der Sache über¬
Heimatstadt. Bei Maniua geschieht's, auf einem Land¬
ordnen. Die Casanovas waren die Drohnen der Ge¬
gut. Seine versönlichen Künste sind ziemlich ver¬
sellschaft, aber um ihrer Eleganz und Unverschämthett
braucht, sein Ruhm ist verblaßt, kein Verführerzauber
willen sehr bevorzugt. — ohne sich auf das Grotische
wirkt nicht mehr wie einst. Verkleidet als ein anderer
allein zu beschränken. Das neunzeynte Jahrhundert
dringt Casanova in das Zimmer des begebrten Mäd¬
hat sie ebenso gertebt wie das achtzehnte, ja es behan¬
chens, im Mantel des jungen Lentnants Lorenzt. Ein
delte sie in seiner demokratischen Vorliebe nicht mehr
schustiger Handel. Lorenzi verkauft seine Geliebte, um
als Außenseiter, und wenn sie auch nicht aufhörten,
eine Spielschuld bezahlen zu können. Aber am Mor¬
Schmarotzer zu sein, wurden sie oft doch reich. Ein
gen versucht er seine Ehre zu rächen, indem er Casanova
Schilderer obysiologischer Typen wie Schnitzler mußte
anklauert und zum Duell zwingt. Casanova schleicht
schließlich auf den Giermenschen stoßen. Seine ge¬
sich, einen Degen in der Hand, nur mit dem Mantel
schmäcklerische Neigung führte ihn zu dem historischen
bekindet (wie Monna Vanna), von dem im Dunkel
Vorläufer Casanova. Seine Gebundenheit hinderte
betrogenen Mädchen, das ihn beim ersten Dämmer¬
ihn, über das Sexnalsvielerische hinauszugreifen. Er
strahl voll Grauen erkannt hat. Zweikampf zwischen
weist sich damit selbst seine Stelle in der Literatur des
zwei nackten Männern im anbrechenden Tag, eine
vergangenen Regimes zu. Alles, Psychologie, Erfin¬
kühne Szene. Lorenzi fällt. Casanova flieht nach
Venedig, wo er als Svion sich verliert. — Das ist, im dung, Stil, so anmutig, zugesvitzt, glänzend sie diesmal
C. H.
Umriß. Arthur Schnitzlers neue Novelle: „Gasanonas; sein mögen, sind Vergangenheit.
es

IUImzüne Kahlen.Tnanéofntol
Berliner Borsen Courier, Berlin
Nurgenensgabe
ZEDLETAN

Casanovas Heimfahrt?).
Man hat Arthur Schuitzl
während des Krieges
vorgeworsen, daß er sich durch kein Weltereignis aus
der Pflege seiner Motive hat scheuchen lassen. Daß
für ihn die Prohleme der Menschheit mit der Behand¬
lung der Geschlechterbeziehungen erschöpft seien, und#
daß dieses Problem von ihm noch eingeengt und ver¬
kleinert würde. Dieser Vorwurf ist falsch und richtig.
Er ist falsch, soweit man die Motive füc ihre man¬
gelnde Aktualität verantwortlich machte, er ist richtig,
oweit man die Motive selbst auf ihre Erschöpfung hin
ansah.
Daß Schnitzker während des Krieges sich seine
Welt bewahrt hat, daß er sich abschloß und in seine
empfindlichen Bezirke keinen lauten Ton ließ, ist ein

