I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 14

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Leipziger Tagblatt,
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deutigkeit und vor allem ohne jede Eitelkeit vor, je daß man eher den
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Bericht eines ungefährlichen Narren der Liebe als den eines gefährlich¬
Schnitzlers „Casanova“
wilden Verführers und Abenkeurers zu hören vermeinte. Das sind
nicht nur Worte, die sagen, wie der Dichter seine Figur zeigen möchte.
Arkhur Schnitzlers welche Ark ist seit dem Kriege, dem er nie Zu¬
sondern so ist sie durchweg gestaltet. Das Liebesthema behandelt nicht
geständnisse gemacht hat, nicht schwächer geworden, im Gegenteil, eher
nur der Dichter diskret, zumal es bloß in der Erinnerung und in einer
stärker, jedenfalls strenger, wenn auch gewiß nicht durch Kriegseinflüsse.
vergeblichen Sehnsucht angeschlagen wird, sondern auch der Erlebende
Vielleicht durch Beschäftigung mit ällerer, etwa italienischer Erzahlungs¬
selber. Das Werk bleibt weit entfernt von lüsternen Anklängen, denen
kunst, deren Stil er sich diesmal einigermaßen nähert, ohne von der
manche neueren Schriftsteiler schwerlich entgangen wären. Dieser drei¬
eigenen Natur etwas preiszugeben. Die Sprache in ihrer Wienerischen
undfünfzigjährige Casanova verbringt eine schwärmerische einsame Nacht
Mürbigkeit, die ihm schon phonekisch wie im ganzen Wesen eignet, und
im Freien wie ein verliebter Jüngling, und doch nicht sentimental.
die in seinem neuesten Werke?) mit dem Thema des alternden und
gestrandeten Menschen zusammenstimmt, hat zugleich etwas von der
Das Kummervoll-Armselige dieser erledigten Existenz, Sorge und
Klarheit und Festigkeit des Südens, die zu der Atmosphäre dieser Er¬
Argwohn kommen eigentümlich bewegend heraus. Etwa an der Stelle,
zählung besonders paßt. Sie ist graziös und leicht, aber nie leer, voll
da man Vorbereitungen für ein Glücksspiel krifft: „Was hat das alles
Geist und auch seelenhaft; ohne jede Pretiosikät moderneren Schlages,
#zu bedeuten, fragte sich Casanova, der allein im Garken stand. Halten
bisweilen sogar sorglos mit viel gebrauchten Wendungen sich begnügend,
sie mich für reich? Wollen sie mich rupfen? Ist das Ganze, dachte er
und doch nicht abgebraucht oder hohl, sondern stets persönlich und von
flüchtig, ein Streich meiner Feinde, um mir die Rückkehr nach Venedig
einer sich immer erneuernden Frische, die der Vitalität des berühmten
zu erschweren — im letzten Augenblick unmöglich zu machen? Abei
Verführers verwandt ist. Eine glänzende Bildkraft, die mit der weisen
sofort mußte er sich sagen, daß dieser Einfall völlig ursinnig war, vor
Sparsamkeit des reifen Meisters waltet, bringt einprägsame visuelle
allem schon darum, weil er nicht einmal mehr Feinde hatte. Er war ein
Eindrücke von starkem Ausdruckswert und unterstützt die Vermutung,
ungefährlicher, herabgekommener alter Troyf; wen konnte seine Rück¬
daß Schnitzler sich inzwischen mit dem Klassiker der geschichtlichen No¬
kehr nach Venedig überhaupt noch kümmern?“ In seinem Umgange
„Was
velle. C. F. Meyer, mehr als früher angefreundet haben möchte.
mit sich selbst sind Aufrichtigkeit und eine anständige Wärme.
