I, Erzählende Schriften 30, Casanovas Heimfahrt, Seite 18

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Casanovas Heimfahrt
30.
SasansvasHauhaant#
nach seiner Vaterstadt Venedig, die ihn verbannt; Geliebten, den jungen Leutnant, enteilt nach Vene¬
hatte, daß er alles daran setzte, wieder von ihr auf¬
dig und stellt sich mit tausend Hinterabsichten aber
genommen zu werden. Und das gelingt ihm; wie
einem demütig ergebenen Gesicht dem Staate völlig
ihm alles gelang, wogegen er seinen Stierwillen
zur Verfügung. —
und seine füchsische Durchtriebenheit ins Gefecht
Schnitzler ergriff aus dem Gewoge dieses ge¬
führte. An einigen Widerständen, die er als letzte
hetzten Lebens die einzige tragische Bruchstelle: das
Hindernisse überwinden muß, entrollt sich sein
erste Bewußtwerden des Alterns. Nach Casanovas
Wesen bis in alle Falten; der Alternde spielt die
Temperament kann nicht eine milde Resignation
Rolle feiner Jugend weiter, und zwar siegend, mit
mit der zarten Wehmut „ich besaß es doch einmal,
der Macht des gewaltig suggestiven Menschen, der
was so köstlich ist“ helfen, es muß biegen oder bre¬
ein Leben lang das Glück vor sich auf die Knie
chen. Aeußerlich biegt er noch gewaltsam Erfolge
zwang. Noch einmal prellt er Diplomaten, pflückt
zurecht ... Seine ungeheuerliche Elastizität schnellt
er so nebenbei Frauen, die ihn vergöltern, noch
ihn immer wieder in die Senkrechte, nach jedem
einmal schmeißt er in Gelassenheit den letzten Du¬
Erlebnis hat er die Vergangenheit geringschätzig
katen auf die Spielbank, verliert und gewinnt ohne
hinter sich geworfen und äugt mit gespannten
Wimperzucken in derselben Viertelstunde ein Ver¬
Muskeln nach vorn in die von „Unternehmungen
mögen, und noch einmal verrennt er in Leidenschaft
voll Mark und Nachbruck“ strotzende, indessen höchst
zu einem Mädchen. Er muß einen jungen Leutnant
unproblematische Zukunft. Daß Schnitzler den
bei ihr ausstechen, der helle Haß des Alternden
gottlosen Abbate Casanova eine Streitschrift gegen
flammt auf gegen die Jugend, da sie sein fana¬
Voltaire verfassen läßt, ist wohl mehr ein geist¬
tisches, neidvolles Jungseinwollen nicht anerkennt
reiches Paradoxon als ein vertiesender Zug der
und sch von ihm abwendet. Unter Entfaltung sei¬
Geistesstruktur des Helden; denn Marcolinens leib¬
ner ganzen intriganten Bösartigkeit, mit List und
liche Reize beschäftigen ihn, den Gottesstreiter, weit
Geld gelangt er schließlich wieder einmal zu dem
inniger als Voltaires antichristlicher Geist ... Und
hinreichend oft erreichten Ziel, er besitzt unerkannt
sein Leben war im Grunde eitel flimmernde Sen¬
die Jugend, Marcolina; aber es ist eine Nieder¬
sation.
lage — sie ist das erste Weib, das sich verachtend
Arthur Schnitzler vermochte ihn mit einem
und mit Ekel von dem Ruhmbestrahlten weg¬
Hauche seines Geistes zu überstrahli. Die stili¬
wendet.
Darauf geht der im Innersten er¬
stisch herrliche Novelle ist, an die zweihundert Sei
schütterte Casanova hin, besiegt im Duell ihren ten stark, im Verlage S. Fischer Berlin erschienel
TA
ein Hohn auf den Rechtsstaat sind, in einem Verfahren, in schaft über das Geld wird überhaupt nicht gegeben. Das
chösterreich.
genauere Ausgabenbudget von Deutschösterreich ist nicht ver¬
dem keine Spur des Bewußtseins einer Verantwortung zu
der Lebensmittelnot.
öffentlicht worn. Deutschösterreich schwebt in Gefahr, sich
merken war. Angesehene Männer haben in der Versammlung
Wien, 22. Januar.
unheimlich herunterzuwirtschaften. Der Mut zum Sparen
berichtet, daß sie persönlich beleidigt worden seien. Wie
fehlt und deshalb werden die Steuern des deutschen Bürger¬
dem Berichterstatter des „Matin“ in
kommt ein Steuerträger dazu, in seinem berechtigten Selbst¬
tums so überspannt, daß ein bedenklicher Groll sich ver¬
der Waffenstillstandsverhandlungen
gefühl von Personen im öffentlichen Dienste verletzt zu:
rung des Materials durch die
werden? Das Gesetz hat den Fiskus mit den schärfsten! breitet.
Geneenthens
n deutschen Vevollmächtigten über¬
S
n
und gesagt: „Sie überschwemmen