Lob seiner künstlerischen Ehrlichkeit., Während Hugo
von Hofmannsthal und Hermann Bahr den Geist des
alten Oesterreich heraufbeschworer um die Gefahren
des neuen zu umnebeln, vertrat Schnitzler ohne Pose
und Akzentuierung=das alte Wien. Das Wien vor
dem Kriege in seinen närrisch=melancholischen Heiter¬
keit, in seiner Lebensfreude ohne Tiefe, in seiner sinn¬
lich verwischten Geistigkeit, in seiner Grazie, seiner
Humanität und menschlichen Kultur. Er blieb, wie
diese Stadt noch bis in das Frühjahr dieses Jahres
hinein geblieben war: fremd den Anfordeungen einer
heroisch=tumultuarischen Zeit, fremd allen Erschütte¬
rungen und elementaren Entladungen. Wie man in
Wien nach 1914 noch wie in einer neutralen Stadt
leben konnte, durfte man sich auch in Schnitzlers
Reich wie in einem neutralen geistigen Staate nieder¬
lassen. Aber wie Wien schließlich doch zusammen¬
brach, weil selbst seine Elastiität vor dem ungeheuren
Schicksal zerriß, mußte Schnitzlers Welt in sich zu¬
sammensinken, weil ihre Sinnbilder die Kraft ver¬
loren. Auch die gewaltigste Zeit hätte sie nicht um¬
geworfen, wenn sie nicht selbst ihr Schwergewicht ab¬
seben hätten. Schnitzlers Motive gaben keine
Kunstwerke mehr her,dund die Zeit überwand nur,
was sich selbst überwünden hatte.
So setzt die Novelle „Casanovas Heim¬
fahrt“ einen Schlußpunkt hinter eine Entwicklung
und nimmt im Thema des gealterten Abenteurers und
Liebhabers Abschied von einer sianlichen Welt weh¬
mütigen Sviels und nachdenklicher Lust. Der Casa¬
nova der Memoiren konnte den Dichter Schnipler
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nicht festhalten. Seine Erlebnisse waren zu stürmisch,
seine Gefahren zu vehement, seine Erotik zu phan¬
#tastisch, seine Gaunereien zu geistg beschwingt. Der
müde Cajanara, der erniedrigte, fluckernde, grinsende,
jdessen Cynismus keine Steigerung des Lebens mehr
war, sondern seine Niederziehung, dessen Wollüste Be¬
trug, und dessen Geist Schauspielerei wurde, gab ihm
ein von eigener Bitterkeit betontes, von eigener Furcht
vergrößertes und von eigener Erkenntnis distanziertes
Zerrbild seiner früheren schwankenden, aber eben¬
mäßigen, haltungsbewußten Gestalten. Und merk¬
würdig: Schnitzler hat so sehr den Blick auf seine
eigene Welt und auf die historische des Casanova
gerichtet, daß er beide nicht gestaltet, sondern als Vor¬
aussetzung darbringt. Was wäre dieser gealterte Lieb¬
haber, wenn er nicht in die Ahnenreihe der Schnitzler¬
schen Menschen gehörte und nicht den Namen Casa¬
Ein peinlicher Greis, ein alberner
nova trüge?
Poseur, ein widerlicher Lüstling, ein schamloser Er¬
presser, ein uninteressanter Mörder. Aber von
Schnitzlers Vergangenheit und von Casanovas Ueber¬
lieferung her beginnt er sich zu beleben, sich zu diffe¬
renzieren und zusammenzuschließen. Die Sprache
Novelle, in ihrer Gepflegtheit und anmutig
Schnelle scheinbar neben dem Gegenstande herlaufer.
verbindet sich mit ihm, trägt ihn fort und schmil
ihn, schöpferisch geworden an ilter eigenen Tradi
tion, zum Kunstwerke aus selbständiger Kraft um.
Die machtlos gewordene Welt der Oberflächlichkeit
wird zeugend, indem sie sich verdammt und erlischt,
indem sie sich ein Denkmal setzt. Als Schnitzler zum
Historiker seiner selbst wurde, gab er ein Sinnbild
seiner Bedeutung für die Gegenwart: seine Werke sind
die seelische Geschichte des vorkriegerischen Wiens.
Unz als er Casanova zum Symbol dieser Vergangen¬
heit wählte, gab er zu, daß diese Welt untergehen
mußte, weil sie nur sinnlich erregt war, und ohne
geistige Gegenkräfte sich nicht Dauer, Grenzen und
Der Geist erhöht sich, die