Mit ihm teilt er jetzt die Zügigkeit des Erzählers großen Stils
sollte er weiter in dieser kläglich verblaßten Welt ohne die Hoffnung,
In der
und die Gelassenheit, die bei einer längeren Erzählung natürlich und
die Gewißheit, die geliebte Stadt jemals wiederzusehen? ..
angebracht ist und die Schnitzler meines Erinnerns früher in solchem
Fremde vermochte er längst nicht mehr ein Glück dauernd an sich heran¬
Grade nicht besaß. Der letzte Satz des Buches möge als Probe hier
zuzwingen. Noch war ihm zuwellen die Kraft gegönnt, es zu erfassen,
stehen: Mit einer Ark von schlafwandlerischer Sicherheit, ohne sich
doch nicht mehr die, es festzuhalten. Seine Macht über die Menschen,
eigentlich bewußt zu werden, daß er ihn in dieser Stunde nach einem
Frauen wie Männer, war dahin. Nur wo er Erinnerung bedeutete,
Vierteijahrhundert zum ersten Male wieder ging, fand er den Weg
vermochte sein Wort, seine Stimme, sein Blick noch zu bannen; seiner
durch enge Gäßchen zwischen dunklen Häusermauern und über schmale
Gegenwart war die Wirkung versagt. Vorbei war seine Zeit! Es
Brückenstege, unter denen die schwärzlichen Kanäle den ewigen Wassern
folgt eine schonungslose Selbstbetrachtung, die den Leser eigenkümlich
zuzogen, nach seinem elenden Gasthof, dessen Tor erst auf wiederholtes
rührt, sofern er irgend reichliche Enttäuschungen, wenn auch auf ganz
und wenige
anderen Gebieten, hinker sich hat. Dieser Casanova ist weder idealisierk,
Klopfen sich träg und unfreundlich vor ihm öffnete;
noch nach der Schattenseite stilisiert. Er ist ganz menschlich. Wenn
Minuten später, in einec schmerzenden Müdigkeit, die durch seine
Glieder lastete, ohne sie zu lösen, mit einem bitteren Nachgeschmack auf
er einmal schlimm wird, wie bei der Vergewaltigung eines unreifen
den Lippen, den er gleichsam aus dem Innersten seines Wesens nach
Mädchens und den frivolen Gedanken hinkerher, so zeigt das sein zer¬
oben steigen fühlte, warf er sich, nur halb angekleidet, auf ein schlechtes
rüttetes Innere. Aber es bleibt die einzige Verzerrung.
Bett, um nach fünfundzwanzig Jahren der Verbannung den ersten. so
Das Buch gibt künstlerisch keinerlei Ertreme, sondern eine an¬
lang ersehnten Heimatschlaf zu tun, der endlich, bei anbrechendem Mor¬
ständig-würdige Mittellage — nicht des Könnens, denn das ist in einem
gen, traumlos und dumpf, sich des allen Abenteurers erbarmte.
Grade fertig, wie man es von Jüngeren begreift cherweise selten bekommt.
Es ist nichts Kleines, derartig lange Sätze zu gliedern, daß sie weder
Die Jungen werden mehr vom „Zeitgeist, abe meist weniger von den
von sich selber
langweilig noch schwerfällig noch unklar wirken, sondern daß ihr Gang
besonderen Werten der Kunstgakkung und
seinen Schranken und
burtig und zugleich in „epischer Ruhe' bleibt. Der Künstler hat jetzt
kennt in
haben als der Meister, der
mehr Abstand zwischen die Dinge und den Leser gelegt, während er
alle seine Kräfte und das Wesen der ihnen erreichbaren Formen be¬
früher gelegentlich eine gewisse allzu Wienerische Zwanglosigkeit und
Erich Everth.
herrscht.
Vertraulichkeit nicht nur darstellte, sondern sich auch selber gestattete.
Auch die Komposition ist straffer, als ich ein früheres Beispiel von
Schnitzler wüßte, und doch bedeutet sie keine Kargheit. Vielmehr ent¬
zückt es um so mehr, wie der Dichter mit immer neuen Einfällen
belebt und leise erregt, obwohl man im ersten Satze hört, es handele
sich bei diesem Casanova um einen alten, herabgekommenen Mann.
Dieser Mann ist nicht besonders zynisch oder abenkeuerlich in einem
billigen ober niederen Sinne. Es ist ein menschlicher Reiz des Buches,
daß der Abenteurer ziemlich ernst gestimmt ist und auch anderen nicht
allzu viel vormacht. „Als die Kinder fort waren, kat er sich wohl weniger
Zwang an, aber alles, was er erzählte, brachke er ohne jede Zwei¬
*) Casanovas Heimfahrl“, Verlag S. Fischer, Berlin.