stein dem wegmüden Wanderer Gnadenbrot gewährte. Er
nen einen Teil davon und lassen
habe immer noch die kleinen Mädchen im Kopfe, heißt es in
Heilleton. #¾
ssie um Erbarmen schreien und nach
jener Schilderung. Aber daß er sie immer nur noch im Kopfe
be ich nicht, daß sie über¬
habe, das ärgere ihn und errege seinen Zorn gegen das schöne
SAF
Neue Erzählungen.
Geschlecht, gegen sich selber und gegen den Himmel. Für so
demgegenüber für die letzten zwei
viele Leiden räche er sich an allem Eßbaren und Trink¬
vinz nicht besondees schweres
Als in Florenz die Pest ausbriach, so erzählt Boccaecio,
baren; da er nicht mehr ein Gott in den Gärten, nicht mehr
1# antwortete der Marschall:
vereinigte sich ein Kreis von Freunden, die das Furchtbare,
ein Satyr in den Wäldern sein könne, so sei er ein Wolf bei
n##mn Hytus absteigen, die sich
das sich rings um sie begab, dadurch zu vergessen suchten,
Tisch. Gleichwohl rühmt der Fürst die Charakkerstärke, mit
den Schleichhandel versorgen! Doch
daß einer um den anderen, wie ihn die Reihe traf, merk¬
der Cafanova es ertrage, daß er jetzt aller einstigen körper¬
Preußen und in Oesterreich ist sicher¬
würdige und spannende Erlebnisse vortrug, wohl geeignet,
lichen Vorzüge und sonstiger angenehmen Eigenschaften ent¬
gersnot grenzenden Zu¬
die erregten Gemüter abzulenken und zu beschwichtigen.
behren müsse. Er nennt ihn einen seltenen Mann und seine
ies auf Deutschlands aufgelöste und
Diese Art zu erzählen, von der Not des Augenblicks zu
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Bekanntschaft ein nöstliches Gut.
haben wir gute Bürgschasten! Der
schlichter Knappheit gedrängt, ist wohl die künstlerisch wert¬
bar besten Hindernisse, und wir be¬
Die Erzählung Artur Schnitzlers nun ist in die Mitte
vollste — auch Scheherezade erzählt sv. Und man mag es als
schenswerten Ausfallspforten gegen.
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zwischen den traurigen, greisenhaften Verfall dieses Daseins
gutes Vorzeichen begrüßen, wenn jetzt, inmitten unserer Be¬
und seine zauberhafte Jugend gelegt, deren Reichtum wir
drücktheit ebenfalls eine Reihe von Autoren wie auf Verab¬
nicht an ein Eindringen des
von Casanova selbst mit so viel Entzücken haben vor uns
redung mit Erzählungen hervortrelen, die ohne viel Um¬
Deutschland jeder Regierung berauben
ausbreiten sehen. Casanovas Heimfahrt nach Venedig, dem
schweife durch, eine merkwürdige und bewegte Handlung
icht mehr darüber zu wissen, als die
Lande seiner Jugend, ist zugleich sein letztes Abenteuer. Es
uns festhalten und so. gleichermaßen bestrebt scheien, uns
Hland sich erholen und dieser Gaswolke
begibt sich im Hause des rechtschaffenen Olivo, nahe von
rt sich nicht darum, ob die Regierung
aus einer nahen und schreckensvollen Wirklichkeit in eine
Mantua, einem friedlichen Besitz, der sozusagen von der
r die deutschen Bevollmächtigten und
abenteuerhafte und bunte Ferne zu geleiten. Da ist gleich
Großmut Casanovas erbaut worden ist — alle hier sind für
nfranzösischen Soldaten; wenn die
Artur Schnitzlers neues Buch, „Casanovas Heimfahrt“. Der
denn Olivo

andsbedingungen nicht erfüllen, wird
ihn von grenzenloser Dankbarkeit erfüllt
Titel schon erweckt unsere Neugierde; es ist wohl überhaupt
nd abbrechen. „Deshalb,“ meinte er,
hat seinen Reichtum mit den hundertfünfzig Goldstücken be¬
unmöglich, den Namen dieses erstaunlichen Mannes, des
wie möglich aus. Sie sind mit
gründet, die vor sechzehn Jahren seine Braut Amalia, oder
vielberühmten Chevalier de Seingalt, auszusprechen, ohne
komotiven im Rückstande, dom haben
vielmehr deren Mutter, oder besser noch alle beide von
daß alle gespannt aufhorchen. Man entsinnt sich wohl auch
nstlichen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Casanova zum Geschenk erhalten haben, als er gerade auf
des alten Casanova nach der Schilderung des Fürsten von
riedenspräliminarien im Kriegszustand
Ligne, der chm auf Schloß Dur begegnete, wa Graf Wald= einer Reis von Rom nach Turin oder Paris — er weiß