I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 9

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Zerrbild seiner früheres schwankenden, aher eben¬
mäßigen, haltungsbewußten Gestalter Und merk¬
Casanovas Heimfahrt
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30. Casanovas 4u
würdig: Schnitzler hat so sehr den Blick auf seine
eigene Welt und auf die historische des Casanora
gerichtet, daß er beide nicht gestaltet, sondern als Vor¬
aussetzung darbrinat. Was wär dieser gealterte Lieb¬
haber, wenn er nicht in die Ahnenreihe der Schnitzler¬
schen Menschen gehörte und nicht den Namen Casa¬
nova trüge? Ein peinlicher Greis ein alberner
Poseur, ein widerlicher Lüstline ein schamloser Er¬
presser, ein uninteressanter Mörder. Aber von
Schnitzlers Vergangenheit und von Casanovas Ueber¬
lieferung her beginnt er sich zu beleben, sich zu diffe¬
renzieren und zusammenzuschließen. Die Sprache
Novelle, in ihrer Gepflegtheit und anmutig
Schnelle scheinbar neben dem Gegenstande herlaufer.
verbindet sich mit ihm, trägt ihn fort und schmil
ihn, schöpferisch geworden an ilter eigenen Tradi
tion, zum Kunstwerke aus selbständiger Kraft um.
Die machtlos gewordene Welt der Oberflächlichkeit
wird zeugend, indem sie sich verdammt und erlischt,
indem sie sich ein Denkmal setzt. Als Schnitzler zum
Historiker seiner selbst wurde, gab er ein Sinnbild
seiner Bedeutung für die Gegenwart: seine Werke sind
die seelische Geschichte des vorkriegerischen Wiens.
Und als er Casanova zum Symbol dieser Vergangen.
heit wählte, gab er zu daß diese Welt untergehen
mußte, weil sie nur sinnlich erregt war, und ohne
geistige Gegenkräfte sich nicht Dauer, Grenzen und
Umriß schaffen konnte. Der Geist erhöht sich, die
Sinnlichkeit erniedrigt sich mit fortschreitender Zeit.
sie ist der Rückzug der
Casanopas Heimfahrt
Wiener Literatur aus der Zeit in die Geschichte, das
Ende eines Weges, der Abstieg der Schatten in eine
verblaßte, verborgene Welt. Ist sie auch der Anfang
und der Aufstieg eines anderen, sichtbaren, diesseitigen
Reiches?
Kerbert Thering.
Wien, I., Conte.e.-Peen
31054. 19
enig Liche. Badegen

desillusioniert, ein Sucher und Finder subtiler Nuancen schleppt Olivio den Chevalie
letter Differenziertheiten. Und Casanova? Ein bald! De. sträubt sich ers doch di
Feuilleton.
pfiffig verschlagener, bald roh zugreifender Wüstling und wunderschönen Nichte Oli#o##
samkeit wie Tugend schürte
Lültling, dem der Weg nichts, das Ziel alles ist, den nur
Casanovas Heimfahrt.
rung zeuen, lustvollen Erleb
wildes Begehren erhitzt, nie mildes Gefühl erwärmt.
Einer, der immer nur nehmen, nie geben will. Die beiden gekoinmen, tritt ihm A
tur Schnitlers neue Ryvelie. —
haben nichts miteinander gemein und Schnitzler fühlte die Gelieb#e von dan
Von Ernst Goty.
dies im Schreiben mehr und mehr, rückte immer ent= nicht g#altest, für
„In seinem dreiundfünfzigsten Lebensjahre, als Ca¬
schiedener von seinem Helden ab und was wir als viel wonnigsten Erinn
sie gleich diese Na
sanova längst nicht mehr von der Abenteuerlust seiner
deutiges Bekenntnisbuch zu lesen begannen, enthüllt sich
Jugend, sondern von der Ruhelosigkeit nahenden Alters
als eine Novelle, die zu den vielen Abenteuern Casanovas aber sieht nur
durch die Welt gejagt wurde, fühlte er in seiner Seele das
mit dem wohlger
ein neues hinzudichtet.
Heimweh nach seiner Vaterstadt Venedig so heftig anwach¬
führers, versucht er
Als eine Novelle freilich, wie es ihrer heute
sen, daß er sie gleich einem Vogel, der aus luftigen Höhen
brennt er alle Rareten
nicht viele gibt. Jede ihrer Seiten spricht von
zum Sterben allmählich nach abwärts steigt, in eng und
reichem, meisterlichem Können, zeigt ein Künstlertum, in sieht in ihren Augen
immer enger werdenden Kreisen zu umziehen begann.“
dessen reifen Sommer sich noch kein Herbstfaden stahl. 19. Ekel vor seiner
Mit diesem Satz, der gewiß zu den allerschönsten der deut¬
In edel geläuterter Sprache sind Bilder, Szenen, Farben Er ist entsetzt, verzweifelt.
schen Erzählerkunst gehört, hebt die Novelle an, in der
und Stimmungen mit einer Technik zum Ganzen gereiht, völliges Versagen seines
Schnitzler uns das letzte Liebeserlehnis Casanovas schil= ineinander verschlungen, die so vollendet ist, daß man sie glauben, sinnt auf neu Sch##
dert. Doch die Erwartungen, die dieser Satz, die schon dernicht mehr merkt. Episches und Lyrisches, sinnliche
bare zu besiegen, und ##t.
Titel weckt, wachsen weit über das Interesse an der Gestalt Schwüle und blendende Geistigkeit fließt, von einer flieht, in den Garten hinun
des abenteuerlichen Helden hinaus. Unwillkürlich wird weichen, anmutigen Hand beherrscht, zu entzückender Har= weiterzugrübeln. Da entsteig
dieser zum Symhol des Erotikers Artur Schnitzler, und
monie zusammen. Und von dramatischem Puls belebt, Leutnant Lorenzi, den Casch
noch ehe man recht zu lesen begonnen, erhofft man irgend¬
her kennengelernt hat, ein
tollen die Geschehnisse mit der gleichen wirrsäligen Hast,
wie ein von wehmütigen Herbstschauern durchwehtes
und leichtsinnig, wie er sell
der gleichen wechselvollen Buntheit vorüber, wie einst das
Der hatte die Nacht bei der
Capriccio über das so oft angeschlagene Thema vom „Ein¬
Dasein jenes Lebensvirtuosen, bis es an die bittere Weg¬
samen Weg“, den wir alle allein gehen müssen, ein Schnitz¬
bei der Casanova nicht ein
scheide des nahenden Alters. der drohenden Vergessenheit,
konnte. Außer sich vor Zor
lersches Abschiedslied an das Leben, dem die Frauen so
der drückenden Armut geriet, an der Casanova Rast hält,
auf Rache. Der Zufall des ##
viel lockenden Glanz, der Tod so geheimnisvolles Grauen da Schnitzlers Erzählung einsetzt.
Hilfe. Lorenzi verliert all
gibt..
Der müde gewordene Casanova erhoffi in Mantua
Marchese, der es die längst
den endlichen Bescheid des Senats, der ihm die Rückkehr
Man hofft vergebens. Und so gewiß Schnitzler den
der Leutnant ihn mit seiner
nach Venedio ermöglicht, das er nicht mehr gesehen, seit
von Glück, Lust und Gefahr bunt umschimmerten Aben¬
schlägt ihm die Stunde der
er dort die Bleikammern in verwegener Flucht verlassen.
teurer, den im vollen Sonnenglanz des scheidenden Som¬
Offizier aufs schwerste und d
Da begegnet ihm ein längst vergessener Bekannter. In
mers der Reif winterlicher Resignation befällt, für einen
ist, wenn er seine Schuld n
besseren Zeiten hatte er dem einst die Tochter seiner Ge¬
gleichgestimmten Gefährten hielt, für das passende Gefäß
schleicht Casanova dem verst
liebten angehängt und hundertfünfzig Deikaten geschenkt,
des eigenen Liebesempfindens, des eigenen Entsagungs¬
zynischer Unbarmherzigkeit h
mit denen Olivo seinen ländlichen Hausstand begründete.
schmerzes, so gewiß erkannte er selbst bald den Mißgriff
vor und bietet ihm die viert
und sah den Abgrund, der ihn von jenem trennt. Denn Daß Casanova sich den Dank der jungen Braut so ein¬
Schnitzler ist Erotiker, ist Anatol, Stefan Sala und Georg heimste, wie es eben seine Art war, erfuhr der Ehemann retten können. Doch als Ges
Wergenthin, ist philosophisch=melancholischer Genießer, nie, und in seinem Hause, dessen Wohlstand gedieh, blieb Lorenzis Mantel nachts in
reflektierender Schwärmer und Schwelger, ist zärtlich leiser der Name des hochherzigen, vornehmen Freundes ein Lorenzi muß auf den schurk
Versteher, ist sanft, weise, ein wenig müde, ein bißchen stets dankbar geehrter. In der Freude des Wiedersehens paar Stunden später steigt
*

vorgetäuscht hat, durch
den Irua nicht merkt